Donnerstag, 28. März 2024

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Architektursommer (1/4)
Gebaute Utopie einer überschaubaren Welt

Der Zoo war schon immer der Versuch, an einem Ort etwas zu versammeln, was man sonst an einem Ort auf dieser Welt nicht findet. Es hat sich eine - durchaus umstrittene - Unterhaltungsarchitektur entwickelt, die nicht nur einen wechselseitigen Schutz von Tieren und Publikum, sondern auch optimale Sicht und Nähe bieten will.

Sabine Scho im Gespräch mit Frank Kaspar | 06.07.2014
    Ein Steppenzebrafohlen läuft mit einem Artgenossen im Gehege
    Zweimal gab es im März Nachwuchs in der Zebraherde im Berliner Zoo. Ausreichend Platz ist dann sehr wichtig. (picture-alliance / dpa / Hauke-Christian Dittrich)
    Zoologische Gärten sind Schnittstellen, die von dem Leben der eigenen mit der je anderen Art zeugen. Ihre Gestaltung spiegelt das Selbstverständnis einer Gesellschaft, die ihren Platz in der Evolution immer neu definiert.
    Beim Besuch eines Zoos verlangt es uns heute längst nicht mehr nach einem Abbild symbolischer Ordnung, wie sie noch die Menagerie Ludwigs XIV. verkörperte. Dessen Baumeister Louis Le Vau ordnete die Gehege in sogenannten Logen an. Der absolutistischen Herrschaftsidee entsprechend, richtete er diese konzentrisch zum Betrachterstandpunkt des Sonnenkönigs aus.
    Gerechte Hege erbaut uns heute mehr als gebaute Hegemonie. Nicht positivistischer Bildungshunger treibt uns, eher schon suchen wir in den Landschaftskulissen nach Reservaten der Sehnsucht. So hat sich das Projekt Zoo gleichsam invertiert: Künstlich bauen wir en détail wieder auf, was wir en gros zerstören. Große Freigelände ersetzen einzelne Gehegebauten und versammeln Lebensgemeinschaften unterschiedlichster Klimazonen.
    Mit der Umsetzung solch geografischer Gelände ist man in den USA wegweisend. Im San Diego Zoo schweben die Besucher im "Käfig", der Aerial Tram, über skurrilen Landschaftsimitationen und erschließen sich aus der Vogelperspektive den Park.
    In der Bucht von Monterey bei San Francisco und in Long Beach bei Los Angeles finden sich die derzeit wohl beliebtesten Architekturen für Tiere: Aquarien. Sie werden mittlerweile zu Vorzeigebauten der Stararchitekten. Frank O’Gehry etwa entwarf das Aquarium of the Pacific für Long Beach. Hier zielt man auf einen besonderen ästhetischen Mehrwert, inszeniert die vielfarbigen Meeresbewohner mithilfe der Architektur als lebende Dioramen. Aber auch das Bedürfnis nach Kontaktaufnahme hat man einkalkuliert: Hai- und Rochenstreichelbecken sind State of the Art und dürfen heute in keinem Aquarium fehlen.
    Utopie eines Zoos ohne Gitter
    Doch selbst die noch so perfekte Natursimulation kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass zoologische Gärten - ungeachtet ihrer Arterhaltungs- und Aufklärungsanliegen - Unterhaltungsarchitekturen hervorgebracht haben, die neben dem wechselseitigen Schutz von Tieren und Publikum optimale Sicht und Nähe einfordern. Kein Zoo der Welt kann es sich leisten, dass sich seine Tiere den Blicken der Menschen völlig entziehen, ob er nun der Natur nachempfunden wurde oder ob seine Gehege konstruktivistischen Bühnen gleichen, wie sie Berthold Lubetkin in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts für den Londoner Regent’s Park und den Dudley Zoo bei Birmingham entwarf oder Carl James Bühring sie in Anlehnung an den Klinkerexpressionismus 1926 für den Zoo Leipzig ersann. Und sind heute nicht mehr Gitter die Barrieren, dann sind Wasser- oder Trockengräben die scheinbar natürlichen Hindernisse.
    Dabei ist der Freigeländegedanke gar nicht so neu, wenn man sich an Carl Hagenbeck und seine Utopie eines Zoos ohne Gitter erinnert, die er in Stellingen bei Hamburg 1907 verwirklichte. Hagenbeck, der als Fischhändler in St. Pauli begann, als Tierhändler sein Geld verdiente, der mit seinen berühmt-berüchtigten Völkerschauen sowie seinem Zirkus und den portablen Panoramen durch die ganze Welt tourte, hatte schon früh begriffen, worauf es beim Unterhaltungsunternehmen Zoo im 20. Jahrhundert ankam: paradiesische Verhältnisse.
    Doch was sich scheinbar kohärent zu einem Bild fügt, fängt mit einem Felskettenimitat der Hochgebirge an und endet in einem japanischen Garten, ganz nach dem Vorbild eines Landschaftspasticcios.
    Keine Kampfarena wie im antiken Rom
    Im Zoo existieren keine fließenden Übergänge, Regenwälder finden sich direkt neben Tierkühlhäusern mit Gletscherambiente, vom maritimen Streichelbecken geht es über eine Doppelschwingtür in die Trockenwüste, die, den Tagesablauf der nachtaktiven Wüstenbewohner umkehrend, zur Besuchszeit in mittägliche Dunkelheit getaucht ist. Und nicht nur zieht der Zoo seine Grenzen zwischen Mensch und Tier, zumeist zieht er sie auch zwischen den Tieren, denn Fressfeindschaften stören doch letztlich sehr die Vorstellung vom Zooparadies, das keine Kampfarena - wie einst im antiken Rom - sein darf.
    Menagerien sind theatralische Orte, nicht minder als es Theater, Kirchen, Tempel, Arenen oder Mausoleen sind. Einen definierten Parcours, kalkulierte Perspektiven, Sichtachsen, Aussichtsplattformen, all das berücksichtigt man bis heute auch bei der Ausstellungsarchitektur Zoo.
    Zu den legendären Tiergärten zähle der Garten des Ammon in Theben der Königin Hatschepsut, die sich 1450 vor Christus Wasserböcke, Antilopen, Gazellen, Strauße, Giraffen und Elefanten hielt.
    Kaum vorstellbar, aber der 1150 vor Christus von Kaiser Wu-Wang bei Peking errichtete "Park der Intelligenz" mit seinem zahlreichen Bestand an Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Fischen beherbergte eine in freier Wildbahn bereits ausgestorbene Hirschart, den Milu.
    Zoos und Aquarien im International Style
    Mit den ersten Menagerien hat man schon praktiziert, was erst viel später auf den Begriff gebracht werden sollte: Globalisierung. Exotische Tiere waren immer auch Gastgeschenke der Kaiser und Könige und dienten der Repräsentation, und so hat wohl selbst Noah nicht mehr die ganze Welt bereisen müssen, um die "Boatanimals"auf sein Zooboot zu laden.
    Repräsentationssinn beweist man indes auch heute, wenn sich MGM eine kleine Population seines Symboltiers hält, hinter Glas, in den Casino-Hallen eines Hotels in Las Vegas.
    In den Zoos und Aquarien realisiert man einen International Style, wie man ihn bereits von Hotel- und Restaurantketten kennt (SeaWorld Adventure Parks, Bush Gardens, Sea Life Centres). Individuelle Gehegelösungen lassen sich immer seltener finden. Hat man die Kasse passiert, wird Architektur kaschiert und Natur simuliert. Schaut auch die Giraffe im Zoo von Santa Barbara von ihrem Gehege auf den Freeway. Fast möchte man glauben, der angeborene Knick in ihrem Hals rührte nur daher, dass sie an ihrem künstlichen Felsen vorbei nichts lieber tue, als den Fließräumen einer globalen Gesellschaft hinterherzusinnen, die eher sich als ihr natürliche Freiräume vorgaukeln muss. Oder lauscht sie versteckten Lautsprechern? Denn wo die Bühnen von Savannenland und Regenwald optisch nicht überzeugen, hilft man längst mit entsprechenden Geräuschkulissen nach. Sounddesigns für Zoos sind der letzte Schrei. Und dabei gilt, was seit jeher für Kulissen gilt: Sie bürgen nicht nur für Authentizität, sie geben nur vor, was so nicht sein muss. Die Möglichkeit, dass Wildnis so klingen könnte, reicht völlig aus, tönt sie tatsächlich auch anders. In den Aquarien spielt man neben Glucker- und Blubbergeräuschen Walgesänge und meditative Musik ein für die Illusion eines Ortes artifizieller Entrückung und Exotik.
    Nicht selten waren Gasthäuser erste Umschlagplätze des Tierhandels und Grundstein für eine Menagerie (Leipzig, Amsterdam). Zoos siedelte man dort an, wohin Tiere leicht zu befördern waren, nahe Bahnhöfen und Häfen (Berlin, Antwerpen, Sydney).
    Die Urkulisse jeder Menagerie bleibt jedoch der eingehegte Garten, der Hortus conclusus, als Rückzugsort, Paradies- und Lustgärtlein.
    Der Zoo bleibt ein gerissenes Gelände, gleichermaßen zerrissen wie raffiniert reißerisch. Kulisse einer Menschensehnsucht, eingebettet in eine Urbanität, die er vergessen machen soll, obgleich sie ihn erst ermöglicht. Letztlich konkurriert er schon heute mit den Freigeländerevieren an den Rändern der Ballungsgebiete, die wiederum längst mit den angestammten Lebensräumen der letzten noch wild lebenden Tiere konkurrieren.
    Zoos sind mittlerweile auch schützenswerte Architekturgeschichte
    Frank Kaspar: Sabine Scho, man kommt weit herum mit Ihrem Buch. Die Gedichte, Prosastücke, Fotografien führen den Leser nach Los Angeles und London, nach Berlin, Antwerpen, nach São Paulo, wo Sie lange gelebt haben. Immer gilt Ihr Blick der Architektur von Zoos und Tiergehegen. Bekommt man dabei eigentlich große Unterschiede zu sehen, oder sieht es im Großen und Ganzen überall auf der Welt sehr ähnlich aus, was Menschen für Tiere bauen?
    Sabine Scho: Das hängt sehr davon ab, wer diese Zoos betreibt. Es gibt natürlich so etwas wie einen International Style - jetzt zum Beispiel Sea Life oder Sea World - da ähneln sich die Gehege schon sehr. Und die gewachsenen Zoos, die über 150 Jahre alt sind, wie London zum Beispiel, da ist es natürlich eine wilde Mixtur aus Gehegen, die schon sehr alt sind, neuen Parcours, die neu aufgebaut werden mussten, und Gehegen, die jetzt angepasst worden sind. Und man muss ja auch bedenken, es sind ja mittlerweile nicht nur schützenswerte Arten, die sich in Zoos aufhalten, sondern es sind ja auch mittlerweile schützenswerte Architekturen, wie der Penguin Pool im Regent's Park Zoo zum Beispiel, das ist eine Inkunabel der Architekturgeschichte, die fehlt eigentlich in keiner Architekturgeschichte, jetzt jenseits dessen, dass sie im Zoo existiert. Und das ist etwas, was dann sich eher an den ästhetischen Formen dieses Tieres orientiert hat, ist halt elliptisch geformt und drinnen verläuft eine Art Doppelhelix wie eine Rampe, und man hat das Gefühl, es ist wirklich eine Bühne für Tiere - Auftritt der Pinguine.
    Kaspar: Es war ja durchaus eine ausgestellt künstliche Bühne, eine konstruktivistische Bühne, wenn man so will. Es war auch damals, als diese Entwürfe realisiert wurden, ein ambitioniertes, avantgardistisches Stück aktueller Architektur eigentlich. Sagen Sie noch ein Wort bitte zu diesem Penguin Pool und zu Berthold Lubetkin, der ihn entworfen hat.
    Scho: Lubetkin ist eigentlich ein russischer Emigrant oder georgischer Emigrant, muss man sagen, 1901 geboren in Tiflis und 1990 gestorben, wurde bekannt mit der Gruppe Tecton, die eben sich einer Art Bauhaus-Stil auch verschrieben hat, muss man so sagen, also der modernen Architektur. Es gab damals den Reinforced Concrete, also im Grunde die Möglichkeit, mit armiertem Stahlbeton zu bauen. Das war relativ neu. Und damit hat er dann eben unter anderem bei Birmingham den Dudley-Zoo also in Gänze kreiert, der heute auch verfällt. Die Gehege werden so nicht mehr genutzt. Es ist relativ prominent geworden in einem Film von Peter Greenaway, "A Zed and two Naughts", also eben - es geht dann zwar nicht wirklich um diesen Zoo, aber er taucht immer mal wieder als Kulisse auf. Und da war die Idee schon, dass eben auch immer als Ganzes zu bauen, aber Architekten lassen sich nun mal auch - Habermas hat es mal so gesagt - gerne überfordern, bis heute. Sie haben gern so einen Masterplan, und in das soll sich dann alles fügen. Aber wenn die Zeit so darüber hinweg läuft, dann fügt sich eben längst nicht mehr alles. Auch das Bauhaus ist nicht mehr so funktional für unser heutiges Empfinden, wie es damals sicherlich fortschrittlich gedacht war. Vieles davon gilt sicherlich auch noch, aber da muss immer nachgebessert werden, und das sieht man tatsächlich den Zoos dann an. Dass man eben da durch geht und auch wie durch eine Zeitgeschichte hindurchgeht, eine gebaute Zeitgeschichte.
    Zootiere waren Tiere, die dem König gehörten
    Kaspar: In Ihrem Essay, mit dem Sie das Buch eröffnen, haben sie ja angedeutet, dass man eine regelrechte Architekturgeschichte eigentlich der Zoos schreiben könnte. Es gibt ein ganz schönes Wort dazu von Walter Benjamin, der in der Berliner Kindheit um 1900, in seinen Kindheitserinnerungen geschrieben hat, wie man aus der Wohnung, wo einer haust, und aus dem Stadtviertel, das er bewohnt, sich ein Bild von seiner Natur und Wesensart macht - "hielt ich es mit den Tieren des Zoologischen Gartens". Das haben Sie so als Motto auch Ihrem Essay vorangestellt. Und wenn man heute in den Berliner Zoo geht, kann man ja noch einige von den Gehegen sehen, die Benjamin als Kind vor Augen hatte. Das sind eigentlich Kulissen, das sind Gebäude, die die Tiere auf eine bestimmte Art und Weise in Szene setzen, die sie eigentlich in das Bild versetzen, das wir uns von ihnen machen. Sie schreiben selbst, der Zoo ist so eine Art Kulisse, eine Kulisse einer Menschensehnsucht. Was ist das für eine Sehnsucht, die solche sprechenden Gebäude bedient haben?
    Scho: Na ja, einerseits die Sehnsucht nach Exotik, nach dem völlig anderen - nicht selten wurden ja dann auch für Elefanten Pagoden gebaut, also im Grunde wird etwas nachgebaut aus nicht dem natürlichen Habitat der Tiere und dem Ort, wo sie herkommen, sondern im Grunde da auch schon die Prachtbauten nachgeahmt wurden, wo dann nicht die Tiere drin wohnen, aber die Herrscher halt, die indischen. Das ist ja auch bezeichnend, dass man dann den Tieren etwas baut, was man dann eigentlich den Menschen zugestanden hat. Das sind Formen von Exotik, die man versucht, nachzuahmen. Und von Repräsentation natürlich - es war ja auch ursprünglich so, wenn man es umgekehrt denkt, die Entstehung der Zoos und Menagerien, dass einfach Tiere erst von einem Herrscher verschenkt worden sind. Das waren große Gastgeschenke häufig der unterschiedlichen Herrscherhäuser. So ist es vielleicht zu erklären, dass exotische Tiere, große Tiere, dann in den Umgebungen gezeigt worden sind, die sie eben auch repräsentativ zeigen sollten.
    Kaspar: Zootiere waren ursprünglich sozusagen die Tiere, die dem König gehören, und das sollte die Architektur auch zeigen, nicht?
    Scho: Das sollte die Architektur zeigen, und der Sonnenkönig hat ja eigentlich damit begonnen. Der hat sich ja auch in die Mitte gestellt und hat die erste Menagerie sozusagen radial zu sich angeordnet. Er stand erhöht und schaute dann eben über seine Geschöpfe, gottgleich. Und es ist ja irgendwie bis in die 80er, als man dann das Medellin-Kartell und damit Escobar stellte, auch so gewesen, dass damit auch seine Hazienda Napolis aufgelöst worden ist, und der hat sich ja auch einen Zoo gehalten. Jetzt Janukowitsch, stellte man fest, als er geflohen ist, in der Ukraine - was fand man? Tiere, einen Zoo. Also, es scheint irgendwie immer noch sehr en vogue zu sein, sich eben auch als Repräsentant der Macht irgendwie mit großen und exotischen Tieren zu umgeben.
    Kaspar: Sie haben das mit dem Blick auf diese königlichen Menagerien schon angedeutet. Die Zooarchitektur organisiert Sichtverhältnisse, sie organisiert damit auch Machtverhältnisse. Es gab diesen Wunsch, von der Spitze der Schöpfungsgeschichte aus auf die Tierwelt hinunterblicken zu können. Der König schaute sozusagen auf seine Untertanen herab. Heute haben wir ja eigentlich ganz andere Erwartungen an die Zoos. Wie hat sich die Sehnsucht der Zoobesucher verändert, und wie hat sich Architektur darauf eingestellt?
    Die Tiere blicken nur selten zurück
    Scho: Wegweisend wurde sicherlich Hagenbeck, der 1907 ja das Patent seines Zoos ohne Gitter angemeldet hat. Der hat einfach gesagt, wir müssen die Barriere entfernen, und hat dann lange mit Gräben, Wassergräben und Winkeln geprobt, wie tief und wie schräg das sein muss, damit der Gepard es eben nicht doch noch rüber schafft und ausbüxt. Das war aber, man muss es fast zeitgleich mit Lubetkin denken oder ein bisschen zeitversetzt sogar. Es gab diese Idee, den Zoo quasi verschwinden zu machen, indem man keine Gitter mehr sieht, indem man nicht das Rilkesche Bild vor Augen hat des Panthers hinter tausend Stäben. Und auf der anderen Seite eben das, was Lubetkin versucht hat, also so regelrechte Bühnen für die Tiere zu schaffen, konstruktivistische Orte, die Architektur mit sprechen zu lassen. Und tatsächlich bin ich mir selber nicht so sicher, was jetzt der bessere Weg ist. Bekäfigt sind ja immer noch beide.
    Kaspar: "Warum sehen wir Tiere an?", so heißt ein Essay von John Berger, dem britischen Kunstkritiker und Schriftsteller. Er hat festgestellt, dass die Zoos eigentlich zu der Zeit entstanden sind, als Tiere immer mehr aus dem öffentlichen Leben, gerade aus dem städtischen Leben verschwunden sind. Im Zoo wollen die Menschen Tieren wieder begegnen, aber Burger schreibt, der Zoo ist ein Denkmal für die Unmöglichkeit solcher Begegnungen.
    Scho: Ja, natürlich ist es unmöglich. Wir sehen die Tiere an, die Tiere blicken nur selten zurück. Das ist das Problem dabei. Wir sehen die Tiere an, aber mit der Hoffnung sicherlich darauf, dass die Tiere auf uns blicken sozusagen. Das ist schon so eine Hoffnung auf eine Spiegelung dabei. Aber Publikum interessiert die meisten Tiere ja tatsächlich nicht. Das ist ja vielleicht auch das große Dilemma bei den Zoos, denn die Tiere haben das ja jeden Tag. Die sehen, die unterscheiden vielleicht auch nicht mehr groß denjenigen, der davor steht. Wenn dann aber mal ein Tier es wirklich auf die Beine stellt, Kontakt zu nehmen mit einem der Menschen vor dem Käfig, dann ist das ein großes Raunen, und man fühlt sich ausgezeichnet.
    Kaspar: In der "FAZ" war gerade ein großer Bericht über die Kritik an Zoos zu lesen, die sich auch auf die Haltungsbedingungen der Tiere, also in gewisser Weise auch auf die Architektur bezieht. Da wird kritisiert, dass Tiere zu wenig Umweltreize bekommen und sozusagen sinnlich verarmen. Es wird kritisiert, dass es für viele Tiere da zu wenig Rückzugsmöglichkeiten gibt, sich den Blicken der Besucher auch mal zu entziehen. Wie ist das? Ist all das, was Sie in Zoos zu sehen bekommen haben, in dem Sinne auch ein trauriges Kapitel, wenn man sieht, was Architektur sozusagen den Tieren antut? Ist Ihnen das manchmal auch nahe gegangen?
    Von der Architektur gerahmte Tiere
    Scho: Das bleibt nicht aus, sozusagen wenn man in der Situation selber steckt - ein Zoo ist ja ein Ausstellungsgelände, das ist schon irgendwie ganz klar. Wie man auf den Rummel geht oder wie man vielleicht ins Museum geht - das ist mir schon auch immer irgendwie ganz klar bewusst. Und in dieser Ausstellungssituation empfindet man es fast als normal, dass eben - Tiere werden gehalten - dass Tiere gezeigt werden. Sonst gäbe es nicht die Idee, zum Beispiel den Punkt, den man am besten einsehen kann, wo der Löwe sich aufhalten soll, im Winter zu beheizen. Das machen Zoos nämlich. Und dann kriegt man den Löwen da auch unter Umständen mal hin. Das sind so halt die Tricks und die Ideen, wo man eben die Sichtbarkeit erreichen will. Ob das allerdings sein muss, ob man diese Tiere in die Gefilde bringen muss, wo sie eigentlich nicht hingehören, das ist eine andere Frage. Heute findet man schon seltener vielleicht als früher totale Hospitalisation - also da ist ja schon auch irgendwie was passiert, das habe ich dann in den Zoos auch weniger gefunden, dass ich dachte, oh, das ist der Eisbär, der eben einfach nur noch den Kopf von rechts nach links und nichts anderes mehr, was er wirklich bräuchte, zur Verfügung hat. Das habe ich - das kenne ich eher aus meiner Kindheit. Da haben die Zoos sich schon verändert, muss ich sagen. Wenngleich ich irgendwie - ich kann mich auf keine Seite schlagen. Ich gehe gerne in den Zoo, ich bin immer gerne in den Zoo gegangen, und trotzdem halte ich es für völlig zweifelhaft, das zu betreiben. Die Frage ist ja auch danach, sind Tiere im Zoo eigentlich noch - repräsentieren sie eigentlich noch ihre Gattung? Sind das nicht ganz eigene Individuen? Vielleicht eben durch die Gebäude geprägt, durch die Integrationsmacht ihrer Umgebung, die eben eine andere ist als die, die sie in der Natur wäre. Vielleicht muss man auch anfangen, Tiere nicht immer nur als Gattung zu sehen, und zu sehen, dass vielleicht einfach Stadttiere oder Zootiere andere Dinge lernen durch ihre Umgebung als Naturtiere, also die eben noch in ihrem vermeintlich natürlichen Habitat leben. Auch da wird ja eine eigene Menschensehnsucht projiziert. Ich meine, wir könnten uns ja genauso denken, dass wir sagen, warum leben wir eigentlich irgendwo im vierten Stock in einer Hinterhofstiege - wir gehören doch eigentlich auch in die Natur. Wann sind wir denn sesshaft geworden? Diese Fragen müssen wir ja vielleicht auch anschließen eigentlich.
    Kaspar: In den königlichen Menagerien und in den frühen öffentlichen Zoos, die Walter Benjamin unter anderem beschrieben hat, wurden die Tiere sozusagen durch die Architektur gerahmt und in exotische Szenerien versetzt. Heute haben wir viel mehr diese Vorstellung, den Tieren begegnen zu wollen auf Augenhöhe begegnen zu wollen, haben Sie schon gesagt. Die Architektur stellt sich darauf ein. Ist denn heute die avancierte Zooarchitektur, die den Schauwert im Auge hat und die unser Bedürfnis nach Natürlichkeit bedienen will, eine, die sich auf clevere Weise sozusagen selber zum Verschwinden bringt und als Architektur überhaupt nicht sichtbar wird?
    Scho: Nein. Deshalb finde ich ja manchmal die Entscheidung für die Architektur besser. Weil es ist ja irgendwie manchmal nur schlecht kaschiert - sagen wir es mal einfach so. Das wirkt eher ein bisschen hilflos in meinen Augen, weil es für mich eben so oder so eine Ausstellungsarchitektur bleibt. Das heißt also, dass sozusagen mein ästhetisches Empfinden ist beim Lubetkin besser aufgehoben als bei einem Hagenbeck, muss ich sagen. Also so ein kläglich nachgeahmter Berg in Beton - und das findet man ja leider irgendwie immer noch. Wenn man Gehege im Aufbau wirklich fotografiert, dann sieht man nach wie vor, dass die Wände angemalt werden wie in Dioramen. Was in Dioramen schon manchmal schrecklich wirkt, dass dann dahinten irgendwo noch eine Fototapete von Natur hin geklebt wird, und man fragt sich, wozu? Das ist, glaube ich, wirklich ein Bedürfnis des Selbstbetrugs der Menschheit, dem da stattgegeben wird, aber nicht unbedingt dem Tier.
    Auch mal das Tier suchen
    Kaspar: Es gibt ja auch heute noch die Stararchitekten, die für Zoos bauen und dabei große Würfe hinlegen und avantgardistische Ambitionen haben. Wie sehen solche Entwürfe denn heute aus?
    Scho: Na ja, also da kann ich vor allen Dingen jetzt aus eigener Anschauung das Aquarium in Long Beach von Frank O. Gehry - und da ist insofern der Besucher gedacht worden, dass man halt nicht einfach nur in so einen verdunkelten Raum, relativ klein, hinein kommt, und man hat dann eben einen relativ kleinen Ausschnitt, sondern man hat riesen riesige lebende Bilder - und darin bewegt sich dann eben was. Und das ist auch nicht irgendwie die Idee, was ich aus Sidney kenne und aus Rotterdam, dass man halt dann durch so einen Tunnel geht und über einem die Rochen schwimmen, sondern Gehry hatte wirklich die Entscheidung getroffen, man geht da rein, und statt Bildern sieht man unglaublich große Ausschnitte von Quallenpopulationen, von schwärmenden Fischen. Und natürlich mussten die Fische sich dann entscheiden, nach vorne zu kommen, wenn man sie sehen wollte. Aber ich denke auch, dass gute Architektur auch immer diesen Moment der Suspensemit herausarbeitet, nicht sofort alles zu sehen, sondern auch das Tier mal zu suchen.
    Kaspar: Sie haben sich dem Zoo auch genähert als einem literarischen Ort. Was reizt Sie als Autorin, die nicht aus der Königsperspektive schreiben möchte, sondern eher aus der Froschperspektive, dennoch, immer noch an dem Gelände mit dem großen Plan, dem Zoo?
    Scho: Das Detail. Gerade bei den großen Plänen und bei den großen Entwürfen - es heißt nicht umsonst, der Teufel steckt in Versailles - nein, im Detail natürlich - merkt man da, wo die Scharniere quietschen, ist das Problem. Also wenn es dann vom Nachttierhaus direkt wieder hinaus geht. Es ist ja wie so ein Landschafts-Pasticcio, also ziemlich zusammengewürfelt. Es ist der Versuch einer Zusammenschau, es ist der Versuch, an einem Ort etwas zu versammeln, was man sonst an einem Ort auf dieser Welt nicht findet. Man kann es, wenn man es erzähltechnisch fasst, mit dem auktorialen Erzähler vergleichen. Man möchte einen Überblick haben übers Ganze. Und das entspricht nicht meiner Vorstellung und meiner Idee von Literatur, die eben sehr an die Moderne geknüpft ist, die immer sagt, es kann nur einen Ausschnitt geben. Und da sind eben dann - die Details werden spannend, also da, wo die Sache einfach hakt und nicht funktioniert. Das ist eben in dem Benjamin ja sehr schön beschrieben, wo alle Wasser dieser Stadt eben zurück in dieses Ottergehege fließen, um dieses Tier zu speisen. Da zieht es sich sozusagen an diesem einen kleinen Punkt zusammen, das Große dieser Welt ist eben auf diese Nadelspitze oder in dem Fall eben das Ottergehege zu hieven. Und das ist sozusagen ja vielleicht die Inversion, wenn man an den großen Geschichten zweifelt, hat man natürlich insgeheim wahrscheinlich auch die Idee, dass sich im Kleinen die ganze Welt befindet.
    Architektur schafft Tatsachen in Gestalt von Räumen
    Kaspar: Walter Benjamin verdanken wir ja auch die Beobachtung, dass Architektur gar nicht in erster Linie über die Augen wirkt, sondern mindestens genauso über den Körper. Architektur hat ihren Schauwert, sagt Benjamin, aber mindestens genauso wichtig ist eine Art taktile Rezeption. Architektur schafft Tatsachen in Gestalt von Räumen, die wir bewohnen, oder von Stadträumen, in denen wir uns bewegen. Sie gibt Wege vor, setzt Grenzen. Und all das nehmen wir ja normalerweise einfach hin in so einer „zerstreuten Aufmerksamkeit“, wie Benjamin das nennt, durch Gewöhnung, durch Bewohnen und Gewöhnung.
    Scho: Das Spannende bei Benjamin ist wirklich diese Frage nach dem Taktilen. Tatsächlich erfährt man auch selber ja Architektur nicht nur als Sichtwert, sondern wer einmal unterschiedliche Gebäude bewohnt hat - ich bin jetzt gerade vom Hinterhaus ins Vorderhaus gezogen, nicht umsonst heißt da die zweite Etage Beletage. Sie ist höher, sie ist luftiger, und natürlich ist es ein völlig anderes Empfinden darin. Und das wird Tieren mit Sicherheit nicht anders gehen. In dem Sinne könnte man natürlich alles ein bisschen fluider gestalten und sagen, vielleicht könnte man in Zukunft Architekturen planen, die noch variabel sind, die erst hingestellt werden, die Tiere können sie in Besitz nehmen, und man beobachtet dann nicht nur diese Population und was man von ihnen weiß, sondern welche Wege gerade diese individuellen Tiere sich in diesem neuen Gebäude suchen. Fast so etwas wie eine Dom-ino-Gestaltung eines Corbusiers. Dass ich sage, ja, ich gebe jetzt erst mal nur die Außenwände vor, aber der neue Bewohner soll es selber entscheiden. Ich glaube, da gibt es noch viel, was man ausprobieren kann, was auch spannend wäre.
    Kaspar: Vielen Dank, Sabine Scho. Wir sprachen über Tiere in Architektur, und wir schließen mit einem Wort, das John Berger ans Ende seines Essays über den Sehnsuchtsort Zoo gestellt hat: "Nun schließe deinen Käfig gut ab, lieber Leser, liebe Hörerin, lieber Hörer, und träume angenehm."
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