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Arbeiten rund um die Uhr

Die Zahl der Beschäftigten, die wegen Burn-out, Depressionen, Schlaflosigkeit und chronischer Erschöpfung arbeitsunfähig werden, nimmt ständig zu. Aber es gibt auch Personen, die den Stress und die Herausforderung geradezu suchen.

Von Claudia van Laak | 14.01.2010
    Der Arbeitstag für Hotelchefin Janina Bachmann beginnt um 8:30 Uhr. E-Mails lesen, dringende Telefonate führen. Mehrere Sachen gleichzeitig tun, das ist kein Problem für mich, sagt die 35-Jährige.

    "Gut, ich bin eine Frau, da geht ein bisschen mehr. Ich kann nebenbei meinen Tagesbericht überprüfen, mache nebenbei manchmal ein Telefonat. Ich lese zusätzlich zu meinem Tagesbericht noch die E-Mails, da ist das gleich abgearbeitet."

    Dann ein kurzer Kontrollgang durch und um das Haus mit seinen 224 Betten und 26 Mitarbeitern. Ist der Schnee gefegt, sind die Toiletten sauber, sind alle Leute am Start?

    "Das ist mein Kontrollgang."

    Vor sechs Jahren hat Janina Bachmann die Leitung des NH-Hotels in Berlin-Treptow übernommen. Mit 29 war sie die jüngste Hoteldirektorin Deutschlands. Schwarzer Hosenanzug, schwarzer Rollkragenpullover, große braune Augen. Flink, patent, resolut.

    "Ich liebe Stress, ja, weil, wenn man unter Stress steht, ist das eine sensationelle Geschichte. Da fängt man an, ganz tolle Ideen zu kriegen."

    Einen Blick in die Küche werfen, im Konferenzraum ein Fenster schließen, die Dekoration im Foyer ordnen. Um 9:00 Uhr ein erster, unangenehmer Termin, eine Beschwerde über eine missglückte Weihnachtsfeier.

    Der Raum ungemütlich, der Film falsch, der Rotkohl geschmacksneutral, die Ente fad. Janina Bachmann schluckt, aber bleibt freundlich, bietet der Kundin eine Gutschrift an. Zurück ins Büro. Es ist 10:00 Uhr - noch hat sie nichts gegessen, nur Kaffee getrunken.

    "Im Moment beiße ich das erste Mal in etwas Nahrhaftes, in meinen Apfel. Das war das erste, was ich heute zu mir nehme."

    Und dabei wird es in den nächsten Stunden auch bleiben. Janina Bachmann greift zu ihrer schwarzen Handtasche, springt ins Auto.

    "Wir fahren jetzt zu einer Firma, die zusammen mit mir eine Idee entwickeln soll für meinen Firmenklub."

    Während der Fahrt erledigt sie ein paar Telefonate, berichtet über ihre anstehenden Termine, ein Interview mit dem lokalen Anzeigenblatt zum Thema Ausbildung. Spätestens um 15:00 Uhr muss sie im 25 Kilometer entfernten NH-Hotel in der Nähe des Kudamms sein - 136 Zimmer, 18 Mitarbeiter. Dort firmiert sie seit Oktober ebenfalls als Hoteldirektorin. Chefin von zwei Hotels? Janina Bachmann sagt: Es war mein Wunsch, ich wollte das so.

    "Also, ich bin ganz ehrlich. Meine größte innerliche Angst ist es, mal eines Tages ohne eine Arbeit dazustehen."

    "Ist Frau Fischer in der Nähe? Danke Frau Flünn! Guten Morgen, Frau Fischer. Ich muss Ihnen schnell sagen, ich habe um 13:00 Uhr noch einen Termin mit der Berliner Woche zu den Azubis. Danach komme ich schnell rüber, just for Info. Bis nachher, tschau."

    Um Firmenkunden an sich binden, hat Janina Bachmann einen Unternehmerklub gegründet. Alle zwei Monate lädt sie ein - zu Wein, Häppchen, Vorträgen, gemeinsamem Segeln. Eine Werbeagentur soll den Auftritt professionalisieren.

    Jana Jablonski ist Chefin der Ideenmanufaktur, berät Janina Bachmann und wundert sich wie viele andere, wie man gleichzeitig zwei Hotels leiten kann.

    "Da weiß ich, da muss man zum einen sehr, sehr viel Energie besitzen, sehr viel Fantasie und an bestimmte Dinge glauben, zum einen an sich glauben und zum anderen daran glauben, dass es funktionieren kann. Als ich sie kennengelernt habe, hatte ich daran überhaupt keinen Zweifel. Ich hatte aber punktuell manchmal das Gefühl: Es gibt ja Momente, da geht man ja manchmal über seine Grenzen, ohne es zu merken."

    Über seine Grenzen gehen ohne es zu merken - nein, sagt Janina Bachmann. Als Jugendliche hat sie an einer Spezialsportschule in Ostberlin gelernt, Leistung zu bringen, Stress zu verkraften und persönliche Interessen zurückzustellen. Kinder? Janina Bachmann schüttelt den Kopf. Unvereinbar mit einer Wochenendehe und der Führung zweier Vier-Sterne-Hotels.

    "Also, es gibt so ein paar wehmütige Momente, eine meiner besten Freundinnen hat gerade ein Kind bekommen, die ist auch 35."

    13:00 Uhr: Zurück im Hotel in Berlin-Treptow. Termin mit dem lokalen Anzeigenblatt, Fotos. Zwischendurch noch ein Blick in die Flure. Haben die Zimmermädchen ordentlich gearbeitet? 20 Minuten Zeit haben sie, um Bad und Zimmer zu putzen, die Betten frisch zu beziehen. Natürlich hat die Arbeitsbelastung zugenommen, sagt Hotelmitarbeiterin Jana Kähler.

    "Ja, ich denke, es ist nicht nur in der Hotellerie so, ich denke, es ist allgemein so, dass den Arbeitnehmern viel mehr abverlangt wird, dass man flexibel in mehreren Sachen arbeitet."

    Um 14:00 Uhr steht das erste Essen des Tages vor Janina Bachmann - gegrillter Ziegenkäse mit Blattsalaten. Der Kellner bekommt noch den strengen Hinweis, doch bitte endlich seine Lohnsteuerkarte abzugeben. Die Hoteldirektorin macht sich ein wenig Sorgen um ihre Auszubildenden. Sie halten nicht durch, geben schnell auf.

    "Und das passiert jetzt komischerweise schneller, als noch vor ein paar Jahren. Das muss man wirklich sagen. Ob das vielleicht daran liegt, dass in den Familien ein Druck entsteht, jeder möchte seinen Arbeitsplatz behalten. Es liegt wohl auch daran: Die Zeit ist auch schnelllebiger geworden."

    Auch die Hotelgäste stehen unter Zeitdruck, fordern perfekte Zimmer und einen perfekten Service. Die Menschlichkeit fehlt, sagt Janina Bachmann, blickt auf die Uhr und fährt in ihr zweites Hotel. Bis 20:30 Uhr dauert ihr ganz normaler Arbeitstag, zehn bis zwölf Stunden sind üblich, montags bis samstags.

    "Eigentlich es war wie immer, der übliche Wahnsinn."

    Einmal im Jahr nimmt sich Janina Bachmann eine Auszeit - dann geht sie für fünf Tage ins Kloster.