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Archäologie
Verräterischer Zahnschmelz

Im Jahr 2010 wurde im britschen Weymouth ein Massengrab entdeckt. Untersuchungen ergaben, dass 51 enthaupteten Männer vor gut 1000 Jahren gelebt hatten. Woher sie stammten, konnte bisher nicht geklärt werden. Analysen des Zahnschmelzes könnten nun wichtige Hinweise liefern.

Von Michael Stang | 02.09.2014
    "Vor den Olympischen Spielen in London wurde eine Straße erweitert, die den Zugang zur Küste ermöglichen sollte. Die Bauarbeiter stießen dabei auf ein Massengrab: 51 Skelette, alle mit einem Schwert geköpft",
    sagt Jane Evans vom British Geological Survey in Nottingham. Nachdem die Polizei die Fundstelle an der A354 in Weymouth begutachtet hatte, war schnell klar, dass nicht sie, sondern Archäologen zuständig waren. Zunächst vermuteten die Forscher, dass es sich um ein Grab aus der Römerzeit handelt, doch Datierungen ergaben ein Alter von 910 bis 1030 nach Christus.
    "Es stellte sich heraus, dass es ein Grab aus der Wikingerzeit war. Also lag es auf der Hand, dass die Toten entweder Briten waren oder, dass sie aus Skandinavien kamen. Wir erhielten den Auftrag, mithilfe von Strontium- und Sauerstoffisotopenanalysen zu klären, ob die Toten nun aus dieser Gegend kamen oder von außerhalb."
    Die Geochemikerin hat sich auf die Untersuchung stabiler Isotope spezialisiert, die sich im Zahnschmelz nachweisen lassen. Das sind Atome eines Elements, die nicht radioaktiv sind, also im Laufe der Zeit nicht zerfallen. Ihre Konzentration und Verhältnisse geben an, wo eine Person aufgewachsen ist.
    "Als wir die Daten von den Sauerstoffisotopen bekamen, war klar, wie ungewöhnlich die Ernährung dieser Männer war. Sie konnten ihre Kindheit nicht auf der britischen Insel verbracht haben, sondern weiter östlich. Angesichts der Fundzeit dachten wir, dass es Wikinger aus Skandinavien waren, dass sie also aus Norwegen oder Schweden stammen. Aber hier machten uns die Strontiumanalysen einen Strich durch die Rechnung."
    Die Strontium- und Sauerstoffanalysen allein konnten die Herkunft der Männer nicht aufklären. Diese zeigten nur, dass es eine Kerngruppe von Männern gab, die aus demselben Gebiet kam. Die andere Hälfte stammte aus anderen, nicht weit entfernten Regionen. Jane Evans und ihre Kollegen machten weitere Zahnschmelzanalysen.
    "Aber eine Gemeinsamkeit gab es: alle Männer hatten sehr geringe Bleianteile in ihren Zähnen. Das deutet darauf hin, dass sie eine kulturelle Identität hatten. Einen solch niedrigen Bleigehalt kennen wir aber wir weder aus dieser Zeit noch aus dieser Gegend. Die Bleiergebnisse haben mich anfangs sehr überrascht, aber langsam fügt sich alles zu einem stimmigen Bild zusammen."
    Erst vor wenigen Wochen fand Jane Evans einen weiteren Anhaltspunkt, woher die Männer stammen könnten. Denn Forscher aus Norwegen hatten erstmals eine detaillierte eine Karte über die Verteilung des Bleigehalts in den Böden Europas ausgearbeitet. Der Bleigehalt ist über die Jahrtausende hinweg recht stabil, aber von Region zu Region unterschiedlich. Die 51 jungen Männer, deren Schädel am Rande des Grabes neben die Skelette gekippt wurden, stammten alle aus dem östlichen Europa, irgendwo in Küstennähe in dem Gebiet bei Polen und dem Baltikum.
    "Wir gehen davon aus, dass es sich bei den Toten um die Besatzung eines Schiffs handeln könnte. Wenn sie außerhalb kamen, das ging ja nur per Schiff. Die Männer sind also als Fremde nach Britannien gekommen, wurden dort gefangen genommen und exekutiert."
    Jane Evans hofft, dass die Skelette bald auch genetisch untersucht werden. Sie hätte gerade hier auf der Konferenz in Basel mit einigen Paläogenetikern erste Gespräche dazu gehalten. Nun sei sie optimistisch, dass sie und ihre Kollegen das Herkunftsrätsel der exekutierten Männer bald vollständig lösen können. Der Grund für die Hinrichtung hingegen wird sich vermutlich aber nie aufklären lassen.