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Arbeitszeit
Barthel hält Abschaffung von Acht-Stunden-Tag für möglich

Der SPD-Politiker Klaus Barthel ist grundsätzlich dafür offen, die Höchstarbeitszeit neu zu regeln. Der Bundestagsabgeordnete sagte im Deutschlandfunk, für viele Beschäftigte gelte der Acht-Stunden-Tag bereits jetzt nicht mehr. Allerdings forderte er, dass Arbeitnehmer nach Feierabend nur begrenzt erreichbar sein müssten.

Klaus Barthel im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.07.2015
    Klaus Barthel, SPD Politiker spicht am 20. Oktober 2011 im deutschen Bundestag in Berlin über die Rohstoffpolitik und Rüstungsexporte.
    Klaus Barthel, SPD Politiker spicht am 20. Oktober 2011 im deutschen Bundestag in Berlin über die Rohstoffpolitik und Rüstungsexporte. (imago/Metodi Popow)
    Angesichts der digitalen Entwicklung seien Mitarbeiter ständig erreichbar, sagte der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD (AfA). Bisher sei aber völlig unklar, ob eine Erreichbarkeit am Wochenende oder nach Feierabend als Arbeitszeit gelte, so Barthel. Dafür brauche es neue tarifliche Regelungen.
    Barthel fordert konkrete Vorschläge
    Barthel forderte die Arbeitgeber auf, konkrete Vorschläge zu machen. "Wenn die Arbeitgeber mehr Flexibilität wollen, müssen sie bereit sein, die Arbeitszeit zu begrenzen." Dass Arbeitnehmer nach einem normalen Acht-Stunden-Tag noch erreichbar sein müssten, könne nicht sein.
    Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hatte in einem Positionspapier vorgeschlagen, die Begrenzung auf einen Acht-Stunden-Tag zugunsten einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit abzuschaffen. Bundesarbeitsministerin Nahles spricht sich bisher gegen eine Änderung aus.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Ist der deutsche Achtstundentag noch zeitgemäß? Sind die Arbeitszeitregelungen bei uns zu starr für eine 24-Stunden-Online-Wirtschaft weltweit? Ja, der Achtstundentag sollte überdacht werden, das sagt zumindest die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. In einem Positionspapier machen sie sich dafür stark, das Arbeitszeitgesetz entsprechend zu ändern und nicht länger einen Achtstundenarbeitstag vorzuschreiben, sondern eine Wochenarbeitszeit, dann könnten die Unternehmen und die Unternehmer ihre Mitarbeiter flexibler einsetzen. Am Telefon ist jetzt Klaus Barthel, SPD-Bundestagsabgeordneter und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, kurz AfA. Schönen guten Morgen, Herr Barthel!
    Klaus Barthel: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
    "Arbeitszeiten müssen menschlich sein"
    Armbrüster: Herr Barthel, ist der Achtstundentag tatsächlich eine Idee von gestern, die nicht mehr ins 21. Jahrhundert passt?
    Barthel: Wir müssen erst mal feststellen, dass ja jetzt schon für viele Beschäftigte leider der Achtstundentag nicht mehr gilt und dass wir eher einen Bedarf haben, die Arbeitszeit wieder einzugrenzen, um wirklich wieder zu den acht Stunden zurückzukommen und das auch stärker zu kontrollieren. Denn hier hat sich sehr viel Wildwuchs gebildet. Und das Thema müsste eher sein, wie kontrollieren wir die Arbeitszeiten so, dass sie auch menschlich sind und die Gesundheit der Leute auf die Dauer erhalten.
    "Digitalisierung droht Arbeitszeiten beliebig auszudehnen"
    Armbrüster: Aber wenn dieser Wildwuchs tatsächlich eingesetzt hat, zeigt dann die Realität nicht, dass dieser Achtstundentag tatsächlich eigentlich nur noch Makulatur ist?
    Barthel: Ja, das mag in vielen Bereichen so sein. Man muss ja zunächst mal auch sagen, wenn dann von Wochenarbeitszeit die Rede ist, reden wir ja im Moment bei der gesetzlichen Grundlage von sechs mal acht Stunden, weil der Samstag als Werktag gilt. Und das ist eindeutig zu viel. Und deswegen müssten wir den Versuchen der Arbeitgeber jetzt widerstehen, die Digitalisierung zum Vorwand zu machen, die Arbeitszeiten beliebig auszudehnen.
    Denn das ist ja genau das Problem von heute, dass sich viele Menschen gehetzt fühlen, dauernd gefordert fühlen auch durch die digitale Erreichbarkeit, dass von ihnen erwartet wird, dass sie jederzeit arbeiten. Also, genau hier müssen wir Entwicklungen zurückdrängen und das müssen wir auf gesetzlichem Weg tun, aber das muss natürlich auch in den Betrieben laufen durch Betriebsvereinbarungen und betriebliche Praktiken.
    Armbrüster: Nun ist es aber nun mal tatsächlich in der Realität so, dass immer mehr Unternehmen darauf angewiesen sind, dass ihre Mitarbeiter zum Beispiel auch mal abends eine E-Mail beantworten, die zum Beispiel aus den USA oder aus Fernost reinkommt, die man nicht am Nachmittag oder am Morgen im Büro öffnen kann, dass sich dann die Leute vielleicht auch samstags oder sonntags noch mal für eine halbe Stunde ans Laptop setzen, vielleicht auch ganz ohne Druck, sondern weil das einfach ganz selbstverständlich mit zu ihrer Arbeit gehört. Wäre es da nicht wirklich sinnvoll, von solchen starren gesetzlichen Vorgaben abzurücken?
    Barthel: Nun, das Gesetz verhindert ja solche Regelungen nicht. Sondern auf betrieblicher Ebene und zum Beispiel auch tariflicher Ebene müsste eben geregelt werden, wie die Arbeitszeiten liegen. Und das Problem ist ja im Moment, dass das überhaupt nicht klar ist, ob zum Beispiel die Erreichbarkeit am Wochenende als Arbeitszeit zählt, ob zum Beispiel die Erreichbarkeit als eine Arbeitszeit gewertet wird, so wie es eben eine Rufbereitschaft in manchen Bereichen gibt.
    Das ist ja dann eigentlich Arbeitszeit. Und die Frage ist ja nur, wie regelt man so was zum Beispiel im Rahmen von einem Sieben- oder Achtstundentag. Und wenn die Arbeitgeber Flexibilität wollen, dann müssen sie im Gegenzug bereit sein, die Arbeitszeit zu begrenzen und zu kontrollieren. Denn da gibt es ja in den Betrieben, wie Sie mit Recht sagen, schon Praktiken, die auch handhabbar sind. Die Frage ist nur, wie sieht das dann im Ergebnis für die Beschäftigten aus? Heißt das, wie so manche Arbeitgeber meinen, man hat einen normalen Achtstundentag im Büro zu absolvieren und dann noch zusätzlich erreichbar zu sein? Das kann es natürlich nicht sein.
    Oder sagt man eben, ja, die Arbeitszeit ist auch die Zeit der Erreichbarkeit und muss dann auch entsprechend auf die Wochenarbeitszeit und auf die tägliche Arbeitszeit angerechnet werden? Dazu gibt ja die Digitalisierung auch technische Möglichkeiten. Und hier müssen die Arbeitgeber mal dann mit konkreten Vorschlägen rüberkommen, wie sie so was in Grenzen halten wollen.
    Armbrüster: Welche technischen Möglichkeiten sind das denn?
    Barthel: Nun, die Digitalisierung macht ja ganz klar unterscheidbar zum Beispiel, wann jemand erreichbar ist, wann jemand online ist, wann jemand offline ist. Und das muss eben dann auch durch zum Beispiel Betriebsräte kontrollierbar sein. Und die Arbeitgeber müssen ...
    "Am Wochenende muss man auch über Zuschläge reden"
    Armbrüster: Wenn wir das etwas genauer fassen würden, würde das konkret heißen, dass zum Beispiel ein Arbeitnehmer, der sonntags sich noch mal eine halbe Stunde zu Hause an den Computer setzt, dann montags eine halbe Stunde eine halbe Stunde später ins Büro kommen kann?
    Barthel: Zum Beispiel. Es ist ja dann registriert die Arbeitszeit und am Wochenende muss man natürlich auch über Zuschläge dann reden, oder wenn es abends oder nachts ist, geht es auch um Nacht- und Überstundenzuschläge. Das gibt es in allen möglichen Arbeitsbereichen und das muss natürlich für die digitale Arbeit genauso gelten wie bei der Feuerwehr, im Krankenhaus oder in anderen Bereichen, wo es solche flexiblen Arbeitszeiten gibt oder wo es rund um die Uhr Arbeit gibt.
    Armbrüster: Nun sagen ja, Herr Barthel, die Arbeitgeber gar nichts grundsätzlich dagegen, dass die Arbeitszeit gesetzlich festgelegt werden soll, sie sagen nur einfach, lasst uns das nach einer Wochenarbeitszeit festlegen und nicht nach einer Tagesarbeitszeit von acht Stunden. Können Sie sich da nicht einigen?
    Barthel: Nun, einmal, der gesetzliche Rahmen ist ja ohnehin flexibel, der ermöglicht es ja, bis zu zehn Stunden am Tag zu arbeiten, dann muss nur innerhalb einer überschaubaren Zeit das wieder ausgeglichen werden. Aber da muss man schon fragen, ob das auch im Sinne der Arbeitgeber sein kann: Wenn digitale Arbeit geleistet wird, ist das ja eine Arbeit, die immer mehr verdichtet ist, die immer anstrengender ist und die eigentlich in einer produktiven und gesundheitserhaltenden Form auch nicht mehr als acht Stunden am Tag geleistet werden sollte.
    Darüber muss ja auch mal diskutiert werden, die Folgen der Digitalisierung führen ja heute schon dazu, dass immer mehr Leute psychisch erkranken, den Stress nicht mehr aushalten. Und davon hat ja der Arbeitgeber am Ende auch nichts.
    Ängste abbauen, anstatt sie zu verstärken
    Armbrüster: Was ist denn Ihre Einschätzung, warum eröffnen die Arbeitgeberverbände diese Debatte jetzt?
    Barthel: Nun, sie sehen jetzt in der Diskussion über die digitale Agenda, über die digitale Arbeit die Chance, auch hier wieder in den Betrieben die Menschen unter Druck zu setzen, die Gesetzgeber unter Druck zu setzen, dass gesetzliche Schutzregelungen, die seit vielen Jahrzehnten bestehen, aufgeweicht werden. Und ich verstehe das zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht, denn wir treten ja gerade in einen Dialog ein, der dazu führen soll, dass Ängste abgebaut werden vor den Veränderungen, die mit Sicherheit auf uns alle zukommen werden. Und da wäre es viel schlauer, man würde jetzt diesen Dialog nutzen, um eben zu konkreten Vereinbarungen zu kommen, wie auch unter diesen neuen Bedingungen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschützt werden können, anstatt die Gelegenheit zu nutzen, jetzt wieder Schutzregelungen aufzuweichen.
    Also, die Arbeitgeber sehen natürlich in der Digitalisierung die Chance, hier wieder in die Offensive zu kommen, aber ich glaube, sie tun sich damit keinen Gefallen, weil die Ängste und Widerstände so größer werden.
    Armbrüster: Live hier im Deutschlandfunk war das Klaus Barthel, der SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Vielen Dank, Herr Barthel, für Ihre Zeit heute Morgen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.