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Arbeitsklima bei Amazon
Friss oder stirb?

Ein Arbeitsklima wie in der Hölle - so ungefähr lässt sich der Artikel in der New York Times vom Sonntag über Amazon zusammenfassen. 80-Stunden-Wochen sind die Regel, und wer nicht die volle Leistung bringt, wird rausgedrängt. "Gezielter Darwinismus" sei das, sagt ein ehemaliger Amazon-Manager.

Von Wolfgang Stuflesser | 18.08.2015
    Ein Lager des Online-Versandhändlers Amazon in Peterborough.
    Ein Lager des Online-Versandhändlers Amazon (ANDREW YATES / AFP)
    Man kann gar nicht sagen, dass Amazon um den heißen Brei herumreden würde: In einem aktuellen Werbevideo, das neue Mitarbeiter gewinnen soll, sagt die leitende Amazon-Programmiererin Nimisha Saboo, für Amazon zu arbeiten sei anders als für jede andere Firma: Entweder Du passt hierher - oder nicht.
    Das klingt ein bisschen nach Navy Seals oder Marines, nicht unbedingt nach einer Technik-Firma, wo man doch sonst eher bei Google und anderen von kostenlosen Mittagessen und freien Massagen für die Angestellten hört.
    Tatsächlich ist das Bild, dass die New York Times in ihrem langen Artikel von Amazon zeichnet, alles andere als kuschelig: Die Autoren haben nach eigenen Angaben mit mehr als 100 Amazon-Mitarbeitern gesprochen und berichten davon, dass eine Frau, die an Brustkrebs erkrankt sei, in Gefahr stand, ihren Job zu verlieren, weil sie sich nicht voll auf die Arbeit konzentriert habe. Rundmails würden auch noch nach Mitternacht verschickt, und wer nicht gleich antworte, werde per SMS gefragt, warum nicht. Tägliche Leistungsbewertungen für die Mitarbeiter seien Standard, und wer wolle, könne seine Kollegen anonym anschmieren.
    Beim Fernsehsender CNN sagte Moderatorin Carol Costello, sie habe den Artikel gelesen - und sie wolle nicht bei Amazon arbeiten.
    Amazon-Chef Jeff Bezos hat inzwischen auf den Artikel reagiert, der Fernsehsender CNBC zitiert aus seiner internen Mail an die Mitarbeiter:
    "Ich glaube, dass jeder, der in einer Firma arbeit, wie die New York Times sie beschreibt, verrückt wäre, wenn er dort bliebe. Ich weiß, dass ich so eine Firma verlassen würde."
    Gleichzeitig rief Bezos seine Leute auf, sich zu melden, wenn sie solche Fälle von hartem Management, wie sie der Artikel beschreibt, erlebten. Dieses "Wir haben von nichts gewusst" will Lindsey Turrentine aber nicht gelten lassen. Die Chefredakteurin der Nachrichtenseite CNET sagte in der Online-Sendung "Tech News Today":
    "Interessant an diesem Artikel ist, dass viele der Amazon-Leute mit offizieller Genehmigung der Firma interviewt wurden. Was sie sagten, war also in gewisser Hinsicht 'offiziell'."
    Kritikwürdig oder produktiv?
    Inzwischen ist auf Twitter, in Blogs und in den Kommentaren der Nachrichtenseiten eine heiße Diskussion entbrannt - zwischen denen, die Amazon für das Arbeitsklima dort kritisieren - und anderen, auch Amazon-Mitarbeitern, die die Arbeitsatmosphäre als intensiv und produktiv beschreiben. Auch David Streitfeld, einer der beiden Autoren des NY-Times-Artikels, zollte beim Fernehsender CNBC dem Amazon-Chef Respekt:
    "Die Leistung von Jeff Bezos ist, dass er die Intensität einer Startup-Firma erhalten hat, wo 20 oder 40 Leute rund um die Uhr dafür arbeiten, dass diese Firma ein Erfolg wird. Und das schafft Bezos in einem Unternehmen mit nun 180.000 Mitarbeitern. Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist."
    Jeff Bezos, laut Forbes-Liste fünfreichster Mensch der Welt, ist für seine Sparsamkeit berühmt und berüchtigt. Er investiert alle Gewinne in den Ausbau der Firma. Das geht so weit, dass Amazon auch immer mal wieder in einem Quartal Verluste einfährt, während andere Firmen wie Apple oder Google Milliarden einstreichen - insofern fällt es diesen vielleicht auch etwas leichter, einen Teil ihrer Gewinne in Annehmlichkeiten für die Mitarbeiter zu stecken. Doch zwischen dem Swimmingpool bei Google und Amazon-Leuten, die laut Artikel oft an ihren Schreibtischen sitzen und weinen, ist natürlich ein weites Feld.
    Jefferson Graham, Technik-Journalist bei der Zeitung USA Today, sieht einen Grund für die Arbeitsatmosphäre, wie sie die New York Times bei Amazon beschreibt, in den stetig wachsenden Ansprüchen der Kunden, die ihre Ware immer schneller geliefert haben wollen.
    "Ich kann warten - mir ist es egal, ob ein neues Objektiv für meine Kamera nach zwei oder drei Tagen ankommt - oder erst nach einer Woche. Ich möchte, dass die Firma, bei der ich bestelle, die Menschen, die dort arbeiten, mit Respekt behandelt und nicht einem Klima der Angst unterwirft."
    Jeff Bezos hat seine Leute aufgefordert, ihm persönlich eine Mail zu schreiben, wenn sie von Fällen wie im Artikel wissen. Mal sehen, ob er in ein paar Monaten Bericht erstattet, wie viele Mails er bekommen hat - und was sich daraufhin bei Amazon geändert hat.