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Arbeitslos trotz Lehrermangel

Seit Jahren kritisieren bayerische Elternverbände, dass an den Gymnasien zu viele Stunden ausfallen. Da verwundert es umso mehr, dass ab Februar gut 600 junge Gymnasiallehrer auf der Straße stehen werden, ab Sommer sogar 1200, warnt der Bayerische Philologenverband.

Von Susanne Lettenbauer | 24.01.2012
    Montag morgen, Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, Institut für Deutsche und Englische Philologie. Mit Laptop und A4-Blöcken sitzen drei Lehramtsstudierende auf dem Flur, büffeln für die Prüfung:

    "Englisch-Sport ist meine Fächerkombination."

    "Die Fächerkombination: Sport und Deutsch."

    "Also meine Fächerkombination ist Englisch-Deutsch."

    Seit bekannt wurde, dass in Bayern im Februar rund 600 junge Gymnasiallehrer auf der Straße stehen, sind diese drei potenziell Arbeitslosen ein wenig ratlos:

    "Ja, weiß ich nicht, ich hab das jetzt von mehreren Seiten dargestellt bekommen, auch von Lehrern. Manche sagen, es wird im Endeffekt nicht so schlimm sein – es gehen alte, dann kommen neue nach. Andere sagen es ist ziemlich schlecht, auch wenn ältere wegfallen, werden weniger neue eingestellt. Ja, das ist irgendwie tragisch, weiß jetzt auch nicht."
    "In Bayern ist es insofern blöd, weil jeder eine Referendarstelle bekommt. Da werden einfach keine Leute eingestellt, weil die Plätze von den Referendaren belegt werden."

    Diese Erfahrung kennt Junglehrer Julius Müller bereits. Seit seinem Abschluss im vergangenen Jahr hält er sich mit drei Jobs über Wasser: Als Sanitätsfahrer, als Doktorand und als Aushilfslehrer:

    "Die Referendare nehmen sich Jahr für Jahr die eigenen Arbeitsplätze weg, da sie bis zu 17 Stunden unterrichten müssen. Diesen Qualitätsstandard in Bayern, der sehr hoch ist, möchten wir natürlich halten, aber geht nicht mit so viel Unterrichtsstunden, denn dann hetzt man nur noch von Klasse zu Klasse und hat keine Zeit darüber zu reflektieren, was habe ich richtig gemacht, was lief falsch, was kann ich verbessern."
    Bayern spart an verbeamteten Lehrern, kritisiert auch der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband BLLV. Und das bei einem Unterrichtsausfall von fünf Prozent. Da müssten doch mehr mobile Reserven eingeplant werden. Warum also nicht die Junglehrer, die jederzeit einspringen könnten bei Krankheit eines Kollegen. Hinzu komme eine aktuelle Dienstrechtsreform, die es Lehrern seit diesem Jahr ermöglicht, auch zum Halbjahr in Pension zu gehen:

    "Wir als BLLV haben den Kultusminister bereits im Frühsommer 2011 daran erinnert, dass wir im Februar 2012 mehr Lehrer brauchen, weil es da die Möglichkeit gibt für Pensionierung und Altersteilzeit. Wir haben damals gesagt, wir brauchen mindestens 500 Lehrer. Der Minister hat's nicht gemacht, sondern hat die Junglehrer zu Tausenden aufs Arbeitsamt geschickt."

    Spätestens mit der neuesten Ankündigung von Ministerpräsident Horst Seehofer, bis 2030 alle Schulden des Freisstaates zu tilgen, ist der BLLV alarmiert. Bei diesem Kurs blieben nicht nur die Referendare und Junglehrer auf der Strecke, sondern vor allem die Schüler, so Wenzel. An individuelle Förderung, ein Mantra des Kultusministeriums, sei da gar nicht zu denken.

    Mittlerweile bewerben sich immer mehr bayerische Lehramtsabsolventen bei der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, sagt das ZfA. Weltweit gut 1000 Schulen, davon 140 deutsche Auslandsschulen freuen sich über die jungen Bewerber, die Deutschland den Rücken kehren. Für den deutschen Staat ein volkswirtschaftliches Fiasko: Die Ausbildung eines Lehramtsstudierenden bis zum 2. Staatsexamen kostet rund 100.000 Euro.

    Man sollte sich als Lehramtsstudierender eben die offizielle "Prognose zum Lehrerbedarf in Bayern" anschauen, sagt die bildungspolitische Sprecherin der bayerischen FDP Renate Will:

    "Wir können nicht alle, die sich für Lehramt entscheiden übernehmen. Andere Berufe, wie Juristen, müssen sich auch auf dem freien Markt umsehen."

    "Bereits seit Beginn des Jahres 2012 stehen den Gymnasien zusätzliche 4,5 Millionen Euro für Aushilfslehrkräfte zur Verfügung", heißt es jetzt aus dem Kultusministerium.

    Wie die Lage der Referendare, der Unterrichtsausfälle und individuellen Fördermöglichkeiten tatsächlich steht an den bayerischen Gymnasien, dürfen die betroffenen Schulen selbst nicht sagen. Ein extra Rundschreiben verbietet den Schulleitern, über die Lehrersituation zu sprechen.