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Arm und Reich
Die Einkommensschere geht wieder auf

Wer arm ist, wird es bleiben - und wer reich ist, der auch: Das ist das Ergebnis des Verteilungsberichts des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Demnach führt das Wirtschaftswachstum mitnichten dazu, dass Armut und Einkommensungleichheit zurückgeht - und auch für die Mittelschicht ist das Armutsrisiko gewachsen.

Von Wolf-Sören Treusch | 26.11.2015
    Ein Mann schaut am in Düsseldorf auf der Königsallee in ein Schaufenster mit Luxusuhren, während neben ihm ein Bettler um Geld bittet.
    Einmal arm, immer arm, einmal reich, immer reich: Laut des Verteilungsberichts des WSI geht die Einkommensungleichheit in Deutschland nicht zurück - und auch Arbeit schützt vor Armut nicht. (picture alliance / dpa / Martin Gerten)
    Einmal arm, immer arm, einmal reich, immer reich. Auf diese einfache Formel lässt sich die Einkommensverteilung in Deutschland bringen. Reinhard Bispinck vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut WSI der Hans-Böckler-Stiftung:

    "Trotz verbesserter konjunktureller Entwicklung, trotz positiver Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt geht die Einkommensungleichheit nicht zurück."

    Heißt es im Verteilungsbericht des WSI, der heute in Berlin vorgestellt wurde. Und weiter: Der wirtschaftliche Aufschwung kommt nur bei einem Teil der Menschen an, die Einkommensschere in Deutschland geht wieder auf. Gut abzulesen sei das an der Lohnquote, sagt Dorothee Spannagel, Verteilungsexpertin des WSI. Aktuell liege sie bei 69,1 Prozent:

    "Im Jahr 2000 betrug der Anteil der Lohnquote 72,5 Prozent und fällt dann sehr deutlich im Jahr 2007 auf 65,1 Prozent, und wenn die Lohnquote und der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen sinkt, steigt demgegenüber der Anteil von Kapital- und Gewinneinkommen, und diese Kapitaleinkommen sind genau die Antreiber, die hinter der steigenden Ungleichheit liegen, die wir in diesen Jahren gesehen haben."
    Aufstiegschancen ärmerer Haushalte gesunken
    Besonders problematisch ist die gewachsene Ungleichheit der Einkommen, weil gleichzeitig die Einkommensmobilität merklich zurückgegangen ist. Die Aufstiegschancen der ärmeren Haushalte sind gesunken – das macht der Vergleich mit den Zahlen aus dem vergangenen Jahrhundert deutlich.

    "In den 80er-Jahren ist nur etwa jeder Dritte über den Zeitraum von acht Jahren arm geblieben, zwischen 2005 und 2012 sind es fast 46 Prozent."

    Umgekehrt gilt: Wer reich ist, bleibt reich. 56 Prozent derjenigen, die zwischen 2005 und 2012 wohlhabend waren, sind es immer noch. Auch für die Mittelschicht ist das Risiko gewachsen, finanziell abzusteigen. Arbeit schützt vor Armut nicht, so die Wirtschaftsexpertin des WSI:

    "Wir haben in den letzten Jahren ein ganz großes Problem mit so genannten 'working poor', also Personen, die erwerbstätig sind und trotz ihrer Erwerbstätigkeit von Armut betroffen sind, da haben wir in den letzten Jahren steigende Zahlen, und da haben wir auch in Deutschland tatsächlich im europaweiten Vergleich ein ganz großes Problem."
    "Am oberen Ende der Einkommensskala muss die Politik mutiger werden"
    Heißt: Auch die Armutsquote befindet sich weiter auf hohem Niveau. 14,4 Prozent der Bundesbürger verfügen über ein monatliches Nettoeinkommen von etwa 1.000 Euro:

    "Für immer mehr Menschen sind die Lebensbedingungen tatsächlich abgekoppelt von der Konjunktur, am oberen Ende die Reichen werden von Wirtschaftskrisen, wie wir sie in den letzten Jahren hatten, einfach nicht nennenswert betroffen, auf der anderen Seite: Das aktuelle Wirtschaftswachstum, das wir haben und auch die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt, führt nicht dazu, dass Armut zurückgeht und führt nicht dazu, dass Ungleichheit zurückgeht."

    Deshalb sei jetzt die Bundesregierung gefordert, die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro sei ein erster wichtiger Schritt gewesen. Reinhard Bispinck vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung:
    "Am oberen Ende der Einkommensskala muss die Politik mutiger werden, was die Steuerpolitik angeht. Etwa die Besteuerung von Kapitaleinkommen, etwa die Besteuerung der Vermögenseinkommen, hier gibt es im Übrigen auch einen Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes."