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Arbeitsmigranten aus Nepal
Schulden machen, um zu überleben

Kardaga aus Nepal ist Lehrer, doch sein Verdienst reicht nicht. Er hat als Wachmann in Malaysia angeheuert, und wie viele Andere eine weit überhöhte Vermittlungsgebühr gezahlt. Das ist in Nepal illegal, aber profitabel. Die Auslandsarbeiter machen ein Drittel der Wirtschaftsleistung des Landes aus.

Von Jürgen Webermann | 05.08.2017
    Ein letzter Blick, dann geht es zur Visakontrolle. Miruna will zwei Jahre nach Saudi-Arabien arbeiten.
    Ein letzter Blick, dann geht es zur Visakontrolle. Miruna will zwei Jahre nach Saudi-Arabien arbeiten. (Deutschlandradio / Jürgen Webermann)
    Es ist dieses herzliche Lachen, das an Miruna Tarang sofort auffällt. Dabei ist es ein trauriger Moment. Miruna nimmt Abschied von ihrer Familie.
    "Jetzt fliege ich nach Saudi-Arabien."
    Miruna wird in einem Krankenhaus in Riyad als Putzfrau arbeiten.
    "Ja, mir bleibt nichts anderes übrig. Meine Eltern sind alt und verdienen nichts mehr. Arbeit gibt es hier in Nepal nicht."
    400 Euro, das ist der Verdienst von Miruna in Saudi-Arabien. Einen großen Teil will die 28-jJhrige nach Hause überweisen.
    Die Nepalesin Miruna (2.v.re.) am Flughafen von Kathmandu mit ihrer Familie. Zwei Jahre wird sie sie nicht sehen, sondern in Saudi-Arabien arbeiten.
    Miruna (2.v.re.) am Flughafen von Kathmandu mit ihrer Familie. Zwei Jahre wird sie sie nicht sehen, sondern in Saudi-Arabien arbeiten. (Deutschlandradio / Jürgen Webermann)
    Am Flughafen der nepalesischen Hauptstadt gibt es ein eigenes Terminal für Gastarbeiter. Es voll an diesem Abend. Beamte kontrollieren die Arbeitsvisa der Passagiere, bevor sie zum Check-in dürfen. Im Schnitt 1.600 Nepalesen reisen täglich aus, um ihre Jobs im Ausland anzutreten. Rund 20 Milliarden Euro schicken sie pro Jahr nach Hause – das ist knapp ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung Nepals.
    Die Monitore zeigen acht Flüge an, nach Dubai, in den Oman, nach Saudi Arabien, nach Malaysia. Kardaga ist auf dem Weg nach Kuala Lumpur. Er lässt seine Frau und die sechs Jahre alte Tochter zurück.
    "Ich habe hier zwar eine Arbeit als Lehrer, aber der Verdienst reicht nicht. Ich werde jetzt als Wachmann arbeiten. Eine Vermittlungsagentur hat mir den Job beschafft. Ich habe dafür 130.000 Rupien bezahlt. Für den Medizin-Check, für das Visum."
    Land gegen Geld für die Vermittlungsgebühr
    130.000 Rupien, etwa tausend Euro, das ist sehr viel Geld für das arme Nepal. Kardaga hat es sich geliehen und ein Stück Land verkauft. Eine Quittung für die 130.000 Rupien bekam er nicht. Der Grund: Seit zwei Jahren sind derart hohe Gebühren in Nepal illegal. Die Job-Vermittler dürfen nicht mehr als 10.000 Rupien, also etwa 80 Euro, verlangen. Für Flüge oder Visa müssen die Arbeitgeber aufkommen. Die Regierung hofft, dadurch Gastarbeiter vor Verschuldung und Ausbeutung zu schützen.
    Laxman Bishwa betreibt eine der größten Vermittlungsagenturen in Nepal. Nein, er verlange keine hohen Gebühren mehr, betont er gleich zu Beginn des Gesprächs. Er halte hohe Gebühren für unethisch. Bishva schimpft lange auf Mittelsmänner, die Arbeitswillige in Dörfern werben und dann abkassieren würden. Aber irgendwann platzt es dann doch aus ihm heraus.
    "10.000 Rupien als Höchstgrenze für die Gebühren? Das ist für mich nicht machbar. Manchmal kommen die Arbeitgeber hierher geflogen. Sie wollen fünf Tage im Fünf-Sterne-Hotel übernachten. Und manche kommen danach noch einmal wieder. Wie soll ich da mit 10.000 Rupien pro Arbeiter auskommen?"
    Und überhaupt: Die Arbeitgeber würden jetzt Arbeiter aus Bangladesch oder Afrika einstellen, statt Gebühren für Nepalesen zu übernehmen, sagt Laxman mehrfach. Also umgehen die Vermittler das Gesetz einfach und lassen die Arbeiter für alles zahlen – wenn überhaupt, quittieren sie nur die gesetzlich erlaubten zehntausend Rupien. Kardaga, der Lehrer, weiß, dass auch er viel zu viel bezahlt hat.
    Die ersten Gehälter gehen direkt an den Geldverleiher
    "Aber ich hatte keine Wahl. Sonst hätte mir die Agentur am Ende den Job nicht vermittelt."
    Miruna, die nach Saudi-Arabien will, lacht die Frage nach den Gebühren einfach weg. Stattdessen antwortet ihr kleiner Bruder. Ja, auch Miruna habe sich verschuldet. Die ersten Monatsgehälter werde ein Geldverleiher bekommen, nicht die Familie.
    "Aber meine Schwester geht arbeiten, damit wir alle in Nepal überleben können."
    Dann verschwindet Miruna im Terminal. Zwei Jahre lang wird sie die Familie nicht sehen. Ihr kleiner Bruder sagt, er werde vor allem Mirunas Lachen sehr vermissen.