Donnerstag, 28. März 2024

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Architektur und Städtebau
Großstadt gestalten - Urbanität im Wandel

Was können Architekten tun, um eine neue Unwirtlichkeit der Städte zu verhindern? Wie können sie Lebensräume schaffen, in denen Menschen sich zu Hause fühlen? Architekturhistoriker Wolfgang Sonne fordert die Abkehr von der funktionsgetrennten Stadt und mehr Vielfalt im urbanen Wohnungsbau.

Der Architekturtheoretiker Wolfgang Sonne im Gespräch mit Jochen Rack | 28.04.2019
Der Phoenix-See in Dortmund, entstanden auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerk Hoesch in Dortmund-Hoerde.
Die städtebauliche Entwicklung am Phoenix-See in Dortmund (dpa / picture alliance / Klaus Rose)
In den Zeiten wachsender Metropolen wird viel gebaut, aber die Städte werden dadurch nicht unbedingt schöner und lebenswerter. Oft stapeln Investoren bloß einfallslos Wohnfläche übereinander und kümmern sich nicht um eine lebendige Infrastruktur. Zwar haben sich die Stadtplaner inzwischen von der Idee der funktionsgetrennten, autogerechten Stadt verabschiedet, doch ist die Verdichtung in urbanen Quartieren mit hoher architektonischer Qualität noch immer die Ausnahme. Wie kann man heute Städte bauen, in denen es nicht zur sozialen Entmischung und Gentrifizierung kommt? Wie kann und muss gebaut werden, um das Wohnen, Leben und Arbeiten in einer sozial gemischten, ökologisch funktionierenden Stadt attraktiv zu machen? Diese Fragen erörtert Jochen Rack mit dem Architekturtheoretiker Wolfgang Sonne.
Wolfgang Sonne ist seit 2007 Professor für Geschichte und Theorie der Architektur an der TU Dortmund. Er ist ebenfalls wissenschaftlicher Leiter des Baukunstarchivs NRW sowie stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst. Sonne veröffentlicht zahlreiche Beiträge zur Architektur und Stadtbaukunst in Zeitschriften und Zeitungen. Sein Buch "Urbanität und Dichte im Städtebau des 20. Jahrhunderts" erschien 2014.

Stadtbaukunst - eine utopische Disziplin?
Jochen Rack: Herr Sonne, Stadtbaukunst, das hört sich relativ utopisch an, als eine Disziplin, die sich also mit der Schönheit des Städtebaus beschäftigt. Tatsächlich ist es aber ja oft so, dass unsere Städte eher einen unwirtlichen Eindruck machen, dass wir es also mit nicht sehr lebendigen Quartieren zu tun haben, oft auch mit hässlichen Schachtelhäusern, mit einer Verkehrsinfrastruktur, die die Städte vielfach auch nicht besonders lebenswert macht. Auf der anderen Seite gibt es dann Städte, die mit Stararchitektur prunken, den sogenannten Iconic Buildings. Ist das eigentlich der passende Spiegel einer Gesellschaft, in der sich vielleicht nur noch die Reichen die schöne Stadt leisten können, die Armen aber dagegen abgedrängt werden in Billigbauten?
Wolfgang Sonne: Ein Spiegel ist es bestimmt, denn in gewisser Weise kann man im Nachhinein das, was in der Architektur und im Städtebau geschieht, immer als Spiegel und Folge dessen auch beschreiben, was eben sonst an Bedingungen da ist. Da sprechen Sie auch gleich einen spannenden Punkt an, der mich als Historiker, der zugleich aber bei Planern lehrt und selber auch Wertvorstellungen für die Zukunft hat... Ich selber würde immer sagen, alleine das Betrachten, wie es war und wie es kam, reicht nicht aus, man muss sich auch Rechenschaft darüber ablegen, was einen selber antreibt und wie man es haben möchte. Und tatsächlich sind viele, gerade auch neuer geplante städtebauliche Situationen heute nicht so, dass man sie mit einem großgeschriebenen Begriff Stadtbaukunst benennen würde. Und genau da haben wir uns im Deutschen Institut für Stadtbaukunst zusammengetan und haben gesagt, hier muss man eigentlich wieder etwas erreichen, nämlich schöne, lebendige Quartiere, wie wir sie ja kennen aus verschiedenen Altstädten, aus verschiedenen Zeiten, aus verschiedenen Zusammenhängen - übrigens Altstadt heißt dann auch ein schönes Wiederaufbauquartier der 50er-Jahre, das kann durchaus modern sein. Und dazu haben wir eben diesen Begriff der Stadtbaukunst gewählt, denn Stadtbaukunst war ein Programm der frühen Moderne im 20. Jahrhundert, wo Architekten, aber auch die Verkehrsingenieure, die Grünplaner gesagt haben, es reicht nicht aus, den Boden nur von Landvermessern aufteilen zu lassen und die Bauingenieure Kanäle legen zu lassen, sondern auch als Architekten müssen wir Städtebau wieder begreifen als eine dreidimensionale Kunst, wir müssen Stadtbaukunst machen, die das alles mit einschließt. Und da gibt es eben im frühen 20. Jahrhundert eine spannende Theorie, auch großartige Pläne und großartige Realisierungen, und daran wollen wir eigentlich wieder anknüpfen.
Anti-Städte als Erbe der modernistischen Architekturtheorie
Rack: Dann muss ich natürlich die Frage stellen, wie kommt es dazu, dass wir jetzt im 21. Jahrhundert an Ideen des frühen 20. Jahrhunderts anknüpfen müssen? Was ist denn aus Ihrer Sicht im Wesentlichen schiefgelaufen in der Art und Weise, wie wir Städte im 20. Jahrhundert gebaut haben?
Sonne: Also, es gibt vielleicht zwei, drei Stränge, wo die Wege in die falsche Richtung gingen. Der erste Strang ist, dass man in Ablehnung der überbelegten Stadt des Industriezeitalters, des 19. Jahrhunderts gesagt hat, wir dürfen gar keine Städte mehr bauen, sondern wir wollen Gartenstädte, die ja als Anti-Städte konzipiert waren, oder Siedlungen, das heißt das monofunktionale Wohnen im Grünen. Und das hat tatsächlich fast 100 Jahre lang viele Flächenentwicklungen, wie es dann ja auch heißt, geprägt. Ein zweiter großer anderer Strang war die Entwicklung des Automobils und dann die Idee, dass dieses neue Verkehrsmittel die Stadt von Grund auf verändern müsse geradezu. Also, die autogerechte Stadt, die uns heute ja als Schreckbild erscheint, die war in den 50er-Jahren ein positives Leitbild, und man dachte, man tut der Menschheit damit etwas Gutes, wenn man Quartiere abreißt und sanft geschwungene Schneisen da hindurch legt, auf denen man elegant fahren kann. Und ein dritter Punkt, wo salopp gesagt doch einiges schief lief, ist die zunehmende Spezialisierung, die dazu geführt hat, dass wir Verkehrsingenieure haben, dass wir Stadtplaner, Raumplaner haben, dass wir Architekten haben, dass wir die Landschaftsarchitekten haben - und dass viele dieser Disziplinen jeweils ihren eigenen Bereich ganz wunderbar beackern können, aber den anderen Bereich oder die Implikationen nicht sehen. Und de facto kommt aber immer alles, wenn Sie irgendwas planen und bauen, doch in der Stadt zusammen. Das heißt, der Verkehrstechniker darf eben nicht nur den Schwenkradius eines Lkws betrachten, und so groß muss dann die Kurve in der Stadt angelegt werden, sondern man muss sich auch überlegen, was bedeutet das stadträumlich, wenn ich eine Kreuzung völlig aufweite, was bedeutet das für die Nutzung, wenn ich da nicht mit Häusern am Straßenrand stehe und deswegen dann keine Geschäfte mehr unten haben kann und so weiter. Also, die Dinge spielen ineinander, und dieses Zusammenspielen der unterschiedlichen Fachdisziplinen, die es heute gibt, die man auch nicht aufheben wird, aber das Zusammenspiel, das ist in der Stadtbaukunst ganz wichtig.
Rack: Also, ich verstehe Sie richtig, Sie plädieren für einen interdisziplinären Stadtbau, der das verschiedene Knowhow der Disziplinen zusammenbringt. Aber ich will noch mal zurückkommen zu der Frage, warum denn diese Funktionstrennung in der Stadt des 20. Jahrhunderts sich so ausgeprägt hat? Hat es zu tun auch mit einem Erbe der modernistischen Architekturtheorie, also etwa, wenn wir an Le Corbusier denken. Der wollte ja Paris zerstören, gewissermaßen das ganze historische Paris durch ein paar große mitten in die Altstadt gepflanzte Hochhaustürme. Haben wir uns von dieser Art des avantgardistischen Denkens vielleicht auch zu lange blenden lassen?
Sonne: Le Corbusier war ein ganz großer Verbreiter dieser Idee, er hat sie aber nicht erfunden. Also, der erste, der es wirklich in der Stadtplanungs- oder Städtebautheorie ganz fest verankert hat, dass es einzelne Zonen mit einzelnen Funktionen geben solle, das war Ebenezer Howard bei der Gartenstadt. Die ist ganz strikt in Funktionszonen aufgeteilt. Und von dort hat es Le Corbusier übernommen und er hat es natürlich populär gemacht in der Charta von Athen, die dann ja erst '43 publiziert wurde, mit der Aufteilung in Funktionen. Und dann war die Funktionsbestimmung für eine, ich sage mal, eher legislativ, also über Gesetze operierende Stadtplanung ganz praktisch, um bestimmte Dinge zu regeln, wenn man nicht durch einen wirklichen Bebauungsplan etwas regeln wollte. Das heißt, dieses Mittel, Flächen, Boden aufzuteilen nach Funktionen war einfach ungeheuer simpel und gleichzeitig auch pragmatisch. Und letztendlich ist natürlich auch dieser Glaube, die Moderne müsse so sein, wie die Avantgarde das gesagt hat, der hat natürlich auch noch mit dazu geführt, das dann auch wieder zu verbreiten. Und da haben wir viel zu lange zum Beispiel an dieser Ideologie der Funktionstrennung festgehalten. Wenn ich noch kurz einschieben darf: Das Absurde ist, dass wir zwar heute sagen mit der Leipzig-Charta, wir wollen die gemischte Stadt, die dichte Stadt, die europäische Stadt. Wir haben in Deutschland aber immer noch eine Baugesetzgebung, nämlich in der Baunutzungsverordnung, die aus den 60er-Jahren stammt, wo alles schön in der Flächenaufteilung in Funktionen aufgeteilt ist. Das heißt, da geht es nicht primär um Baudichten oder um Raumschaffung oder sonst was, sondern da geht es darum, zu sagen, hier ist Wohnen so intensiv, da ist Wohnen ein bisschen intensiver, da ist der Verkehr, da habe ich Arbeiten, da habe ich Einkaufen. Und dann habe ich ein gemischtes Gebiet, und auch da ist dann einiges so geregelt, dass ich nicht mischen kann, wie es die Stadt vielleicht wirklich braucht. Das sind sozusagen Folgen all dieses Avantgarde‑Zonierungsdenkens.
Vorteile und Nachteile einer funktionsgetrennten Stadt
Rack: Wenn wir es vielleicht mal an einem Beispiel konkret machen um zu verstehen, was eigentlich die Tragik, das Dramatische, das Katastrophische an dieser funktionsgetrennten Stadt ist, deren Entstehung wir diesen modernistischen Ideen verdanken. Wenn Sie sich da mal eine Stadt rauspflücken, weshalb wollen wir eigentlich von diesem Modell weg? Was ist das Schlechte daran?
Sonne: Man kann fast nicht sagen, dass eine ganze Stadt dieser Funktionstrennung entspricht, weil ich sagen würde, dann würde die Stadt gar nicht funktionieren. Also, es gibt ein paar Städte, was weiß ich, die englischen New Towns, Milton Keynes, dann noch in den 70er-Jahren, die nach diesem Prinzip geplant wurden, auch die haben sich dann nicht ganz so streng entwickelt. Aber was wir heute oft haben ist ja ein relativ gemischter Stadtkern mit Erweiterungsgebieten. Wenn wir einfach mal Dortmund nehmen, da hat man das mittelalterliche Dortmund, dann die 19.-Jahrhundert-Erweiterungsgebiete, wo sehr viel Unterschiedliches passiert. Und dann sind es eigentlich die Andockplanungen des 20.Jahrhunderts, sprich die neuen Großsiedlungen am Rande, die dann nur Wohnsiedlung sind, oder die durchgeschlagenen Autobahnen, die natürlich nur Verkehrsweg sind, und das auch nur für das Auto. Eine normale Straße in der Stadt ist ja für Fußgänger, Radfahrer, Autos, und man macht nicht nur Bewegung dort, sondern man steht auch vor dem Schaufenster, man spricht mit jemandem. Also, der Straßenraum ist ja was ganz anderes, als ein reiner Mobilitätsraum, wie das die Autobahn ist. Und dann haben sie wieder strikt davon getrennt die Erholungszonen, die wir heute gern auch gleich als Naturschutzgebiete sehen. Wenn Sie umgekehrt denken, wie ein Park, wie der Central Park in New York ganz eng verknüpft ist auch mit der umliegenden Bebauung, mit der umliegenden Nutzung, ist das eben gerade nicht die getrennte und wiederum isolierte Naturzone. Also, wir haben viel diese Flächen, natürlich das Schlimmste die Gewerbegebiete am Rand der Stadt, wo wir heute das Gewerbe, was gut in einem Innenhof im Stadtbereich sein könnte, nach außen drängen, sodass ich dann die Folge habe, wenn ich da beim Schreiner etwas kaufen will, muss ich das Auto nehmen, um dahinzufahren. Stattdessen könnte ich es - in einem Quartier, wo ich eine Blockrandbebauung habe und im Hof auch eine Schreinerei unterbringen kann - stattdessen könnte ich es eigentlich um die Ecke haben, wenn ich es funktionsgemischt hätte.
Rack: Nun ist ja diese Kritik an dieser funktionsgetrennten Stadt eigentlich relativ alt inzwischen. Sie sind 1965 geboren, da war der Essay von Alexander Mitscherlich schon auf dem Markt, "Die Unwirklichkeit unserer Städte", das ist ein berühmter Essay gewesen jener Jahre. Und auch, es gab das Buch von Jane Jacobs, "The Death and Life of Great American Cities". Da hat sie schon damals eigentlich moniert, dass diese Funktionstrennung schlecht sei, weil eben der Straßenraum mehr sein soll als etwa nur eben eine Trasse für Verkehr, sondern dass da eben diese Begegnungszonen stattfinden, von denen Sie jetzt gesprochen haben, also eine irgendwie gemischte Stadt. Da muss ich fragen, warum ist es eigentlich so, dass es so lange gedauert hat, bis wir von der Idee weggekommen sind und wie bauen wir die Städte jetzt sinnvoll um, denn das Zeug ist ja alles da, das bringt man nicht so schnell weg.
Sonne: Ja, warum das so lange gedauert hat, ist tatsächlich eine Frage, wo man manchmal davorsteht und fragt sich, ob es so etwas wie eine, sagen wir mal, geistige Trägheitszeit gibt. Auf der anderen Seite finden Sie heute es überall, dass für die städtischen und auch neu zu planenden städtischen Gebiete die Forderung gibt, funktionsgemischt, funktionsvielfältig zu planen. De facto wird es aber auch noch viel zu wenig gemacht. Das heißt, in der Theorie wissen wir es jetzt seit 50, wenn nicht sogar 60 Jahren. In der Praxis wird es versucht seit 30 Jahren, aber immer nur wieder in Ansätzen umzusetzen. Und oftmals ist das dann auch so eine, ich sage mal, Investitionsscheu. Ich spreche manchmal mit Wohnungsbauunternehmen, die sind halt gewohnt, ihr Standardmodell der Doppelhaushälfte anzubringen auf irgendeiner Baufläche, weil sie wissen, das kriegen sie verkauft. Aber jetzt zu sagen, na gut, ich probiere doch einen städtischen Bebauungstyp, der ein bisschen mehr in die Höhe geht, den Blockrand schließt, wo ich unten auch anderes unterbringen kann, vielleicht sogar Gewerbe im Hof. Da sagt jeder, ja, da könnte ich vielleicht sogar die doppelte Ausnutzung von haben, sprich es ist eigentlich ökonomisch lukrativ, aber weil ich seit 20 Jahren weiß, das andere Modell verkaufe ich gut, denke ich nicht darüber nach. Also, es gibt da so eine Strukturlangsamkeit auch, und da gibt es viele Gründe. Historisch gesehen, wenn man dann noch mal zurückschaut, ist es eigentlich geradezu absurd, man kann sagen, wirklich tragisch, dass die Kritik an der Funktionstrennung und auch die Kritik an der viel zu lockeren und auch der autogerechten Stadt um 1960 mit allen Argumenten eigentlich voll da ist - und die wirklich großen Stadtzerstörungen und -sanierungen dann erst anfangen, die kommen in den 60er- und 70er-Jahren. Ich finde das insofern auch immer ganz wichtig, das zu zeigen, als man sehen kann, dass es eben auch in den 60er-Jahren nicht einen Mainstream gab oder nur eine Meinung oder eine gar historisch notwendige Entwicklung nach dem Motto: Wir haben ja damals nicht anders gekonnt. Das hören Sie heute öfters noch von älteren Planern, man habe halt damals Großsiedlungen gebaut, man hätte es nicht anders gekonnt. Es gab andere Stimmen, aber man wollte sie nicht hören.
Rack: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie sagen, das Immobilienkapital, diejenigen, die investieren in den Stadtbau, die bestimmen zu sehr das Feld und die Stadtbaupolitik, die ja in der Lage ist durch Gesetzgebung, durch Vorschriften, durch allerlei Auflagen den Städtebau zu regulieren, die hat sich zu wenig da eingemischt?
Sonne: Im 20. Jahrhundert ist eher das Problem, dass über planerische und staatliche Regulierungen die Stadt zu sehr kaputtgemacht wurde, nämlich in gewisser Weise durch falsche Regulierung. Also, die Zonierung hat ja nicht die Privatwirtschaft erfunden, sondern das haben sich ein paar Fachleute ausgedacht und das wurde dann staatlich - am besten sogar, am radikalsten in den sozialistischen Ländern -, wurde staatlich oder kommunal umgesetzt. Umgekehrt, wenn Sie historisch mal ganz in die Breite schauen, schon in der Antike, aber auch Mittelalter, frühe Neuzeit: Städte sind ja eigentlich vom vielfältigen Privatkapital geprägt. Da gibt es viele Eigentümer, die Interessen haben, die dann auch bauen und sich zu Gesetzen zusammenfinden, und das aber die Geburtsstunde eigentlich auch des Bürgertums ist und auch der republikanischen oder demokratischen Freiheiten in der Gesellschaft. Und so würde ich auch heute denken, eine falsche staatliche oder kommunale Planung ist fast noch schlimmer, als wenn man mehrere kleinere Private etwas machen lässt, denn eigentlich tendiert das private Investitionskapital dazu, Boden doch maximal auszunutzen, möglichst vielfältig Dinge geschehen zu lassen, in einen Austausch zu kommen mit den anderen. Und insofern müsste heute die staatliche Regulierungspolitik bei der Stadtplanung eigentlich schauen, dass sie dem Markt solche Gesetze gibt, dass tatsächlich mehrere, viele, kleine Private tatsächlich Häuser in der Stadt machen können und Städtebau betreiben können. Das größte Problem sind wahrscheinlich die Fonds, die in Immobilien investieren, an denen sie nach fünf Jahren schon kein Interesse mehr haben, wo natürlich dann auch eine Bauqualität rauskommt, die sich nach fünf Jahren mehr oder weniger amortisiert haben muss und wo es dann wurscht ist, wie es aussieht, und es kann dann auch kaputt gehen. Das ist natürlich das Tragischste, und bei solchen Großinvestitionen, die natürlich meistens über große Wohnungsbaugesellschaften dann laufen, da muss die Stadt die entsprechende städtebauliche, funktionale und auch gestalterische Regulierung wirklich streng vorgeben. Dann würde ich aber wiederum auch sagen, muss man letztlich ja nicht gegen das Kapital arbeiten, sondern das Kapital in die richtige, nämlich die kommunal und städtisch gewünschte Richtung leiten.
München, Wien und die soziale Mischung
Rack: Da gibt es ja jetzt zwei Städte, die wir als Beispiel vielleicht mal anführen können, München und Wien. Die sind ja insofern in der Stadtbaupolitik interessant geworden, weil München also etwa vorschreibt, wenn Sie eigene Grundstücke haben, dass da - durch die sozialgerechte Bodennutzung nennt sich dieses Prinzip - Wohnungen entstehen die auch leichter finanzierbar sind, die also gedeckelt sind von der Preisstruktur. Die Vorschrift ist, dass sozial gemischte Viertel entstehen. Und in Wien ist es noch mal etwas anders, das wissen Sie wahrscheinlich jetzt besser als ich, aber auch da wird oft gesagt, also, weil ein Großteil des Immobilienbesitzes in städtischer Hand ist und der Sozialwohnungsbau wesentlich stärker vorangetrieben wurde, als das in Deutschland der Fall ist, wo wir ja einen großen Verlust von Sozialwohnungen zu beklagen haben, dass in diesen beiden Städten also etwa dieses Prinzip einer sozialen Mischung eigentlich auf positive Weise befördert wird, weil die Städte etwas in die Hand nehmen.
Sonne: Genau, würde ich sofort unterstreichen. Das Münchener Modell ist, sagen wir mal, sehr fein austariert. Und das gibt es ja in verschiedenen Städten, dass also ein bestimmter Sozialwohnungsanteil einfach gefordert wird, auch bei größeren Bauvorhaben. Das halte ich auch für dringend notwendig. Und das Wichtige ist, dass dann aber auch geschaut wird, dass es sowohl im Quartier und eventuell auch im Haus entsprechend verteilt ist, dass sich nicht doch wieder eine Partial- oder Teilsegregation da abbildet. Wien hat, da beneidet heute Wien jeder drum, eben den sozialen Wohnungsbau aus kommunaler Hand nie weggegeben und hat das nie aufgegeben und das ist natürlich ein riesiges Pfund. Ich verstehe eigentlich überhaupt nicht, weshalb wir heute bei der Frage des sozialen Wohnungsbaus fast ausschließlich über Finanzmittel, die dann an Dritte gegeben werden vom Staat, oder auch Gesetzgebung operieren, und nicht auch zu dem Mittel greifen, was beispielsweise Wien in den 20er-Jahren ja wirklich vorbildlich gemacht hat und was heute in der Architektur und Städtebaugeschichte hoch geschätzt wird, nämlich tatsächlich hochwertige Immobilien selbst zu errichten und dauerhaft zu behalten und zu besitzen. Also, für mich macht es auch überhaupt keinen Sinn, warum man sagt, ich investiere jetzt in Sozialwohnungen, die Neubauwohnung ist ohnehin immer die Teuerste. Das muss dann so billig sein, dass es eigentlich nicht geht. Und nach zehn oder 15 Jahren fällt das dann aus der Bindung raus, und dann, ich sage mal absurd, kann man die heute schäbig gebaute Wohnung, weil sie muss ja extrem billig sein, damit sie überhaupt eine Sozialmiete hat, dann kann man die noch zu teuren Preisen wieder verscherbeln und vermieten. Das heißt, da würde ich lieber schauen, entweder Wohnungen, die auch ein gewisses Alter haben und deswegen vielleicht günstiger sind - und Sie wissen selber, die Altbauten, gerade in den genannten Städten, sind oftmals sogar sehr beliebte -, die vielleicht für Sozialwohnungen zu akquirieren. Oder andersherum, wenn ich heute neu baue, das wirklich in einer städtebaulich und architektonisch und konstruktiv hochwertigen Weise zu machen und das dann aber langfristig auch in der Sozialbindung zu halten.
Soziale Lebendigkeit versus Unwirtlichkeit
Rack: Jetzt, wenn wir mal etwas näher sozusagen aus unserer Vogelperspektive auf die Stadt heranzoomen und uns mal so anschauen, wie schaut denn so ein lebendiges Viertel aus, wie schaut ein interessantes Haus aus, was diesen Maßstäben, die Sie jetzt schon in verschiedener Weise aufgestellt haben, entspricht. Also, welche Wohnarchitektur brauchen wir, damit wir diese Art von sozialer Lebendigkeit und eben nicht Unwirtlichkeit in der Stadt haben?
Sonne: Also wir brauchen auf alle Fälle Wohnhäuser, in denen Wohnungen mit unterschiedlichen Qualitäten drin sind. Wenn Sie ein Wohnhaus haben, da ist zehnmal dieselbe Wohnung drin, dann ist da relativ auch klar, das kostet zehnmal dasselbe und da wird zehnmal dieselbe Personengruppe einziehen, weil der Grundriss einfach gleich ist. Wenn Sie in einem Haus unterschiedliche Lagen haben, also unten, und im Erdgeschoss vielleicht nach hinten dann mit einem Garten, und oben, oben vielleicht eine Art Penthouse-Wohnung drauf. Wenn Sie auch unterschiedliche Lagen haben in der Hinsicht, dass es eine Vorderhauswohnung gibt und eine Rückhaus- oder Hinterhauswohnung, eine Wohnung zum Hof, in einem Flügel vielleicht. Dann haben Sie da schon eine unterschiedliche Ausrichtung, und ich sage mal so, der Student oder die Studentin will vielleicht gar nicht so viel Sonne haben, wie wir das heute für die Normalwohnung fordern, da ist man vielleicht froh, wenn das ein dunkleres Kämmerchen im Hinterhof, wie das lange geschimpft wurde, hat. Da kriegen Sie eine Vielfalt hin. Und dann natürlich auch unterschiedliche Wohnungsgrößen. Also, das ist ein architektonisches Grundangebot und das ist tatsächlich eine architektonische Frage, um Vielfalt überhaupt zu ermöglichen, noch bevor Sie irgendwelche Sozialprogramme machen. Was städtebaulich, glaube ich, ganz entscheidend ist, dass wenn wir an Wohnungsbau denken, dass wir da nicht nur an die Wohnung denken, sondern dass wir umgekehrt eigentlich ganz oben anstellen, wie schafft das Haus, das Haus mit den Wohnungen, das ich baue, einen öffentlichen Raum. Und da ist eben in all den Stadtquartieren und Städten, die wir kennen und leben, die Sache so, dass wir durch Straßen gehen, auf Plätzen verweilen. Und diese Straßen sind seitlich von Häusern bestanden, und auch um die Plätze stehen Häuser herum. Und diese Häuser begrenzen architektonisch den öffentlichen Raum. Das machen sie nicht nur durch eine nackte Mauer, sondern das machen sie mit Fassaden, die irgendetwas erzählen, die interessant sind, anzuschauen. Die erzählen überhaupt mal davon, ob dort gewohnt oder gearbeitet wird. Wenn die Fenster so ganz schematisch regelmäßig sind, dann ist das doch eher ein Bürohaus, ein Wohnhaus hat vielleicht mal einen Erker, hat ein größeres Fenster, das kleinere Fenster für die Toilette. Dann hängen da Gardinen drin und stehen vielleicht Blumen, und es sind nicht so die Standardstores wie beim Bürohaus. Und dann fängt es auch an, wie die Haustüre gestaltet ist und dann kommt eben auch die Frage der tatsächlichen Wandgestaltung. Also, ein Wohnhaus ist nie eine Ganzglasfassade, weil man möchte nicht, dass einem einer beim Duschen von der Straße aus zuschaut. Das heißt, das Fenster, das öffnet sich zur Straße, aber die Wand schützt auch wieder vor der Straße, das heißt, die Fassade vermittelt eben zwischen der Öffentlichkeit des Raumes davor und der Privatheit in der Wohnung. Und, ja, die besseren Architekten schaffen es dann auch noch, dass auch die Wandfläche nicht nur einfach wärmedämmverbundsystemverblendete nackte Schimmelfläche ist, sage ich jetzt mal so provokant, sondern dass es auf der Oberfläche schöne Materialien gibt, dass es Formen gibt, wo es sich auch lohnt, zweimal hinzuschauen. Früher hat man das Ornament genannt, das Dekorum war das in der Theorie der frühen Moderne, des 17., 18., ja doch, 19. Jahrhunderts, also die Angemessenheit des Schmucks für das, was das Haus tatsächlich darstellt. Und das kann man heute alles auch, jüngere Architekten haben auch mit Schmuck der Fassade, ich sage mal, kein Problem. Aber das gehört eben letztlich auch dazu, dass der öffentliche Raum durch die Architektur, die ja dauerhaft oder sehr langfristig da steht, angenehm anzuschauen ist.
Städte im Strukturwandel
Rack: Jetzt muss ich, Herr Sonne, als Abschluss unserer Unterhaltung über diese Frage, wie eine schöne, gelungene, lebendige Stadt auszusehen hat, die noch wichtige Frage stellen, ob sich denn eigentlich nur ökonomisch potente Städte diesen Umbau, diese Erneuerung, diesen Strukturwandel leisten können? Also, wenn wir etwa mal anschauen, München, die Amerikaner nennen es das "economic powerhouse" von Deutschland. Da sind Gelder da, da wächst die Stadt, da werden Ressourcen mobilisiert, dann kann man eben auch vielleicht für hochwertigere Architektur sorgen, für mehr Stadtplanung sorgen. In Dortmund ist es, vielleicht als Gegenpol, dass müssen Sie sagen, denn Sie leben hier schon eine ganze Weile. Aber die Stadt ist geschrumpft seit den 60er‑Jahren, sie hat ungefähr 100.000 Einwohner verloren, sie hat den Strukturwandel zu bewältigen gehabt oder muss ihn immer noch bewältigen, weg von Kohle, Stahl, Bier, hin zu irgendetwas Neuem. Aber es scheint nicht so ganz geglückt zu sein, die Arbeitslosigkeit ist hoch und eben das Stadtbild ist so, wie es ist, und aus meiner Sicht jetzt nicht besonders attraktiv. Also, deshalb die Frage, wenn wir diesen Strukturwandel gestalten wollen, den Umbau der Städte, wie kann das Ganze finanziert werden? Muss man da realistisch sein und sagen, okay, nur die Städte, die eh schon wachsen, die können wir vielleicht schöner machen, und die anderen gewissermaßen, tja, Pech gehabt.
Sonne : Es ist ja immer die Frage, was mit dem Kapital passiert, was da kommt. Und Sie können natürlich auch mit großem Kapital noch bestehende schöne städtische Strukturen kaputtmachen. Die Gefahr besteht durchaus, auch für München, weil es schöne städtische Strukturen hat, ich habe in München angefangen zu studieren und liebe die Stadt sehr. So ein bisschen für die, sagen wir mal, für die historische Ausgewogenheit, es gab eine Zeit, da war das Ruhrgebiet das "economic powerhouse of Germany", wenn nicht sogar in Europa, und München eher randständig, das hat sich etwas geändert. Der Strukturwandel ist hier in Dortmund allerdings seit 20 Jahren, 30 Jahren so voll im Gange, dass wir tatsächlich jetzt auch städtebaulich schon wirkliche Früchte sehen. Wenn Sie nachher vielleicht noch mal rauskommen zum Phoenix-See, ein wirklich fantastisches neues Entwicklungsgebiet. Städtebaulich hätte man da bei den Villen es noch ein bisschen besser auch machen können, aber wenn Sie das mit früher vergleichen, erkennen Sie das überhaupt nicht wieder. Es ist auch so, dass Dortmund wieder wächst, sowohl von der Bevölkerungszahl, als auch stark von der Wirtschaftsleistung. Extrem wichtig ist da, weil Sie auch so sagten, von Kohle, Stahl, Bier, ja wohin denn eigentlich, Kultur auf alle Fälle, also das U, vom Bierlagerhaus zum Kultur- und Kreativzentrum, das ist vielleicht das Signifikanteste. Aber die diverse, avancierte Technologie- und Technikwirtschaft , die ist vielleicht auch einer der ganz wichtigen Punkte. Also der Technologiepark, der sich im Anschluss an die TU Dortmund entwickelt hat. Das ist auch ein ökonomischer Faktor hier in der Stadt, da entwickelt sich Dortmund. Dortmund hat im Moment fast das Glück, dass es nicht von all zu großen Projekten überhäuft wird, die aufgrund ihrer Größe unstädtisch sind. Also, wenn Sie mit einem Dinosaurier auf die Stadt trampeln, da machen Sie die kaputt. Da hat wahrscheinlich München sogar eher mit zu kämpfen. Insofern würde ich sagen, ja ohne dass ökonomische Kraft da ist, findet kein Städtebau, Städteneubau oder auch kein architektonischer Neubau statt. Aber zu heftig, was weiß ich, wenn Sie an die Megacitys in China oder auch im arabischen Raum denken, wenn es zu heftig kommt, muss auch nicht unbedingt eine gute und funktionierende städtische Struktur herauskommen. Und dann gibt es zu Recht doch auch die Städte, die mal mit einer schönen vorhandenen Struktur durch vielleicht sogar 100, 200 Jahre ökonomische Stagnation hindurchtauchen, wo wir heute extrem glücklich sind, dass wir die noch haben, und dann werden die plötzlich wieder sehr geschätzt. Was weiß ich, Soest ist so eine Stadt hier in Westfalen, lag am Hellweg, war fast so bedeutend wie Dortmund, aber da ist dann später nie etwas passiert, und da kommen Sie heute hin und haben eben eine wunderbare Altstadt, Kleinstadt, die so eine Qualität hat, dass dann manche dann überlegen, dort zu wohnen und lieber woanders hin zu pendeln. Ohne Kapital passiert nichts, aber zu viel Kapital kann gerade feingliedrige städtische Strukturen auch kaputtmachen.
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