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Architekturausstellung
Appell fürs gemeinschaftliche Wohnen

Überall in Europa entstehen auf Initiative von Baugruppen, Genossenschaften oder Architekten Gemeinschaftsbauprojekte, die nach individuellen Anforderungen und selbstbestimmten Organisationsformen ausgerichtet sind. Die Ausstellung in der Münchener Pinakothek der Moderne nähert sich diesem Thema sehr praktisch.

Von Julian Ignatowitsch | 25.03.2016
    Ein zum Haus gefalteter Zollstock auf einem Holzfußboden.
    Gemeinschaftliches Bauen steht im Mittelpunkt einer Ausstellung in München. (Imago / MITO)
    So rege geht es im Museum doch eher selten zu. Da schreien Kinder, hämmern und bohren Handwerker, im Innenhof wird getratscht, und auf der benachbarten Terrasse klirren die Sektgläser.
    Der Besucher steht mitten im Geschehen und ist automatisch Teilnehmer bei dieser Ausstellung, die alternative Formen des Wohnens zeigt – und deren Titel "Keine Angst vor Partizipation" eindeutig als Aufforderung zu verstehen ist, deshalb auch der Geräuschpegel. Kuratorin Hilde Strobl:
    "Unser Ansatz – auch, wenn die Bauten natürlich das sind, was wir als Architekturmuseum zeigen wollen – waren die Inhalte dahinter. Wie kam es zur Gründung der Wohnprojekte? Wer waren die Initiatoren? Wie war das partizipative Element? Also: Was war die Form der Teilhabe und des Mitbestimmens, bei dem, was dann geplant und gebaut wurde und worin man dann auch wohnt."
    Zwölf aktuelle Wohnprojekte aus Deutschland (Berlin, München), der Schweiz (Zürich), Österreich (Wien) und Dänemark (Albertslund) sind in der Pinakothek der Moderne zu sehen. Die eigentliche Architektur der Bauten ist für die Ausstellung nur zweitrangig. Stattdessen geht es um das Wie, um gemeinschaftliche Planung und Organisation. Ein eher ungewöhnlicher Ansatz – mit Fokus auf der Praxis statt der Ästhetik. Aber das ist durchaus aufschlussreich.
    Anleitung zum gemeinschaftlichen Wohnen
    Und sieht so aus: Zwölf große Infowände teilen den Raum. Auf einer Seite sind Baupläne, Grundrisse und Erklärungen zu dem jeweiligen Wohnkomplex angebracht. Auf der anderen Seite laufen Filmaufnahmen, die ganz alltägliche Eindrücke aus den tatsächlich gebauten Siedlungen zeigen. Daneben steht meist auch ein Modell, dazu liegt ein Katalog aus, der den genauen Verlauf und die Ziele jedes einzelnen Bauvorhabens nachzeichnet. An den Wänden erklärt das "kleine ABC der Partizipation in Wohnprojekten" alle wichtigen Begriffe. Informationen en masse also. Die Ausstellung ist quasi eine Anleitung zum gemeinschaftlichen Bauen und Wohnen:
    "Es ist nicht so, dass es bei Partizipation darum geht, dass jeder Bewohner seine individuellen Vorlieben auslebt und sagen kann, ich möchte runde oder eckige Fenster. Sondern wichtig sind die Grundrisslösungen, die Verteilung der Gemeinschaftsräume, wie viele Außenbereiche gibt es und so weiter. Das sind die zentralen Punkte, über die diskutiert wird."
    Und dann entstehen Wohnanlagen wie die "Kalkbreite" in Zürich. Der dreieckige Bau mitten in der Stadt wurde auf einem Tramdepot errichtet. Früher parkten hier nur Straßenbahnen, heute steht da außerdem ein vierstöckiger Neubau samt großflächigem Innenhof mit Kinderspielplatz und viel Grün. Die Straßenbahnen sind noch da, im Erdgeschoss, direkt daneben Supermarkt, Bäcker und anderen Einkaufsmöglichkeiten. Rund 230 Menschen in 88 Wohnungen nennen die Kalkbreite mittlerweile ihr ökologisches Zuhause. Auf dem Dach stehen Photovoltaik-Anlagen. Kein Auto zu besitzen, ist Voraussetzung für den Einzug. Initiiert wurde das Vorzeigeprojekt von einer Genossenschaft.
    "In der Schweiz hat die Genossenschaft einfach eine noch längere und weitreichendere Tradition als in Deutschland. Das heißt, die Möglichkeit, Grundstücke zu kaufen, ist unterschiedlich groß. Die Fördermittel sind regional abhängig, die Bauvorschriften sind völlig unterschiedlich in den einzelnen Ländern."
    Entsprechend ist die Ausstellung auch ein Aufruf an die Politik, die Rahmenbedingungen für genossenschaftliches Bauen und Wohnen hierzulande zu verbessern. In deutschen Großstädten werden solche Gemeinschaftsinitiativen meist für eine bestimmte Klientel umgesetzt, wie zum Beispiel die Berliner Studentenwohnanlage "Siegmunds Hof" oder das "FrauenWohnen" in München-Riem.
    Wohnraum soll nicht Währung sein, heißt es an einer Stelle in der Ausstellung – das wird unmittelbar aktuell, wenn man später vor die Tür der Pinakothek in München tritt und sich die Mieten in diesem Viertel vergegenwärtigt. Der Quadratmeterpreis für eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung liegt hier bei gut 23 Euro, das sind rund 700 bis 900 Euro Miete im Monat. Auch, wenn Partizipation allein steigende Mietpreise nicht stoppen wird, so bietet sie immerhin eine Alternative, mehr Mitbestimmung und faire Finanzierung. Wie das im Idealfall aussieht, zeigt diese Ausstellung detailliert – und sie ist gleichzeitig ein Statement.
    Ausstellungsinfos:
    "Keine Angst vor Partizipation – Wohnen heute!"
    Architekturmuseum TU München,
    ab 17. März