Dienstag, 23. April 2024

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Architektur und Gesellschaft
"Erfolg ist, wenn sich die Menschen in den Gebäuden wohlfühlen"

Ob Einkaufszentrum oder Stadtbibliothek - seit 50 Jahren prägt der Architekt Eckhard Gerber Deutschland mit seinen Bauten. Der Zeitgeist verändere sich, so Gerber im Dlf. Architekten müssten diesen Zeitgeist vorher aufspüren, damit die geplanten Bauten bei der Umsetzung der Moderne entsprechen.

Eckhard Gerber im Gespräch mit Jochen Rack | 22.09.2019
April 29, 2013 - Riyadh, Saudi Arabia - Facade of King Fahad National Library in Riyadh. Riyadh Saudi Arabia PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAp133 April 29 2013 Riyadh Saudi Arabia facade of King Fahad National Library in Riyadh Riyadh Saudi Arabia PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY ZUMAp133
Die King Fahad Nationalbibliothek in Riad (imago stock&people)
Schon als Kind konnte Gerber stundenlang Baustellen beobachten, später half er in der dörflichen Schreinerei. Er stammt aus einer thüringischen Pfarrersfamilie, in der das Geld knapp war. Schon früh baute er im Garten Kaninchenställe und Bienenhäuser, denn die Familie mit sechs Kindern musste sich selbst versorgen. Sein Studium finanzierte Gerber als Jazz-Trompeter in Clubs. Für seinen Traum vom Studium musste der Pfarrerssohn aus Thüringen allerdings raus aus der DDR. In Berlin nahm er die Straßenbahn gen Westen. Unter der Bezeichnung "Werkgemeinschaft 66" begann Eckhard Gerber in Meschede als freischaffender Architekt mit einem Zwei-Mann-Büro.
Heute gehören zu dem renommierten Architekturbüro 190 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zum Standort in Dortmund kamen weitere in Berlin, Hamburg, Riad und Shanghai hinzu. Der heute 80-jährige Dortmunder Architekt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Büros bauen international mit vielen Auszeichnungen. „Das sind immer die einfachen, klaren Dinge, die einen Menschen prägen." Eckhard Gerber fasziniert das praktische Bauen mit Verantwortung bis heute.

Jochen Rack: Herr Gerber, Sie haben als Architekt seit 50 Jahren die Architektur in Deutschland mitgeprägt – vor allem die öffentliche Architektur, kann man sagen –, denn Sie haben sehr viele Bauten für die öffentliche Hand realisiert: verschiedene Hochschulgebäude, das Landesfunkhaus in Magdeburg, die neue Messe in Karlsruhe, um nur einige zu nennen. Sie haben aber auch für private Auftraggeber gebaut, zum Beispiel Hochhäuser in Dortmund sowie in diesem Jahrzehnt einige repräsentative Gebäude im Ausland, insbesondere in Saudi-Arabien in Riad. Wenn Sie mal diese 50 Jahre, die Sie jetzt als Architekt tätig sind, Revue passieren lassen und sich mal so überlegen, was sind denn eigentlich die ästhetischen Hauptströmungen, die sich in diesen 50 Jahren verändert haben bis jetzt in die Gegenwart?
Eckhard Gerber: Ja … Im Grunde genommen sind es ja immer wieder die gleichen Themen, die uns beschäftigen. Und die Bearbeitung dieser Themen und Aufgaben passieren aber in verschiedenen Zeiten, und im Laufe der Zeit verändert sich natürlich der Zeitgeist. Als Architekt muss man sehen, dass man diesen Zeitgeist schon auch vorher erspürt, um die Dinge, die geplant werden, die ja erst dann in fünf Jahren oder manchmal noch später Realität werden, dass die dann eben der Moderne entsprechen. Das bedeutet nicht, dass man modisch mit der Zeit geht, sondern dass man wirklich den Zeitgeist aufspürt, um sich auch zu bewähren, in 50 Jahren Architektur zu machen.
Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im Gespräch mit dem Architekten Eckhard Gerber
Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im Gespräch mit dem Architekten Eckhard Gerber (Bernd von Jutrczenka/dpa)
Rack: Jetzt werden wir uns mal konkret diese Zeiten oder diese Epochen oder Jahrzehnte anschauen, die da vergangen sind. Also, wenn wir jetzt heute auf Architektur der 60er- oder 70er-Jahre blicken, dann haben wir doch oft den Eindruck, das ist also relativ primitive Schachtelarchitektur, es ist vielfach auch sehr viel mit Beton gearbeitet, die Fassaden sind nicht sehr offen, vielfach wird es als hässlich empfunden. Ist das eine Beobachtung, die Sie teilen würden?
Gerber: Na ja, der sogenannte Brutalismus – also die Betonbauten – war so in den 60er-, 70er-Jahren, in der Zeit haben wir auch Dinge gebaut wie zum Beispiel eine Grundschule in Lippstadt, die war gänzlich Beton, die war innen Beton, außen Beton, alles schöner Sichtbeton mit Brettschalung und dann mit schönen farbigen Einbauten. Und sie waren in konstruktivem Leichtbeton gebaut und eigentlich schon ein Vorweggriff dessen, was heute auch wieder vom Energetischen her gewünscht wird.
"Die autogerechte Stadt ist keine Stadt, wo man sich als Mensch wohlfühlen kann"
Rack: Aber von der ästhetischen Seite mal betrachtet: Also, wir gehen in unsere Stadtzentren, da stehen oft diese Kaufhäuser rum, meistens klotzartige Bauten mit geschlossenen Fassaden. Ich denke an Karstadt-Gebäude, an Kaufhof-Gebäude, diese Dinge. Man hat den Eindruck, da wurde also groß geklotzt. Also auch, wenn wir nach Dortmund schauen, da ist so ein großes Gebäude abgeworfen worden im Zentrum, ein Bankgebäude, vielfach empfinden wir diese Art der Architektur heute eigentlich als nicht mehr zeitgemäß, abstoßend oder vielleicht eben sogar hässlich.
Gerber: Na ja, das ist ja ein ganzes Thema, wie Städte nach dem Krieg wiederaufgebaut worden sind. Und da gab es eine Entscheidung, entweder den alten Grundriss wiederaufzubauen, wie es in Münster oder Lübeck passiert ist, oder eine Entscheidung, eine moderne Stadt, in Anführungszeichen, daraus zu machen, zum Beispiel aus Dortmund. Und das war eben ein bisschen tragisch, weil es dann die sogenannte autogerechte Stadt wird und eigentlich der ganze Grundriss und die Maßstäblichkeit dieser Stadt verloren gegangen ist. Und dann ist es natürlich auch sehr schwierig, mit neuen Gebäuden das wieder zurückzugewinnen, was so eine Stadt mal an Charakter hatte. Und die autogerechte Stadt ist eben keine Stadt, wo man sich als Mensch wohlfühlen kann, weil sie eben einen ganz anderen Maßstab hat. Wir haben seit Jahrhunderten, Jahrtausenden die gleiche Größe, wir bewegen uns auch in der gleichen Geschwindigkeit, wenn wir laufen oder rennen oder vielleicht mit dem Pferd gefahren sind. Aber mit dem Beginn des Autos ist ja alles ganz anders geworden, da haben wir plötzlich eine ganz andere Bewegungsschnelligkeit erfahren – und das bricht den menschlichen Maßstab zur Stadträumlichkeit. Das ist eigentlich das Hauptproblem, das auch diese Städte heute haben, die durchgeschlagenen Straßen für die Autos. Und das hat natürlich dann auch zur Folge, dass große Gebäude gebaut worden sind. Das hat auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun, diese großen Kaufhäuser, die können gar nicht diesen Maßstab haben, den so eine Stadt hatte. Dann hätte man einfach diese Fassaden, da hätte man einfach Wohnungen davor bauen können, um kleinmaßstäblich diese großen Gebäude zu machen. Hat man aber nicht, man hat einfach dann irgendwelche Rasterfassaden gemacht, und die sind eigentlich alle ausschließlich überhaupt ästhetisch nicht geglückt.
"Die Postmoderne hat praktisch uns viele Möglichkeiten geöffnet"
Rack: Ich würde sagen hässlich, so könnte man das auch nennen. Aber was soll denn jetzt mit dieser Architektur passieren? Es gab ja dann einige Gegenbewegungen auch gegen diese brutalistische Architektur, etwa die Postmoderne, die versucht hat, dann wieder in irgendeiner Weise diese geschlossenen Bauformen, vielleicht auch diese modernistische Architektur aufzulockern. Wie haben Sie denn diese Bewegung wahrgenommen und wie hat die Sie selbst auch beeinflusst in Ihrer Art und Weise zu bauen?
Gerber: Ich habe schon die Postmoderne sehr genau beobachtet, und es gab so ein Schlüsselerlebnis, das ich hatte, als wir an dem Wettbewerb für den Parc de La Villette in Paris mitgemacht haben, wo plötzlich im landschaftlichen Entwurfskonzept ein postmoderner Entwurf gewonnen hatte, und der war eine völlige Abkehr von dem eigentlichen bisher gedachten englischen Garten. Das war ein tolles Konzept und mich hat das begeistert und fasziniert. Das hat damals der Tschumi ja geplant und dann auch gebaut, und es ist heute auch Stadtbibliothek zu sehen, dass es wunderbar ist. Und die Postmoderne hat praktisch uns viele Möglichkeiten geöffnet, nämlich wieder mit ganz anderen Formen auch arbeiten zu dürfen. Also zum einen auch axial zu bauen, zum anderen eben auch Kreis und Quadrat und Dreieck und diese Dinge wieder einzuführen – und uns also freier zu machen als Architekt als in dem Zwang, den wir hatten von den 60ern in die 70er-Jahre.
"Wir haben keine Zitate, was typisch für die Postmoderne ist, benutzt"
Rack: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, wenn man sich die Bauten anschaut, die Sie selber realisiert haben, dann ist es keine postmoderne Architektur, sondern es ist eine Architektur, die sehr klar strukturiert ist, die sehr einfache, minimalistische Formen setzt, die keine großen Spielereien sich erlaubt, die zwar wohl Säulen auch benutzt, aber nicht in dem Sinn, dass sie zitathaft in irgendeiner Weise, sondern funktional gesetzt sind.
Gerber: Ja, das haben wir immer gemacht. Wir haben keine Zitate, was typisch für die Postmoderne ist, benutzt. Das haben wir nicht getan. Wir haben schon unsere Linie weiter beibehalten, aber wir waren offener gewesen, Konzepte auch anders zu denken, also Gesamtkonzepte. Wir haben damals zum Beispiel in den 70er-, 80er-Jahren die Stadthalle in Hagen gebaut in einem wunderbaren alten Steinbruch. Ein großes Oval mit 60 Meter hohen Felswänden, und das Gebäude sollte dann in den Steinbruch reingebaut werden, das haben wir nicht gemacht. Wir haben es draußen davorgesetzt oder drangesetzt und haben den Steinbruch benutzt als Steingarten und haben dann zu diesen Steinen etwas ganz Gläsernes gebaut, also etwas ganz Filigranes. Und die Landschaft zieht sich in das Gebäude rein, das war bis dahin auch eigentlich nicht denkbar. Aber diese Freiheiten, die hat uns im Grunde genommen die Postmoderne möglich gemacht.
Rack: Indem Sie den Kanon, der vorher herrschte, zertrümmert hat, wenn man so will.
Gerber: Ja.
"Vielleicht ist das eine innere Sehnsucht von mir, diese Öffnung in die Landschaft"
Rack: Und jetzt haben Sie schon einen wichtigen Punkt erwähnt, der für Ihre Ästhetik, glaube ich, ganz zentral ist, nämlich die Transparenz, die Öffnung der Gebäude hin zur Landschaft. Denn wenn man sich die Bauten anschaut, die Sie realisiert haben, dann sind die eigentlich immer so, dass die sich nicht abschließen von der Umgebung, sondern dass sie sich ganz bewusst in diese Umgebung hinein öffnen. Darüber würde ich ganz gerne mit Ihnen sprechen, wie Sie dazu kamen, dass Sie eigentlich sich für diese Art der kommunikativen Architektur entschieden haben.
Gerber: Das war gar keine Entscheidung, das hat sich ergeben. Alle unsere Projekte sind ja Wettbewerbe, an denen wir uns beteiligt haben und die wir dann gewonnen haben, hin und wieder gewonnen haben. Und wir konnten uns ja auch nicht aussuchen, welchen Wettbewerb wir gewinnen, sondern wir haben den einen gewonnen oder den anderen gewonnen. Und diese Projekte waren ja dann eher zufällig, die wir dann als Planungsbeauftragung bekamen. Und im Nachhinein ist mir aufgegangen, dass es sehr, sehr viele Projekte waren, die eben diese Verknüpfung hatten von Gebäude und Landschaft. Also vielleicht ist das irgendwie eine innere Sehnsucht von mir, diese Öffnung in die Landschaft und die Verbundenheit zur Landschaft eben auch zu bauen. Das mag zusammenhängen mit meiner Thüringer Vergangenheit, ich bin ja auf dem Dorf groß geworden und im Wald und in wunderschöner Landschaft, vielleicht hat das den Ausschlag gegeben.
Rack: Biografisch würde das einleuchten, aber man kann ja auch sagen, der Zeitgeist hat Ihnen vielleicht in die Hände gespielt, denn diese Öffnung zur Landschaft, dieses Bewusstwerden auch für die Natur, in die menschliche Architektur eingepasst ist, das ist ja doch etwas, was im Zuge der Ökologiebewegung in den 80er-Jahren, glaube ich, doch viel stärker ins Bewusstsein gekommen ist, dass also dieses sich gegen die Natur Setzen eigentlich eine Form des menschlichen Bewusstseins ist, die nicht sehr zukunftsfähig ist.
Gerber: Na ja, man ist natürlich solchen Strömungen und dem Zeitgeist auch unterworfen, und viele Dinge spielen sich dann auch vielleicht im Unterbewusstsein ab, auch für den Architekten, das ist ja nicht alles bewusst, was wir machen. Und diese Auseinandersetzung mit der Landschaft hat eigentlich begonnen so Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre bei uns. Und das mag auch damit zusammenhängen, weil ich an der Universität in Essen eine Professur bekommen hatte – und zwar war das die Ausbildung für Architekten und Landschaftsarchitekten. Und ich habe mich mit Grundlagen der Gestaltung auch für Landschaftsarchitekten beschäftigt und habe natürlich die Architekten und Landschaftsarchitekten zusammengeholt und habe gesagt: Wenn ihr was macht, ihr müsst es eigentlich immer zusammen machen, denn wenn man sich mit Architektur beschäftigt, beschäftigt man sich automatisch auch mit Freianlagen und Landschaft. Und das ist im Grunde genommen eine Einheit, so habe ich es dann auch immer gehalten, sodass wir auch bei uns im Büro Architektur und Landschaftsplanung in einer Einheit planen.
"Unser größter Erfolg als Architekten ist, wenn sich die Menschen in unseren Gebäuden wohlfühlen"
Rack: Und da gibt es jetzt einen wichtigen Begriff, der vielleicht diese Form des Bauens und diese Form der Architektur charakterisiert, die Sie da realisiert haben, das ist der Begriff der Atmosphäre. Ich glaube, Sie verwenden ihn selber, wenn Sie die Bauten beschreiben. Und dieser Begriff ist auch ein Begriff, wie mir aufgefallen ist, der eben in der Philosophie auch, vor allem in der Naturphilosophie der 80er-, 90er-Jahre eine gewisse Rolle spielte. Da gibt es also etwa Bücher von Gernot Böhme, wo die Atmosphäre plötzlich wieder als wichtige Kategorie für menschliche Wahrnehmung erinnert wird. Also, da gibt es irgendwie Korrespondenzen dazu, dass Atmosphären für Menschen offenbar sehr wichtig sind.
Gerber: Na ja, dass Atmosphärische hat ja viele Facetten, vor allen Dingen eben in der Architektur. Und das ist zum einen eben konzeptionell, das hat dann etwas mit der Verknüpfung Gebäude und Landschaft zum Beispiel zu tun, aber natürlich auch die Frage der Materialität, der Räumlichkeit und so weiter. Aber natürlich, Herr Rack, die Atmosphäre ist eigentlich das, was entstehen muss, wenn Sie gute Architektur machen wollen, weil es ja die Menschen berühren soll, und die Menschen sollen ja da gerne sein in den Räumen, die wir bauen, und nicht nur in den Innenräumen, sondern auch in den Räumen, die sich dann in der Stadt mit diesen Gebäuden ergeben. Das ist das Wichtigste, und ich sage immer, unser größter Erfolg als Architekten ist, wenn sich die Menschen in unseren Gebäuden wohlfühlen und wie zum Beispiel bei einer Volksbank, wenn dann viele Kunden, neue Kunden sich anmelden, weil sie das Haus gut finden, dann ist das für uns als Architekten ein Erfolg – und auch für den Bauherrn ein sehr wirtschaftlicher Erfolg, insofern ist Architektur und Wirtschaftlichkeit ganz eng miteinander zusammen.
Rack: Aber würden Sie sagen, dass jetzt eben im Zeichen dieser Nachhaltigkeits- und ökologischen Erwägungen auch andere Materialien in die Architektur zurückgekommen sind, die man eben in dieser Zeit vernachlässigt hat?
Gerber: Ja, das fing aber schon mit der Postmoderne an, dass wir mit mehr und unterschiedlichen Materialien arbeiten konnten. Und ich habe es eigentlich immer so gehalten, dass wir unsere Gebäude mit diesen Materialien versehen haben, die vom regionalistischen Bauen her richtig waren: also im Münsterland oder oben an der Ostsee eher Ziegelbauten, und wenn Sie im Sauerland arbeiten, eher eben Schieferverkleidungen und solche ähnlichen Dinge. Wobei heute ja der Beton wiederkommt, und zwar als ein ganz leichter, wärmedämmender Beton. Und wenn Sie jetzt ganz ökologisch bauen wollen, dann bauen Sie eine 70 oder 80 Zentimeter dicke Betonwand und ohne jegliche Wärmedämmung. Und das sind eigentlich diese schönen, alten, dicken Wände, die man in den alten Häusern hatte, die eigentlich klimatisch für unsere Region sehr, sehr sinnvoll sind.
Architektur und Nachhaltigkeit
Rack: Wie sieht es denn da mit der Energiebilanz der Häuser aus, der Gebäude aus, die Sie gebaut haben, denn die sind ja oft sehr transparent, da gibt es sehr viel Glas nach außen. Waren das überhaupt Erwägungen, die vor 20 Jahren auf der Prioritätenliste oben standen, so wie wir heute eigentlich sagen, Energiesparhäuser, das ist eigentlich das, was wir wollen?
Gerber: Das war damals noch nicht so ein großes Thema, das kam ja erst mit diesen Gedanken der sogenannten Nachhaltigkeit und der Energieeffizienz, das ist ja erst seit 15, 20 Jahren maximal ein Thema gewesen. Und wir hatten auch die Materialien, was das Glas anbetraf, ja leider noch nicht so zur Verfügung – dieses hoch wärmedämmende Glas, was es heute gibt. Heute ist das nicht mehr so ein großes Problem.
Rack: Wenn Sie diese Wärmedämmungsideologie, kann man vielleicht sagen geradezu, sich mal anschauen: Die führt ja oft dazu, dass unsere Häuser nicht unbedingt schöner werden, sondern die legen sich so einen dicken Pelz zu, die werden dann irgendwie zugekleistert, wenn man vor allem an die kleineren Häuser denkt. Ist es eigentlich ein Irrweg, dass wir jetzt nur noch auf Energieneutralität oder Energiesparen gehen und uns eigentlich über die ästhetische Seite, wie diese Häuser dann ausschauen … Wir könnten auch über Solarpaneele reden, die vielfach die Dächerlandschaft komplett ruiniert haben meines Erachtens. Wie beobachten Sie das, wenn Sie so durch das Land fahren?
Gerber: Natürlich diese Wärmedämmpanzer, das ist keine gute Möglichkeit, um ordentliche Architektur zu machen, vor allen Dingen dann, wenn man ältere Häuser nachträglich damit verkleidet, da wird es ganz schlimm. Bei neu geplanten Gebäuden mag es gehen, aber wir verwenden das nicht gerne, weil … Es ist die billigste Art zu bauen, und ich weiß nicht, wie nachhaltig das am Ende nach 20, 30, 40 Jahren ist. Aber es gibt heute, was die Nachhaltigkeit und Energieeffizienz anbetrifft, eben diese anderen Möglichkeiten, dass wir eher dicke Wände bauen und damit ganz auf die Wärmedämmung verzichten können, und diese Wände und Räume, die da entstehen, sind klimatisch viel, viel besser.
"Der Computer kann nicht entwerfen"
Rack: Wenn Sie über diese Linien nachdenken, die eben die Architektur in diesen letzten Jahrzehnten beeinflusst haben, welche Rolle spielt denn eigentlich das Computerdesign? Ich glaube, es sind Häuser heute möglich im Entwurf, die Architekten, bevor die Computertechnologie aufkam, überhaupt nicht hätten bauen können, weil wahrscheinlich die Berechnungen der Statik et cetera überhaupt nicht funktioniert hätten.
Gerber: Also, zum Ersten ist es so, der Computer kann nicht entwerfen, jedenfalls bis jetzt noch nicht. Richtige, intelligente Konzepte entwickeln, das kann er nicht. Er ist für uns bis heute immer noch ein Hilfsmittel, aber eben ein hervorragendes Hilfsmittel. Er war für uns ein Quantensprung in der Planungsarbeit. Und alleine dadurch, dass der Plan, den wir früher gezeichnet haben, ja im Gegensatz zu heute kein gerechneter Plan ist, heute ist der Plan, der aus dem Computer kommt, ein Rechenwerk. Und wir können jede Strecke, die wir auch nicht vorher gemessen und eingezeichnet haben, die ergibt sich und die kann man herausmessen. Das ist ein Quantensprung, auch was die Kommunikation der Pläne über Tausende von Kilometern anbetrifft, das geht in Minutenschnelle, es ist wahnsinnig, was da alles möglich ist. Zum anderen ist es so, wir können natürlich sehr komplizierte und sehr komplexe Entwürfe und Formen mit dem Computer machen, die wir früher kaum im Kopf hätten denken können. Das kann der Computer, das ist wunderbar. Und es gibt einige Entwürfe bei uns, die ohne den Computer eigentlich gar nicht denkbar gewesen wären.
"Wir haben uns mit der Dekonstruktion beschäftigt, aber sowas nie gebaut"
Rack: Nun haben Sie sich aber, soweit ich das richtig interpretiere, nicht so weit von dieser Spielerei inspirieren lassen, dass Sie also in die Richtung einer dekonstruktivistischen Architektur gegangen sind, sondern wenn man sich die Gebäude anschaut, die Sie gebaut haben, dann sind sie eigentlich sehr übersichtlich, sehr klar strukturiert. Da gibt es ein paar so geometrische Grundformen – Quadrat, Dreieck, Kreis –, das ist sehr übersichtlich gesetzt. Also aus meiner Sicht ein sehr formschöner Modernismus, aber keinesfalls irgendwie eine Art von chaotischer Dekonstruktion, wie wir, was weiß ich, das etwa im Kunstmuseum Bilbao sehen oder in der Fondation Louis Vuitton in Paris – solche Gebäude, die aussehen, als hätte sich jemand da etwas völlig Verrücktes ausgedacht, und das kann man eigentlich nur am Computer noch überhaupt statisch überhaupt festhalten, sonst würde es irgendwie wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.
Gerber: Na ja, der Begriff Dekonstruktion sagt ja schon alles. Es ist also eben keine gute Konstruktion und es ist gegen die eigentliche Konstruktion und auch gegen die Physik, die wir nicht verändern können. Nach wie vor stehen die Gebäude auf dem Boden und nach wie vor ist natürlich das Ableiten der Kräfte – von einem Hochhaus zum Beispiel – senkrecht in die Erde immer am besten. Und sobald man das Hochhaus schräg stellt oder schief macht und so weiter, gibt es da schon Probleme. Die sind heute zu lösen und vielleicht mit dem Computer besonders, aber da ist natürlich die große Frage – und das ist eine Frage der Haltung des einzelnen Architekten –, was man möchte. Wir haben uns mit der Dekonstruktion zwar beschäftigt, aber wir haben sowas nie gebaut. Man muss natürlich auch unterscheiden …
Rack: Weil es Ihnen nicht gefällt?
Gerber: Mir gefällt es nicht. Man muss natürlich auch unterscheiden: Sie haben eben die drei Grundformen angesprochen – Quadrat, Dreieck, Kreis –, aber Sie können natürlich von dem Dreieck das frei Geknickte ableiten und auch von dem Kreis, dem geometrischen Kreis, das frei Gekrümmte. Und es gibt diese fünf Formen, nämlich drei geometrische und zwei freie Formen, entweder geknickt oder eben gerundet. Und mit solchen Formen arbeiten wir auch.
Rack: Wie würden Sie dann Ihre eigene Ästhetik eigentlich charakterisieren? Ist es noch eine Strömung, die auch zum Funktionalismus gehört, wo man gesagt hat "Form follows function". Ist es die Zugehörigkeit zur Moderne, vielleicht auch zur zweiten Moderne? Wie würden Sie sich selber überhaupt beschreiben?
Gerber: Also Herr Rack, da würde ich sagen sowohl als auch. Wir verlassen nicht das eine, um etwas anderes zu machen, sondern versuchen eben, die Dinge miteinander zu verknüpfen. Wir nutzen natürlich die Freiheit, die uns gegeben worden ist, und da komme ich wieder auf die Postmoderne, da ist uns das alles geöffnet worden. Und es gibt ja Architekten, die in einer ganz besonderen Sprachlichkeit arbeiten und gearbeitet haben, und deren Gebäude auf einem ganz kleinen Ausschnitt von Gestaltprinzipien beruhen. Da gehört zum Beispiel der Mario Botta dazu, der baut meistens mit eher geschlossenen Kuben, und Sie erkennen eigentlich die Sprache sofort, Sie wissen schon von Weitem, das ist Mario Botta oder das ist ein Richard Meier. Das ist die eine Gruppe von Architekten, die andere Gruppe von Architekten, die schließt sich nicht ein in so einen kleinen Teil der vielfältigen Gestaltprinzipien und Möglichkeiten, sondern benutzt alle. Und zu dieser Gruppe gehören wir auch. Herzog & de Meuron gehört zum Beispiel auch dazu oder Renzo Piano und so. Die entwickeln immer wieder ein ganz neues Konzept, die sind immer wieder verwundert, dass sie wieder was Neues erfunden haben, weil sie eben auch mit neuen Gestaltprinzipien arbeiten. Und ich habe das ja gelehrt 26 Jahre, Gestaltung und Entwerfen, und habe mich damit sehr intensiv beschäftigt, was natürlich für die Studenten gut war, aber auch für mich, weil ich damit eigentlich auch ein Selbststudium gemacht habe als Entwicklung für mein Büro.
"Sie können was Neues gar nicht finden, wenn Sie nicht einfach mal das Falsche probieren"
Rack: Ist das dann auch eine bewusste Absage an das Prinzip der Avantgarde, denn die Avantgarde wollte ja als neuer Stil auftreten, aber in Opposition, in geradezu destruktiver Einstellung gegenüber dem, was bisher war.
Gerber: Avantgarde ist ja meistens etwas, da wird etwas gemacht, was eigentlich falsch ist. Sie können was Neues gar nicht finden, wenn Sie nicht einfach mal das Falsche probieren, ich glaube, das ist so das Prinzip. Und der Dekonstruktivismus ist ja eher eigentlich von der klassischen Architektur, da fangen wir schon mal bei den Griechen an, ist eigentlich ja etwas Falsches. Und das ist jetzt eine Strömung von einigen Kollegen, aber es wird nicht lange tragen und über weitere Generationen gehen, das glaube ich nicht.
Rack: Wenn Sie mal die ästhetische Stimmung im Bezug auf die Architektur in Deutschland charakterisieren sollten, da gibt es ja so ein paar Beispiele aus der letzten Zeit, wo manches Historische rekonstruiert worden ist, also etwa jetzt die Frankfurter Altstadt oder das Berliner Schloss, aber auch früher schon die Dresdner Frauenkirche. Daraus könnte man ableiten, dass es vielleicht so eine gewisse Sehnsucht gibt nach Formen aus der Vergangenheit. Ist das eine richtige Beobachtung, wie offen sind die Leute eigentlich für Neues?
Gerber: Nicht so offen. Ich kann das auch nachvollziehen, dieser Wunsch nach dem Alten, denn die Vergangenheit, das Vergangene war immer schöner gewesen, das ist ja bei jedem Menschen eigentlich so.
Rack: Das ist Nostalgie.
Gerber: Ja, ja, er vergisst das Schlimme von damals und behält sich nur die schönen Dinge, das ist ja auch irgendwie eine gute Überlebensstrategie. Das ist in der Architektur ähnlich, und ich kann das auch nachvollziehen. Zum Beispiel mit dem Beginn der Frauenkirche, ich habe da volles Verständnis gehabt und fand das auch gut und habe das unterstützt, dass sie wiederaufgebaut wird, weil ich als Architekt natürlich der Auffassung bin, dass das Original nicht das Bauwerk selbst, sondern der Plan ist. Und den Plan kann ich auch noch mal wieder bauen – und vor allen Dingen an der gleichen Stelle, da ist er ja richtig. Deswegen war das mit der Frauenkirche immer richtig und insofern auch richtig, weil die innere Funktion ja die gleiche ist – sie ist Kirche und Konzerthaus. Beim Berliner Schloss ist das ein bisschen anders, wir haben ja keinen König mehr. Und insofern ist das Innere ja nicht mehr Schloss, kann ja als solches nicht mehr benutzt werden. Insofern war das alles ein bisschen schwierig mit dem Berliner Schloss. Aber dass das Volumen, dieses Stadtraumvolumen, so wie es war, auch mit seiner bildlichen Sprache und mit seinen schönen Fassaden vom Schlüter aus der Barockzeit, dass das wieder dahingestellt worden ist, weil es das alte Stadtbild wieder zu Ende bringt, nämlich mit dem Museum vom Schinkel und dem Dom, das ist doch wunderbar. Und ich finde, wenn Sie von Unter den Linden vom Brandenburger Tor kommen, dann steht das Schloss schräg zu Unter den Linden und schließt praktisch diese Achse ab. Das ist eine wunderbare städtebauliche Situation, und dass die wiederhergestellt worden ist, finde ich voll richtig. Ich habe es auch immer gesagt, ich habe mich auch an dem Wettbewerb damals für das Berliner Schloss beteiligt, waren aber nicht erfolgreich, aber so ist es eben bei Wettbewerben, und ich finde toll, dass es wiederaufgebaut worden ist.
"Wir bauen jetzt sechs Hochhäuser in China"
Rack: Wie sieht es denn mit der Wertschätzung von Hochhäusern aus? In Deutschland haben wir da anders als in Amerika eigentlich keine sehr intensive Tradition, außer Frankfurt als die Stadt, wo viele Hochhäuser nebeneinanderstehen, findet man eigentlich gar nicht so viele. Es gibt zum Teil abwehrende Haltungen gegenüber Hochhäusern, in München gab es einen sogenannten Bürgerentscheid, der die Höhe der Hochhäuser auf 100 Meter begrenzt hat. Jetzt soll etwa in München wieder ein Turm gebaut werden oder zwei Türme von Herzog & de Meuron, die also bis zu 155 Meter hoch sein sollen, wir wissen noch nicht, wie die Bürgergesellschaft darauf reagiert, ob es womöglich einen neuen Bürgerentscheid gibt oder ob sich die Haltungen geändert haben. Sie haben ja selber Hochhäuser gebaut, zwei fallen mir jetzt spontan ein in Dortmund, das Hochhaus für …
Gerber: Wir bauen jetzt sechs in China.
Rack: Sie bauen sechs in China. Sie haben in Dortmund gebaut das Harenberg‑Hochhaus, so heißt es, glaube ich. Es ist nicht sehr hoch, aber doch 20 Stockwerke hoch, und den RWE-Tower. Also wie schätzen Sie die Stimmung ein?
Gerber: Die meisten von uns, Sie auch und ich auch, wir kennen ja New York. Und das ist eine fantastische Stadt, Manhattan, das hat eine Faszination, diese Addition der Hochhäuser. Und je mehr in einer Stadt stehen beziehungsweise, wenn die Stadt wie in New York eigentlich aus Hochhäusern besteht, um so größer ist die Faszination. Das ist auch in Frankfurt so, weil Frankfurt die einzige deutsche Stadt ist, die eben so eine Dichte an Hochhäusern im Zentrum hat. Und das hat auch für mich eine große Faszination, muss ich schon sagen. Das einzelne Hochhaus jetzt in einer Stadt hat diese Faszination erst mal nicht ohne Weiteres, und es passt auch nicht überall ein Hochhaus hin und auch nicht in jede Stadt ein Hochhaus. Eigentlich wird es erst ein bisschen spannender, wenn mehrere Hochhäuser eben zueinanderstehen. Und wir haben in Dortmund einmal dieses Sparkassenhochhaus, dann das IWO-Hochhaus gehabt, und wir haben dann das Harenberg-Hochhaus praktisch auch noch in Reichweite und kompositorisch dazugefügt und haben dann den RWE-Tower auch dazugefügt. Und ich habe immer gesagt, das ist so ein ganz kleines Stückchen Manhattan, was wir da in Dortmund haben. Da könnte man auch noch mehr dazu organisieren, aber überall kann man sie nicht haben in Deutschland.
Rack: Jetzt will ich diesen Begriff der Wohndichte noch aufnehmen am Ende unseres Gesprächs, um Sie zu fragen, was Sie denn von der Düsseldorfer Erklärung zum Stadtbaurecht halten, die jetzt vor Kurzem publiziert worden ist. Da haben sich also einige Fachleute geäußert zu der Frage, wie denn in Zukunft das Planungsrecht in Deutschland verändert werden soll, damit zum Teil eben dichtere Stadtquartiere auch entstehen können, damit diese Trennung – die Funktionstrennung, von der wir auch gesprochen haben, zwischen Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Kultur et cetera –, damit diese Trennung aufgehoben werden kann. Die Kritik besteht darin, zu sagen, es gibt zu viele Vorschriften, die es eigentlich verhindern, dass Gewerbe in der Stadt stattfinden, da gibt es zu viele Lärmvorschriften, zu viel Dichte-Obergrenzen. Was halten Sie von dieser Erklärung, ist das der richtige Ansatz, um unsere Städte wieder lebendiger zu machen?
Gerber: Das ist der absolut richtige Ansatz. Ich habe ein paar Dinge zum Beispiel, dass immer dieser Trennung zwischen öffentlichem Raum und privatem offenen Raum vielleicht nicht unbedingt immer ganz stattfinden muss, das kann man auch irgendwie ineinander übergehen lassen in Teilen. Aber ansonsten ist das alles richtig. Die Düsseldorfer Erklärung ist ja eigentlich nichts weiter als die Forderung, nun die Dinge, die in der Leipziger Charta definiert worden sind, nun auch baurechtlich umzusetzen.
"Vermischung von verschiedenen Funktionen ist richtig"
Rack: Um das kurz zu erläutern: Die Leipziger Charta meinte, dass die Städte also als nachhaltige, schöne und gemischte Städte in europäischer Tradition gebaut werden sollen.
Gerber: Das ist auch richtig, aber die Düsseldorfer Erklärung zementiert das ja eigentlich noch mal, dass es auch nun baurechtlich eingestielt werden soll, dass diese Dinge auch möglich werden. Also auch die Vermischung von verschiedenen Funktionen ist richtig, auch die Komplexität der Planung, dass eben alle Beteiligten eben sich zusammensetzen müssen, also Städtebauer, Architekten und auch Landschaftsarchitekten und natürlich auch die Bewohner, das ist alles richtig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.