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ARD-Musikwettbewerb 2016
Marathon der Spitzenkräfte

Zwei Wochen lang kämpften knapp 150 junge Musikerinnen und Musiker um die begehrten Auszeichnungen beim diesjährigen renommierten ARD-Musikwettbewerb in München. Nun stehen alle Preisträger und Preisträgerinnen fest – und zwar in den Fächern Harfe, Kontrabass, Horn und Streichquartett.

Von Kathrin Hasselbeck | 13.09.2016
    Der junge Posaunist und ARD-Musikpreisträger Michael Buchanan spielt sein Instrument
    Gewinner des letzten Jahres beim ARD-Musikwettbewerb: der Posaunist Michael Buchanan (Daniel Delang/ARD-Musikwettbewerb)
    Musik: Beethoven mit Aris Quartett
    "Technische Perfektion und eine Künstlerpersönlichkeit" – nicht weniger hoch sind die Ansprüche von Günter Pichler, dem Gründer und Primarius des Alban Berg Quartetts, der dieses Jahr der Jury im Fach Streichquartett vorsitzt. Natürlich muss auch die Balance zwischen den einzelnen Mitgliedern stimmen:
    "Ein Quartett ist dann eher eine Gesamtpersönlichkeit. Das wäre nicht gut, wenn in einem Quartett einer mehr dominiert als der Komponist ihm als Stimme zugedacht hat. Also ein Quartett hat im Ganzen auch eine Ausstrahlung zu haben. Sonst kann es nicht existieren auf dem Podium."
    Das Streichquartett – die Königsdisziplin der Kammermusik, alle vier Jahre beim ARD-Musikwettbewerb dabei, Highlight, ja fast schon Lieblingsfach.
    Amabile, Aris und Arod
    Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, die Jury hätte die drei Final-Ensembles der Alliteration im Namen wegen gewählt, denn sie heißen: Amabile, Aris und Arod. Es ist das längste der vier Final-Konzerte: Jedes Ensemble spielt über 70 Minuten Musik. Während die jungen Japaner vom Quartet Amabile bei Schuberts "Der Tod und das Mädchen" schwächeln, liefern das deutsche Aris Quartett und das französische Quatuor Arod Bestleistungen ab. Bei der Bekanntgabe der Juryentscheidung über den Gewinner gibt es Buh-Rufe im Publikum. Denn der erste Preis geht an ein Ensemble, das polarisiert:
    Musik: Mozart mit Quatuor Arod
    Die vier jungen Franzosen vom Quatuor Arod interpretieren eigenwillig, stilistisch oft weit vom Notentext entfernt. Auf der einen Seite ziehen sie mit ihrem leidenschaftlichen Spiel in ihren Bann, auf der anderen Seite mag der eine oder andere seinen Mozart oder Beethoven nicht wiedererkennen. Dass die hochkarätig besetzte Jury im Fach Streichquartett so über die Werktreue hinwegsieht, dürfte beim diesjährigen ARD-Musikwettbewerb wohl die größte Überraschung gewesen sein. Christoph Poppen, Jurymitglied und ehemaliger Primarius beim Cherubini-Quartett, sieht beim Quatuor Arod andere Stärken:
    "Ich finde es ganz wunderbar, wenn junge Künstler im Zweifelsfall ein bisschen übers Ziel hinausschießen und diesen Rahmen gerade bei klassischer oder romantischer Musik etwas sprengen, vielleicht noch in jugendlichem Überschwang, aber doch echte Persönlichkeit zeigen, also den Mut haben, auf eine bestimmte Weise etwas auszudrücken, was sie wirklich ganz persönlich empfinden."
    Harfe fest in Frauenhänden
    Neben den Streichquartetten waren dieses Jahr beim ARD-Musikwettbewerb noch drei Instrumente an der Reihe, die solistisch eher ein Nischendasein führen: Harfe, Kontrabass und Horn.
    Musik: Harfe Renié – Rino Kageyama
    Auch im Fach Harfe war Stilsicherheit ein Thema. In der ersten Runde mussten alle 23 Kandidatinnen und Kandidaten mit Scarlatti, Spohr oder Fuchs und einem modernen Stück Werke aus drei Jahrhunderten vorspielen. Das Problem bei etlichen Harfenistinnen: Stilistisch waren kaum Unterschiede zu hören – dadurch geriet die halbe Stunde pro Auftritt immer wieder eintönig. Die Jury-Vorsitzende Maria Graf:
    "Der Charakter der Harfe is nunmal so einer, dass das gut kommt, es is nicht umsonst auch so eingesetzt: Wagner setzt es gern mit dicken Arpeggien ein, ein Debussy hat diese wunderbaren Glissandi, die nur auf der Harfe möglich sind, ins Orchester gebracht. Das ist schon auch Welt der Harfe, aber in welchem Jahrhundert bewege ich mich? Und das is für einen Harfenisten nicht so einfach, in diesen drei Jahrhunderten mit Ausdruck daherzukommen, muss ich sagen, hatt ich mir etwas mehr erwartet.
    Musik: Harfe mit Agnés Clèment
    Besonders eindrucksvoll war das Semifinale. Neben dem eher unspektakulären Auftragswerk von Krzysztof Meyer für Harfe Solo spielten alle sechs Kandidatinnen – ja, es waren ab hier klischeegemäß nur noch Frauen im Rennen – die beiden Tänze "Danse Sacrée et Danse Profane" von Claude Debussy. Und wie in jeder Runde kommen bei so vielen Wiederholungen zwei Dinge zusammen: Zum einen Langeweile, weil man ständig dasselbe hört, zum anderen aber die Chance, gut vergleichen zu können. Als die mit dem Los-Pech, die Sechste und Letzte jedoch in die Saiten greift, ist klar: Wer wirklich Musik macht, der erreicht sein Publikum auch bei der x-ten Wiederholung. Agnés Clèment, die spätere erste Preisträgerin überwältigt mit ihrem intensiven Spiel, das vor allem auf Kommunikation mit den Musikern des Münchener Kammerorchesters beruht. Ein Genuss!
    Musik: Debussy mit Agnés Clèment
    Junges Wettbewerbsfach Kontrabass
    Die meisten Bewerber gab es im Fach Kontrabass: Fünfzig gingen an den Start. Erst seit 2003 ist es überhaupt Teil des ARD-Musikwettbewerbs. Und als Solo-Instrument ist der Klang des Streicher-Riesen schon immer noch gewöhnungsbedürftig.
    Musik: Rota mit de Boevé
    Wer es jedoch schaffte, weniger zu sägen und mehr zu singen, der konnte durchaus musikalische Verzauberungsmomente erschaffen. Und das gelang sicherlich den beiden versierten Finalisten: Michael Karg aus Deutschland, der seit zwei Jahren bei den Berliner Philharmonikern spielt, und Wies de Boevé aus Belgien, dem stellvertretenden Solo-Bassisten beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Letzterer konnte seinen Heimvorteil nutzen – er bekam den ersten Preis und den Publikumspreis, nachdem er vor sieben Jahren schon einmal angetreten und in der zweiten Runde ausgeschieden war. Michael Karg landete auf Platz zwei. Der drittplatzierte Dominik Wagner konnte nicht mit den beiden mithalten, erstaunte aber durch seine Leistung, durch souveränes und risikobereites Spiel – im Alter von nur 19 Jahren! Ganz nebenbei räumte der gebürtige Wiener auch noch den dritten Preis beim parallel verlaufenden Wettbewerb der Eurovisions Young Musicians in Köln ab. Vielleicht trifft man ihn ja in sieben Jahren in München wieder:
    "Wenn ich dann noch Lust hab, sag, des geb ich mir jetzt nochmal: Sommer durchüben, Wettbewerb, dann mach ich’s. Aber müssen wir noch sehen."
    Musik: Strauss, Hornkonzert mit Marc Gruber
    Kein erster Platz für Hornisten
    Obwohl im Fach Horn gleich vier im Finale spielten – drei Männer, eine Frau, alle das zweite Hornkonzert von Richard Strauss –, konnte die Jury hier keinen Sieger feststellen. Deshalb vergab sie zwei zweite und zwei dritte Preise. So eine Entscheidung lässt das Publikum verständlicherweise immer etwas ratlos zurück. Allerdings stach wirklich keiner der vier heraus, auch wenn jeder seinen eigenen Ton mitbrachte. Für die Jurorin Julie Landsman zählte noch mehr als der Auftritt im Finale:
    "Ich wünschte es hätte einen Teilnehmer gegeben, der in allen vier Durchgängen fantastisch oder besser als alle anderen gespielt hat – es war eine bunte Mischung."
    Und so teilen sich die beiden Franzosen Félix Dervaux und Nicolas Ramez Platz drei, die Tschechin Kateřina Javůrková und der Deutsche Marc Gruber bekommen je einen zweiten Preis, der im Falle Grubers zusätzlich dadurch aufgewertet wird, dass er auch noch den Publikumspreis erhielt.
    Am Ende von zwei intensiven Wettbewerbswochen stehen also zehn Solo- und drei Ensemble-Preisträger. Und auch wenn man sich immer wieder fragt – und fragen muss! – inwieweit Musik und Bewertung miteinander einhergehen, zeigen die Entscheidungen, dass musikalische Qualität ihren Weg nach vorne findet, denn alle Gewinner spielen nicht nur technisch auf hohem Niveau. Dass obendrein manches einfach Geschmackssache ist, spricht schließlich für die Lebendigkeit und Individualität der jungen Nachwuchskünstler. Man darf gespannt sein, wohin sie das Sprungbrett ARD-Musikwettbewerb katapultiert.
    Musik: Strauss, Hornkonzert mit Marc Gruber