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Arbeitsstress zum Jahresende
Multitasking überfordert das Gehirn

Die besinnliche Zeit ist vorbei – jetzt geht es an den Jahresendspurt. Wichtig sei es, dabei Prioritäten zu setzen und nicht zwischen unterschiedlichen Tätigkeiten hin und her zu springen, sagen Experten. Denn das überfordere unser Gehirn. Multitasking sei vergleichbar mit Marihuanarauchen.

Von Astrid Wulf | 28.12.2016
    Eine Sachbearbeiterin telefoniert in ihrem Büro.
    Telefonieren, tippen, lesen - mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, ist ineffektiv. (pa/dpa/Seidel)
    Immer kurz vor dem Jahreswechsel herrscht für die Mitarbeiter dieser Lübecker Marketingagentur Hochsaison. Viele Kunden wollen noch schnell ihre Marketingbudgets ausreizen und vergeben einen Auftrag nach dem anderen, sagt Grafiker Tobias Schnoor:
    "Weil ganz viele Kunden der Meinung sind, wir haben noch ganz schnell ein Angebot, was wir unbedingt in die Märkte bringen wollen und das häuft sich am Jahresende doch massiv."
    In der Agentur ist die gute Auftragslage spürbar. Es herrscht eine angespannte Konzentration, für gemütlichen Small Talk haben die Kollegen gerade wenig Zeit. Auch Yves Lehmkuhl sitzt fokussiert am Rechner. Der Teamleiter der Grafik versucht, trotz der Arbeitsflut den Überblick und einen ruhigen Kopf zu behalten. Das klappt meistens – aber eben auch nicht immer:
    "Wenn ich Massen an Mails habe und ich nicht weiß, wie wichtig sind die, und ich komme gar nicht dazu, die irgendwie zu erledigen, dann gerate ich ganz kurz in Panik, überlege mir dann aber eine Lösung, frage im Team, wer mir Aufgaben abnehmen kann, damit ich mich dann auf die Sachen konzentrieren kann."
    Wer delegieren kann, ist klar im Vorteil
    Wer delegieren kann, ist klar im Vorteil, sagt der psychotherapeutische Coach Dirk Schippel im Interview. Wenn sich die Aufgaben auf dem Tisch stapeln, gebe es auch einen guten Trick, um Prioritäten für sich sortieren zu können.
    "Ich stelle mir am Anfang immer eine Frage, und zwar die Frage: Ist das, was da auf mich zukommt, dringend und ist es wichtig. Und danach orientiere ich dann: Mache ich es selber, mache ich es sofort, oder delegiere ich es gegebenenfalls auch an jemand anderen."
    Erst recherchieren, dann die Beschwerde bearbeiten, dann noch mal die Bilanz checken? Lieber nicht. Sinnvoller sei es, nicht zwischen unterschiedlichen Tätigkeiten hin und her zu springen, sondern Aufgaben zu bündeln.
    Aufgaben erledigen, die eine Gleichartigkeit haben
    "Es lohnt sich wirklich, Arbeitsaufgaben zusammenzufassen. Telefonieren: dann nur telefonieren. Wenn ich Arbeitsaufträge erledigen möchte, die eine Gleichartigkeit haben, nehme ich mir die vor, damit das Hirn sich gleich daran gewöhnen kann und in dem Modus bleibt, der eben besonders produktiv ist."
    Wenn trotzdem ständig das Telefon klingelt oder der Kollege tausend Fragen stellt, ist es nicht immer leicht, konzentriert zu bleiben, das kennt auch Grafiker Tobias Schnoor.
    "Man hat sich gerade in ein Projekt reingearbeitet, da klingelt das nächste schon, muss telefonieren, ist wieder raus, muss neu reinkommen, das ist schon nicht ganz so einfach."
    Prioritäten richtig setzen
    Vor allem ist es total unproduktiv. Telefonieren und gleichzeitig einen Auftrag bearbeiten, nebenbei eine E-Mail schreiben – der Versuch, zwischen mehreren Tätigkeiten hin und her zu wechseln, überfordert unser Gehirn, so Coach Dirk Schippel. Forscher hätten herausgefunden, "dass gerade Multitasking vergleichbar ist – mit der Konzentrationsabschwächung her – mit Marihuanarauchen oder teilweise sogar doppelt so schlechte Konzentrationswerte hervorruft. Es ist fast besser, zu kiffen am Arbeitsplatz, als exzessiver Multitasker zu sein."
    Prioritäten richtig setzen, Aufgaben auch mal abgeben oder sinnvoll aufschieben, und sich immer nur auf eine Aufgabe konzentrieren – so kommt man auch durch stressige Zeiten. Das Gute ist ja: In den meisten Fällen haben arbeitsreiche Phasen irgendwann auch ein Ende – für die Mitarbeiter dieser Lübecker Marketingagentur wird’s nächste Woche schon wieder entspannter. Und bis dahin heißt es für Tobias Schnoor uns seine Kollegen: Durchhalten.
    "Gut, den einen oder anderen Tag kommt man etwas müder zur Arbeit, braucht etwas mehr Kaffee als normal, aber im Normalfall hält sich das bei mir in Grenzen. Ich kenn das auch gar nicht anders. Ich brauch das."