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Arbeitsbedingungen der Zuckerrohrarbeiter in Brasilien

Rund 320.000 Landwirtschaftsbetriebe leben in der EU vom Zuckerrübenanbau. Diese Zahl allerdings wird sich ändern, denn die Schutzmechanismen der Europäischen Union werden aufgeweicht. Vor allem die großen außereuropäischen Anbauländer freuen sich über diese neuen Wettbewerbsregeln - allen voran Brasilien, der weltweit günstigste Anbieter von Rohrzucker. Dieser günstige Preis geht allerdings oft genug auf Kosten der Arbeiter.

Von Axel Denecke | 24.08.2006
    Brasilien erwartet in diesem Jahr eine Rekordernte von 470 Millionen Tonnen Zuckerrohr, - angebaut auf einer Fläche von der Größe Niedersachsens. Mehr als die Hälfte der Zuckerernte wandert in die Lebensmittelproduktion, aus dem anderen Teil werden über 14 Milliarden Liter Alkoholkraftstoff produziert. Für Professor Edgar Beauclaire von der landwirtschaftlichen Hochschule Piracicaba ist das Potenzial des Zuckers noch lange nicht ausgeschöpft:

    "Für die Produktion von 14 Milliarden Litern Alkohol benötigen wir 2,5 Millionen Hektar. Wenn wir diese Fläche vervierfachen würden, würden wir erst 10% der bebaubaren Fläche nutzen. "

    Geerntet wird der Zucker noch zum großen Teil wie vor 400 Jahren: Arbeiter schlagen sich mit großen Messern durch die bis zu 4 Meter hohen Pflanzen. Die Konkurrenz der Maschinen seit den 1990er Jahren hatte vor allem eine Wirkung: die Löhne der Arbeiter sanken, der Arbeitsdruck stieg. Der durchschnittlicher Lohn eines Zuckerrohrschneiders liegt heute bei 3 bis 400 Reais, etwa 150 Euro im Monat, - kaum mehr als der gesetzliche Mindestlohn. Die 27jährige Sileia Perrera arbeitet seit 5 Jahren auf den Zuckerrohrfeldern:

    "Ich stehe jeden Tag um vier Uhr morgens auf, packe 2 Taschen und gehe arbeiten. Um sieben Uhr beginnt die Schicht. Um acht Uhr wird gegessen, Mittags haben wir eine Stunde Pause, dann geht es weiter bis halb Fünf, manchmal auch länger, dann heißt es, sie können nichts dafür. Wenn ich nach Hause komme, beginnt die nächste Schicht, die Hausarbeit. "

    Etwa 200.000 Zuckerrohrarbeiter arbeiten heute auf den Feldern des Staates Sao Paulo, - 70.000 von ihnen als Wanderarbeiter aus den armen nordöstlichen Bundesstaaten Brasiliens. Angeheuert von Schleppern finden sie sich dort in zum Teil katastrophalen Unterkünften wieder, wie Miguel Ferreia dos Santos im Auftrag der Landarbeitergewerkschaft herausfand:

    "In den Unterkünften waren auf vier mal vier Metern zehn oder acht Arbeiter untergebracht, - ohne Lüftung. Manche Arbeiter schliefen auf dem Boden. Die Arbeiter mussten ihr Geschirr im selben Wassertank waschen wie die Kleidung. Es gab drei oder vier Duschen für 50 bis 70 Personen."

    12 bis 15 Tonnen Zuckerrohr ernten die Arbeiter am Tag, eingehüllt in Schutzkleidung bei Temperaturen von 35 bis 40 Grad. Diese extremen Belastungen führten bereits zu Todesfällen. Menschenrechtler führten in den letzten zwei Jahren allein zehn Todesfälle unter Zuckerrohrarbeitern auf Überarbeitung zurück. Nicht selten bleibt für die Arbeiter am Monatsende auch einfach der Lohn aus. Sileia und 60 weitere Arbeiter der Gruppe Atalla haben sich vor dem Firmensitz im Jaú versammel, um ihren ausstehenden Lohn einzufordern:

    "Meiner Ansicht nach haben sie keine Ehre im Leib. Sie haben das Geld, um uns zu bezahlen, das sieht man doch auf dem Feld, sie fahren neue Autos, aber wir rackern uns ab. "

    Miguel Ferreia dos Santos und die Landarbeitergewerkschaft arbeitet daran, Alternativen zu der Schufterei auf den Feldern zu schaffen. Sie unterstützten Neuansiedlungen von Kleinbauern im Rahmen der Landreform. Miguel selbst lebt seit 5 Jahren auf eigenem Land, mit dem er sich selbst versorgen und Bananen oder Ananas auf dem Markt verkaufen kann. Zucker weiß er immer noch zu schätzen, - allerdings nur zu besonderen Zwecken:

    "Wir sagen den Leuten in den Neuansiedlungen immer: der Zucker ist für uns ein schlechtes Geschäft. Aber ich sage nie, er gibt uns nichts. Er gibt uns den Zuckerrohrschnaps, den Zucker, den wir persönlich verbrauchen und den Caipirinha, wie ihn jeder gerne Abends zu sich nimmt. "

    Caipirinha wird für Miguel und die anderen Neubauern dank der Landreform ein günstiges Vergnügen bleiben. Doch billigen Sprit aus Zuckerrohr wird es nur so lange geben, wie die brasilianischen Arbeiter auf den Zuckerrohrfeldern menschenunwürdige Löhne erhalten.