Jason Hickel: "Die Tyrannei des Wachstums"

Eine Utopie zur Rettung der Welt

Äthiopien war im November 2003 von extremer Dürre betroffen.
"Die Tyrannei des Wachstums" von Jason Hickel: ein zorniges Buch über den Kapitalismus und die Ungerechtigkeit der Welt. © dtv / picture alliance / dpa / Joel Robine
Von Ursula Weidenfeld · 31.03.2018
Noch ein Buch über die "Tyrannei des Wachstums"? Oh ja! Denn der britische Anthropologe Jason Hickel hat eine Utopie zur Rettung der Welt verfasst, die in ihrer radikalen Kompromisslosigkeit ihresgleichen sucht.
Als ich gefragt wurde, ob ich das Buch von Jason Hickel "Die Tyrannei des Wachstums" rezensieren würde, dachte ich zuerst: schon wieder? Ein britischer Anthropologe, Lehrer an einer Elite-Universität, schreibt sich sein schlechtes Gewissen von der Seele und verfasst ein zorniges Buch über den Kapitalismus und die Ungerechtigkeit der Welt. Davon gab es in den vergangenen Jahren schon so viele und so gute. Muss es jetzt auch noch eines von der London School of Economics sein?
Ja. Jason Hickel hat seinen Kollegen eines voraus: Er schreibt elegant, er hat Temperament, und er ist skrupellos. Wo andere eine Menge Fußnoten darauf verwenden, sich an Zahlen und anderem wissenschaftlichen Ballast abzuarbeiten, bürstet Hickel alles nach einem Strich. Die These: Die Wirtschaftsgeschichte der vergangenen 500 Jahre ist eine Geschichte von Ausbeutung, Fron, Ungerechtigkeit. Erfunden von den Spaniern, perfektioniert von den Engländern, und schließlich von den Amerikanern zur Doktrin gemacht. Die Kolonialisierung Afrikas, Asiens und Lateinamerikas hat, so Hickel, nie aufgehört. Zum Nutzen der Kapitalisten, zum Schaden der "Verdammten dieser Erde", denen er sein Buch widmet.

Industrialisierung als Herrschaftsinstrument

Entstanden ist ein radikal einseitiges Buch, das in dieser Kompromisslosigkeit bestechend ist. Erzählt wird eine Geschichte des Kapitalismus von außen und von unten, eine gewaltige Verschwörungstheorie.
Im Kern geht es um die Bewertung von Industrialisierung und die Globalisierung. Hickel erklärt sie als Herrschaftsinstrumente, die den Reichen die Unterwerfung der Welt ermöglichte. Er verneint Nachrichten, wonach die globale Armut in den vergangenen 20 Jahren drastisch abgenommen hat. Das seien nur Taschenspielertricks von interessierter Seite. In atemberaubenden Gegenrechnungen versucht er nachzuweisen, dass sich nur die Maßstäbe geändert hätten, nicht aber der Hunger.

Hickel ignoriert das Scheitern des Kommunismus

Recht hat Hickel, wenn er beklagt, dass die entwickelten Länder oft genug ihre Interessen in Handelsverträgen durchsetzen und sich wenig um die Bedürfnisse der armen Länder der Welt scheren. Er hat Recht, wenn er die bisherigen Bemühungen in der Entwicklungshilfe für weitgehend gescheitert erklärt. Doch hat er auch Recht, wenn er die die früheren Herrscher dieser Länder allesamt lobt und behauptet, sie seien vom Westen mutwillig weggeputscht worden? Hat er Recht, wenn er beispielsweise Korruption als eine Erfindung der Kapitalisten der entwickelten Welt geißelt?
Hickel ignoriert den krachend gescheiterten Versuch einer anderen Art zu wirtschaften: den Kommunismus. Nur deshalb kann er den Wohlfühlsozialismus als Kur empfehlen. Es ist eine Welt ohne Wirtschaftswachstum, mit einer radikalen Klimaschutzpolitik, einem Schuldenschnitt für die dritte Welt, Spekulations- und Werbeverbot, kürzeren Arbeitszeiten, einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle. In Hickels Mixtur zur Rettung der Welt fehlt am Ende nichts. Sie ist eine Utopie.
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