Aus den Feuilletons

Mozart der Publizistik

Der ehemalige Feuilleton-Chef der Süddeutschen Zeitung und einer der größten deutschen Kritiker, Joachim Kaiser
Der ehemalige Feuilleton-Chef der Süddeutschen Zeitung und einer der größten deutschen Kritiker, Joachim Kaiser © picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Von Ulrike Timm · 11.05.2017
Die Zeitungen sind voll überschwänglichen Lobes für den verstorbenen Großkritiker Joachim Kaiser. Der Pianist Rubinstein meinte gar: Er selbst könne nicht so schön Klavier spielen, wie Kaiser schreiben konnte.
"Ahnungslosigkeit als Qualifikation" – kurz vor den Wahlen in NRW stampft die FRANKFURTER ALLGEMEINE die Kulturpolitik, die dort gemacht wurde, in Grund und Boden. Sie werde marginalisiert, als Wettwünschen betrieben – beide großen Parteien kündigen derzeit großmütig Erhöhungen des Kulturetats an, der, nun ja, tatsächlich auf 0,27 Prozent des Landeshaushalts zusammengeschrumpelt ist – vor allem aber sei sie verkommen durch die Ahnungs- wie Interesselosigkeit des politischen Personals.
Ob die Lieblingsromanhelden von Ministerpräsidentin Kraft – "Aktuell gibt es niemanden, in meiner Jugend war es Winnetou" – und Herausforderer Laschet, der statt eines Romans mit Lessings Nathan fälschlicherweise ein Drama empfiehlt, ob diese Vorlieben nun tatsächlich so viel aussagen, sei dahingestellt. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE aber ist richtig sauer.
Joachim Kaiser hätte Winnetou wohl nicht mal im Spaß zu seinem Lieblingsromanhelden erklärt. Und er hat kaum je über Kulturpolitik geschrieben. Dafür über Kunst. Über Musik, Literatur und Theater. Der legendäre Großkritiker und Feuilletonist der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist nach langer Krankheit 88-jährig gestorben.
"Seine Funktion als Feuilleton-Chef gab er 1977 auf … Seine Rolle in der Zeitung behielt er. Oder wie er es mal ausdrückte: 'Es ist mir eigentlich egal, wer unter mir Feuilleton-Chef ist.'"
Das schreibt Andrian Kreye – für die Online-Ausgabe der SÜDDEUTSCHEN. Die gedruckten Seiten zum Tode von Joachim Kaiser füllt dieser nämlich fast vollständig selbst. Die SÜDDEUTSCHE bringt gleich zwei komplette Seiten mit Texten des letzten Universalisten des Feuilletons: Kaiser zum Romandebüt von Günter Grass mit der "Blechtrommel", Kaisers erstes "Streiflicht" für sein Stammblatt, Kaiser über Karajan und Kaiserliche Skizzen zu einer Theateraufführung, die ihm dann doch keine Besprechung wert war, weil: LANGWEILIG. In Großbuchstaben auf's Programmheft gekritzelt.

"Inseln kennerischer Labsal im Meer rezensorischen Geplätschers"

Dazu hat die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG allerhand wehmütige Stimmen eingeholt, von Anne-Sophie Mutter über Christa Ludwig und Volker Schlöndorff bis zu Martin Walser, der sagt:
"Ich kann ihn, so oft ich will, auftreten lassen in meiner Erinnerung. Meine Bewunderung für ihn hält ihn mir lebendig."
Gerhard Stadelmaier, gern mal sprachschwurbelnd vom Journalismus als Kathedrale mit Platz fürs Fußvolk der Minderbegabten nur in Wichtigkeitstürgewölben und Leitartikelsäulen und Stammtischmeinungsorgeleien – einmal Luft holen, bitte! – Gerhard Stadelmaier beschreibt in der FAZ die erstaunlichen Anfänge Joachim Kaisers:
"Er betrat die Szene, wie er, gerne eitel noch bis ins hohe Alter, ernsthaft betonte: 'als Wunderkind'. Eine Art Mozart der Publizistik, der mit gerade mal zwanzig Adornos 'Philosophie der neuen Musik' für die 'Frankfurter Hefte' rezensierte, wovor sich Ältere, Erfahrenere, gedrückt hatten."
Ganz früh war er da, der Kaisersche Mut, Mut zum Pathos, oder besser: der Mut zur Leidenschaft. Zur Leidenschaft für die Kunst. "Ergriffen begreiflich" habe er geschrieben, "seine Musik- und Theaterkritiken … waren Inseln kennerischer Labsal im Meer rezensorischen Geplätschers", so heißt es in der FAZ weiter.
Prosaischer der Nachruf von Manuel Brug in der WELT: Joachim Kaiser sei ein "Florist im Garten der Prosa" gewesen – und ein Schrecken der Straße. Weil er so gedankenverloren und unaufmerksam auf dem Fahrrad durch München kurvte, das er andere fast umfuhr…
Kein Feuilletonist aber hat den Doyen unter den Kritikern so schön gewürdigt wie der charmante, seinen Chopin immer so herrlich wie bisweilen edelschlampig musizierende Pianist Arthur Rubinstein. Drum soll er auch das Schlusswort haben. Rubinstein nämlich hat zu Joachim Kaiser einmal morgens um vier an der Bar mit ein Drittel Ernst und zwei Drittel Schalk gesagt, er könne ja gar nicht so schön Klavier spielen, wie Kaiser über ihn schreibe.
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