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Arme Hiwis?

Es ist mittlerweile der Königsweg in den wissenschaftlichen Beruf. Eine Stelle als studentische Hilfskraft – kurz "Hiwi" – öffnet Türen und ermöglicht den direkten Kontakt zu Dozenten. Eine neue Studie von zwei Freiburger Soziologen spricht aber auch von "Lohndumping" und "Selbstausbeutung".

Von Holger Lühmann | 02.11.2010
    Die Studie der Freiburger Soziologen Alexander Lenger und Christian Schneickert zeigt: Circa drei Viertel aller Doktoranden waren vorher studentische Hilfskräfte. Das heißt, mit einer Stelle als sogenannter "Hiwi" ist man prädestiniert für die Forschung. Man lernt schon während des Studiums das akademische Arbeiten kennen, zum Beispiel im Rahmen von Projekten, erklärt Christian Schneickert:

    "Man hat keine Anwesenheitszeiten, man hat keinen Anwesenheitsort, viele arbeiten zum Beispiel auch von zu Hause aus; aber man hat ein Projekt, das an einem bestimmten Termin fertig sein muss. Es hört sich zunächst verlockend an, so zu arbeiten. In der Regel ist es dann aber so, dass mehr gearbeitet wird, als eigentlich in den Verträgen festgehalten wurde."

    Überstunden aber werden nicht immer selbstverständlich vergütet, so die Studie. Und viele Hiwis schrecken davor zurück, die Bezahlung von Überstunden bei ihren Arbeitgebern einzufordern. Denn ihre Chefs am Lehrstuhl oder in der Projektgruppe sind meist dieselben Personen, bei denen sie am Ende ihre Prüfung ablegen. Max Vogelmann war selbst in dieser Situation. Der 27-jährige hat kürzlich seinen Abschluss gemacht und davor mehrere Semester als Hiwi gearbeitet:

    "Als Hiwi ist man nicht unbedingt derjenige, der am längeren Hebel sitzt. Es könnte dumm sein, es sich genau mit den Leuten zu verscherzen, die einem nachher die Note geben für viele Jahre Studium, mit der man dann in die Arbeitswelt entlassen wird."

    Vogelmann nahm den Job als Hiwi gerne an, trotz des dürftigen Verdienstes. Für 25 Monatsstunden gab es nur knapp 200 Euro. (*) Doch er wurde auch schon schlechter bezahlt.

    "Auf der anderen Seite habe ich auch schon einen Tutorenjob gemacht mit einer Kommilitonin zusammen. Da teilt man sich das Gehalt, man hat aber noch mehr Arbeit. Also, da macht man es definitiv nicht für das Geld. Der Lohn besteht dann in den Erfahrungen, die man macht, die man für sich selber nutzen kann und in dem, was man strategisches Vorgehen nennen könnte, dass man das nachher in den Lebenslauf schreiben kann."

    Der Hiwi-Job als Startpunkt einer wissenschaftlichen Karriere – diese Tendenz bestätigt auch die Studie. Vor allem Studenten aus dem Bildungsbürgertum nutzen diese Chance. Nur 4 Prozent aller Hiwis dagegen stammen aus sogenannten Arbeiterfamilien. Hier weiß man tendenziell nicht um die Bedeutung des Jobs für eine akademische Laufbahn. Oder man kann es sich schlichtweg nicht leisten. Noch einmal Christian Schneickert:

    "Es eignet sich nicht zur Finanzierung eines Studiums, wenn man knapp bei Kasse ist, aber man sammelt andere Ressourcen, nämlich was wir kulturelles Kapital nennen, also, die Fähigkeiten im wissenschaftlichen Feld zu handeln, zu wissen wie arbeite ich als Wissenschaftler, aber auch das soziale Kapital, also den Kontakt zu den Professoren."

    Um Löhne zu erhöhen und Geld für Überstunden einzufordern, bedarf es endlich einer Lobby für die studentischen Hilfskräfte, meinen die Soziologen. Denn in den meisten Bundesländern könnten Hiwis allein ihre Interessen kaum durchsetzen. Zum einen sind sie als Studenten von ihren Arbeitgebern abhängig, zum anderen dürfen sie sich nicht in den Personalrat wählen lassen. Soziologe Alexander Lenger:

    "Theoretisch vertreten die Personalräte selbstverständlich die Interessen der Hiwis mit. Da diese Berufsgruppe aber gar nicht im Personalrat repräsentiert ist, ist natürlich fraglich, inwieweit dort wirklich die Interessen von studentischen Hilfskräften vertreten werden."

    Einzig das Landeshochschulgesetz in Berlin erlaubt die Wahl von Hiwis in den Personalrat. Diese Regelung wünschen sich die beiden Soziologen auch für die übrigen Bundesländer. Noch einmal Alexander Lenger.

    "Man müsste deutschlandweit die Hochschulgesetze in der Form ändern, dass man eine ständige Personalvertretung und einen Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte und studentische Angestellte ermöglichen könnte."

    Erst so kann sich an den prekären Arbeitsverhältnissen etwas ändern. Nur verlässliche Löhne – auch und vor allem für Überstunden – sorgen dafür, dass sich auch Studenten aus bildungsfernen Schichten für Hiwi-Jobs bewerben. Dies wäre nötig, um zu verhindern, dass sich nur das Akademikermilieu an den Hochschulen reproduziert.

    (*) Das gesendete Manuskript weicht in dieser Passage aufgrund einer Autorenkorrektur von der Sendefassung ab.