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Arbeitsmarkt
Immer mehr Geringqualifizierten droht Armut

Menschen mit geringer Bildung sind in Deutschland immer häufiger von Armut bedroht. 2014 galt fast jeder dritte Geringqualifizierte über 25 Jahren als armutsgefährdet - das Risiko ist damit binnen zehn Jahren deutlich gestiegen. Die Quote in der Gesamtbevölkerung blieb hingegen relativ stabil.

Von Brititte Scholtes | 27.08.2015
    Jobcenter in Leipzig
    Jobcenter in Leipzig: Obwohl sie mehrere Jobs machen, fehlt Geringqualifizierten Geld, um ein gutes Leben führen zu können. (dpa / Waltraud Grubitzsch)
    Die Zahl der Deutschen, die in die Armut abzurutschen drohen, ist mit 15,4 Prozent stabil geblieben: "Armutsgefährdet" ist in der Sprache der Statistiker derjenige, der weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erzielt – staatliche Hilfen wie Wohn- oder Kindergeld eingerechnet. In Zahlen ausgedrückt entspricht das für 2014 917 Euro beziehungsweise weniger.
    Besonders gefährdet sind dabei Geringqualifizierte: Ein Drittel von ihnen im Alter von mindestens 25 Jahren könnte in Armut abrutschen, vor zehn Jahren drohte das nur einem Viertel. Doch insgesamt ist der Anteil der Geringqualifizierten gesunken auf gut 13 Prozent – nach 17 Prozent vor zehn Jahren. Bildung und Qualifikation seien eben von großer Bedeutung für die persönliche Einkommenssituation, sagt Judith Niehues vom Institut der deutschen Wirtschaft:
    "In den unteren Einkommensschichten können wir eigentlich eine deutlich unterdurchschnittliche Erwerbstätigkeit erkennen, was aber eigentlich zeigt, dass ein Arbeitsplatz, eine Vollzeittätigkeit, ein guter Weg ist, um zu höheren Einkommensschichten dazuzugehören. Das heißt, man sollte sicherlich da versuchen, durch besseren Zugang zum Arbeitsmarkt, bessere Bildungschancen die Durchlässigkeit von der unteren Einkommensschicht in die Mittelschicht zu erhöhen."
    Arbeitsmarktforscher: Ausweitung der Arbeitszeiten könnte geringqualifizierten Beschäftigten helfen
    Zu der zählen diejenigen, die eben mehr als 60 Prozent des mittleren Einkommens erzielen – bis hin zu 200 Prozent. Einer Studie der Universität Duisburg-Essen zufolge schrumpft diese Bevölkerungsgruppe aber und das trotz des guten Arbeitsmarkts: Gehörten ihr 1993 noch 56 Prozent an, waren es 2013 nur noch 48 Prozent. Die Unterschicht hingegen wachse, weil viele sich im Niedriglohnsektor nur mit mehreren Jobs über Wasser halten könnten, erklärt Thorsten Kalina, einer der Autoren der Studie:
    "Wenn man das zusammenrechnet – schlechter Stundenlohn und wenig Stunden pro Woche – kommt am Ende des Monats halt wenig zusammen. Von daher können am Ende des Monats halt viele nicht mehr von ihrer Arbeit leben. Auch wenn wir mehr Köpfe in Beschäftigung haben, sind das oft Stellen mit sehr kurzen Arbeitszeiten und sehr schlechter Bezahlung."
    Eine Ausweitung der Arbeitszeiten könne den Beschäftigten helfen. Und auch die Duisburger Forscher plädieren für bessere Qualifikation, um einer solchen Situation vorzubeugen. Judith Niehues vom Institut der deutschen Wirtschaft hält jedoch die Struktur der Bevölkerung für recht stabil – zumindest wenn man die letzten zehn Jahre betrachtet. Der Wendepunkt am Arbeitsmarkt sei 2005 erreicht worden, sagt die Expertin:
    "Wir sehen jetzt auch in den letzten zehn Jahren eine stabile Armutsgefährdungsquote. Das ist aber auch dadurch begründet, dass durch die Lohnzuwächse das Medianeinkommen immer weiter steigt und somit auch das Niveau, um zu einer bestimmten Schicht hinzuzugehören. Das heißt, also selbst wenn die Mittelschicht schrumpfen würde und die Armut steigen würde, kann es sein, dass es trotzdem allen materiell besser geht."
    Nach der letzten "Allbus" jedenfalls, der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften in Deutschland, fühlen sich 60 Prozent der Bevölkerung selbst zur Mittelschicht zugehörig – und erwarten mehrheitlich für die nächsten Jahre höhere Einkommen.