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Archäologie
Massen-Opferstätte in Peru entdeckt

Die spanischen Chroniken der Kolonialzeit erzählen schaurige Geschichten von rituellen Menschenopfern. Die Handlungen sollten die Götter besänftigen, wenn sich etwa Naturkatastrophen erreigneten. Jetzt sind Archäologen in Peru auf die Reste einer Massenopferung gestoßen: 140 Skelette stammten dabei von Kindern.

Von Michael Stang | 07.03.2019
Für die Chimú typische Bestattung: Ein Kind liegt mit angezogenen Beinen im Wüstensand auf dem Rücken. Es liegt auf einem Tuch, das auch den Kopf bedeckt.
Nach dem Opferritual der Chimú wurden die Kinder mit gebeugten Beinen auf dem Rücken bestattet. (Gabriel Prieto / PLOS ONE)
2011 fegte ein Sandsturm über die Nordküste Perus hinweg. Der Wind legte die Zeugnisse eines längst vergessenen Rituals frei. Kinder entdeckten beim Spielen zahlreiche Knochen. Archäologe Gabriel Prieto leitete gerade in der Nähe eine Ausgrabung und wurde herbeigerufen. Es war der Beginn einer beispiellosen Entdeckung, so der Archäologe von der Nationalen Universität von Trujillo.
"Das Gebiet war übersät mit menschlichen Überresten. Aus dem Sand ragten Schädel, das deutete auf intakte Gräber hin. Wir haben direkt eine Notgrabung organisiert und in weniger als einer Stunde hatten wir mehr als zwölf Leichname entdeckt, zudem Lamas."
"Das Gebiet war übersät mit menschlichen Überresten"
Schnell war klar, dass es an dieser Stelle noch mehr Gräber gibt. Gabriel Prieto kontaktierte den US-amerikanischen Anthropologen John Verano von der Tulane Universität in New Orleans. Dieser kümmerte sich um die Finanzierung und organisierte eine groß angelegte Ausgrabung. Bis 2016 entdeckten die Forscher auf einer Fläche von rund 700 Quadratmetern die Gräber von mindestens 140 Kindern aus dem 15. Jahrhundert. Die Leichname waren sorgsam in Leinentücher gewickelt, einige auch geschminkt. Zudem wurden 200 junge Lamas geopfert. Die Kinder und die Tiere wurden offenbar alle innerhalb weniger Tage getötet.
Vom Wind freigelegte Skelette von Kindern und Lamas, die von den Chimú im 15. Jahrhundert geopfert wurden.
Die Fundstätte Huanchaquito-Las Llamas im Moche Valley, Peru: 140 Kinder und 200 junge Lamas wurden nach dem Opferritual im Wüstensand begraben. (Gabriel Prieto / PLOS ONE)
"Als erstes haben wir das Sterbealter bestimmt, was immer zwischen fünf und 14 Jahren lag. Die Todesursache war auch schnell klar. Bei den intakten Skeletten konnten wir einen sauberen Schnitt quer über dem Brustbein ausmachen. Das deutet darauf hin, dass der Brustkorb geöffnet wurde, um an das Herz zu gelangen."
Ein Massen-Opferritual der Chimú-Kultur
Die Toten gehören alle zur Chimú-Kultur, die von 1250 bis etwa 1470 entlang der Pazifikküste vorherrschte, bis sie von den Inka abgelöst wurde. Keine 800 Meter von der Ausgrabungsstätte entfernt befindet sich die UNESCO-Weltkultur-Stätte Chan Chan, der einstige Verwaltungssitz der Chimú. Die Untersuchungen der menschlichen Überreste ergaben, dass sowohl Jungen als auch Mädchen getötet wurden. Die ersten genetischen Analysen, sowie die Erhebungen mithilfe stabiler Isotopen deuten darauf hin, dass die Kinder aus verschiedenen Regionen kamen.
"Das zeigt, wie mächtig der Chimú-Staat damals war, ein derartiges Opfer zu verlangen oder zumindest zu akzeptieren, dass hunderte Kinder geopfert wurden. Den genauen Vorgang kennen wir nicht."
Warum aber töteten die Chimú, so John Verano, das wertvollste, was sie hatten? Der US-Anthropologe hat nur eine schlüssige Erklärung parat.
Auf schwere Regenfälle folgten Schlammlawinen
"Den einzigen Beweis, den wir haben, aber der ist ziemlich eindeutig, ist, dass die Kinder unmittelbar nach einem heftigen Regen bestattet wurden. In der Region ist Niederschlag selten, es sei denn, das Klimaphänomen El Niño schlägt zu. Und genau das ist unserer These zufolge damals passiert. Die Kinder wurden in frischem Schlamm beerdigt, darauf deuten auch Fußabdrücke von Kindern, Erwachsenen und Tieren hin. Damals gab es also ungewöhnlich heftige Schlammlawinen, die nur durch schwere Regenfälle entstehen. Wir vermuten, dass die Kinder geopfert wurden, um den Regen zu stoppen und die Umwelt wieder ins Gleichgewicht zu bringen."
Und offenbar war dieses gewaltige Opfer kein Einzelfall, auch wenn es bis heute die größte bekannte Opferstätte Südamerikas darstellt. Gerade arbeiten Gabriel Prieto und John Verano an zwei weiteren Ausgrabungsstätten in der Nähe, die ein ähnlich grausames Bild zeigen. Auch hier wurden ersten Erkenntnissen zufolge mehr als einhundert Kinder getötet. Offenbar ist dieses Kapitel der Chimú noch lange nicht archäologisch aufgearbeitet.