Donnerstag, 18. April 2024

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Arien von Gluck und Rameau
Totenmesse in der Unterwelt

Orpheus und Theseus, beide führt die griechische Sage in die Unterwelt. In ihren Opern untermalten Christoph Willibald Gluck und Jean-Philippe Rameau diese Szenen mit höllischer Musik. Der Franzose Raphaël Pichon kombiniert sie mit einem ungewöhnlichen Requiem und verwandelt so die Totenmesse in eine Schwarze Messe.

Von Elisabeth Richter | 04.04.2018
    Der französische Dirigent Raphaël Pichon hat sich das mehrschichtige Konzept zum Album ausgedacht.
    Der französische Dirigent Raphaël Pichon hat sich das mehrschichtige Konzept zum Album ausgedacht. (François Séchet)
    Musik: Jean-Philippe Rameau, Zoroastre, 4. Akt: Ah! Nos fureurs ne sont point vaines (La Vengeance)
    Angst und Schrecken vermittelt diese Musik aus Jean-Philippe Rameaus Oper Zoroastre (Zarathustra). Die Figur der Rache beschreibt die Unterwelt, sie spricht von Gewölben im Reich der Toten und schrecklichen Klängen.
    Musik: Jean-Féry Rebel, Les Éléments: Chaos
    Hart, düster, schmerzhaft und jedenfalls dissonant muss es in der Hölle zugehen. Diese Musik von Jean-Féry Rebel stellt das Chaos dar. Gleich der Anfang der CD "Enfers" des Ensembles "Pygamalion" unter Raphaël Pichon ist nicht nur packend und farbig gespielt, sondern insbesondere dramaturgisch brillant, man ist sofort mitten im Geschehen. Und zwar mitten in einer Totenmesse. Aber einer, die in der Unterwelt gefeiert wird.
    Musik: Anonym/Rameau, Messe de Requiem sur des thèmes de Castor et Pollux: Requiem Æternam
    Ob in weltlichen Opern mit Sujets aus der Antike oder geistlicher Musik - die Vorstellungen von einem Schreckensort jenseits des Lebens wurden musikalisch oft ähnlich umgesetzt, denn die Ängste waren eigentlich dieselben.
    So erstaunt es nicht, dass im 18. Jahrhundert ein unbekannter Komponist u. a. Musik aus Rameaus Oper "Castor et Pollux" für ein Requiem verwendete, also weltliche Musik mit geistlichem Text versah. Rafaël Pichon und sein Ensemble Pygmalion nutzen Teile aus dem erst vor kurzem in Paris entdeckten Requiem-Manuskript als Basis für eine imaginäre Totenmesse.
    Unter den Überschriften Introitus, Kyrie, Graduale, Sequenz, Offertorium sowie Communio und In paradisum präsentieren sie nicht nur den Totenmessen-Text, sondern sie begeben sich mit Szenen, Arien und Chören u. a. aus Rameaus "Castor et Pollux" und "Hippolyte et Aricie" sowie aus Glucks "Armide« und "Orphée et Eurydice" auf eine ergreifende Reise in die Unterwelt.
    Musik: Christoph Willibald Gluck, Orphée et Eurydice, 2. Akt: Danse des furies
    In der Antike gab es einige Helden, die Eintritt in die Unterwelt hatten, darunter Orpheus und Theseus. In diese und andere Rollen und in die Rolle eines Verstorbenen, der den Weg ins Fegefeuer anzutreten hat, schlüpft der Protagonist, der Tragöde, der CD "Enfers". Der Bariton Stéphane Degout vermittelt alle Höhen und Tiefen dieser emotionalen Achterbahnfahrt mit einer phantastischen stimmlichen Präsenz und Flexibilität.
    Musik: Rameau, Hippolyte et Aricie, 2. Akt: Qu'ai-je appris? (Thésée)
    Degouts Opern-Szenen wechseln sich mit den vom Chor gesungenen Abschnitten der anonymen Totenmesse mit Musik aus Rameaus Oper "Castor et Pollux" ab. Musik aus Oper und Kirche, der französischen Tragédie lyrique und dem Requiem, mischt sich auf dieser CD problemlos. Schrecken und Qualen, die Menschen durch ihre Verfehlungen zu bestehen haben, werden musikalisch unglaublich spannend, effektvoll und erschütternd vor Ohren geführt. Von Höllenvisionen ließen sich Komponisten ohnehin gern zu opulenten, bild- oder klangmächtigen Umsetzungen inspirieren. Durch Verbindung mit dem geistlichen Text verwandelt sich das Requiem in eine Art "Schwarze Messe".
    Musik: Anonym/Rameau, Messe de Requiem sur des thèmes de Castor et Pollux: Domine Jesu Christe
    Bei der Auswahl der Arien haben Raphaël Pichon und "Pygmalion" außerdem die Spur des großen Bassbaritons Henri Larrivée verfolgt, er sang im 18. Jahrhundert Rollen antiker Helden in den Opern Rameaus und Glucks, darunter auch den von den Furien verfolgten Orest in Glucks "Iphigénie en Tauride", Orest hatte ja aus Rache für seinen Vater seine Mutter getötet.
    Musik: Gluck, "Iphigénie en Tauride", 2.: Dieux! Protecteurs de ces affreux rivages (Oreste)
    Um den schlicht atemberaubend und bewegend singenden Bariton Stéphane Degout hat Raphaël Pichon weitere hervorragend harmonierende Solisten und den sehr ausgewogen und wunderbar warm singenden Chor des Ensembles "Pygmalion" geschart. Das gilt auch für die Instrumentalisten von "Pygmalion".
    Sie musizieren mit einer phänomenalen klanglichen Balance und strukturellen Klarheit der Linien, aber vor allem berührt ihre Wärme, Frische und Leidenschaft. Die CD "Enfers" ist musikalischer Hochgenuss kombiniert mit einem faszinierenden Konzept, das von der unglaublichen musikalischen Fantasie bei der Umsetzung von Urängsten der Menschen erzählt.
    ENFERS
    Ausschnitte aus Opern von Jean-Philippe Rameau und Christoph Willibald Gluck
    Pygmalion
    Raphaël Pichon, Leitung
    Stéphane Degout, Bariton
    harmonia mundi