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"Armut bekämpft man nicht mit Almosen"

"Hans Graf von der Goltz", so verrät der Klappentext, "gehörte lange einem der größten Industrieimperien der Bundesrepublik an und saß in vielen Aufsichtsräten des Landes."

Von Hartmut Kasper | 08.01.2008
    Das darf und das soll neugierig machen auf einen Roman, in dem ein Quartett junger Männer im Auftrag der International Finance Corporation in Entwicklungsländern Entwicklungshilfe leistet.

    Diese Corporation ist keine literarische Fiktion, sondern eine Gesellschaft der Weltbankgruppe mit Sitz in Washington (D.C.). Gegründet wurde sie anno 1956 mit dem Ziel, zur Verringerung der Armut in jenen Ländern beizutragen. Dazu fördert sie programmgemäß den privaten Sektor, indem sie Kapital mobilisiert, Kredite gewährt, kurzum, gute Dinge tut wie andere Banken auch.

    Da der Autor ein Insider in Sachen Bank- und Geldgeschäfte ist, macht der Klappentext Lust auf ein paar Indiskretionen:

    Wer waren wohl und was trieb die Executive Vice Presidents der Corporation um, Herren wie Ladislaus von Hoffman, Sir William Ryrie oder Peter Woicke? Was bewegt die Kapitalbeweger? Wie sieht dass Geld von innen aus?

    Tatsächlich darf sich der frei erfundene Vice President des Romans, ein Mr. Harder, einmal zur Sache äußern. Er sagt:

    Wir haben eine Mission! Unser Feind ist die Armut in der Welt. Armut bekämpft man nicht mit Almosen. Almosen vergrößern das Elend. Es gilt, die schöpferischen Kräfte zu stärken, das freie Unternehmertum Gerechtigkeit verteilt die Armut gleichmäßig. Ungerechtigkeit hält den Weg in den Wohlstand auf lange Sicht für alle offen.

    So weit das Glaubensbekenntnis der Bank.

    Doch "Die Mission" ist weder Sach- noch Lehrbuch, und wer sich über den internationalen Kapitalmarkt informieren möchte, ist mit dem Schülerduden besser bedient. Goltz geht es um das rein Menschliche, die condicio humana seiner Figuren, die Bedingung ihres Menschseins.

    Im Jahr 1957 geht sie los, ihre erste Mission, und zwar in Richtung Indien. Ausgeschickt werden vier Männer, denn Geldland ist Männerland. Der Erzähler nennt seine Figuren vertraulich beim Vornamen.
    Da ist Richard, ein Ingenieur aus England, dessen Vater von einer Kobra tot gebissen wurde. Da ist der Deutsche Ex-Frontsoldat Walter, den es irgendwie reut, den Feldzug in Russland überlebt zu haben; da ist Henry, ein abgestürzter Bomberpilot; und da ist schließlich Tom, dessen Schiff im Krieg auf eine Mine lief. Lange lag er zwischen Tod und Leben, und dass er lebt, verdankt er schließlich einer Frau, Madeleine, die ihn dem Tod förmlich aus den Händen pflegte.

    Drei von vier sind kriegsversehrt, und sie sind es bis tief in ihrem Innersten. So tief, dass an Heilung kaum zu denken ist.

    Die glorreichen vier Finanzberater tummeln sich, Herren der Lüfte, mal in Indien, dann in Südafrika, sie erleben "tropische Gewitter mit ihrem tiefblauen Wetterleuchten", sie wollen helfen und Gutes tun.

    Einmal retten sie hundert Mädchen vor einem elenden Leben im Bordell, indem sie ihnen eine Fabrik stiften. Jahre später brennt die Fabrik lichterloh; alle geretteten Mädchen kommen ums Leben. Der besorgte Leser fragt sich, ob wohl der Mensch dem Schicksal nicht einmal dann entrinnen kann, wenn die Weltbank ihm den rettenden Arm reicht?

    Die vier Missionare jedenfalls tun ihr Bestes, aber insgesamt leben und agieren sie doch eher glücklos. Sie räsonieren viel über "das Geheimnis ihres Scheiterns", den "Stolz eines Gescheiterten", ihre vom Scheitern bedrohten oder schon gescheiterten Ehen. Als Patentrezept gegen das existenzielle Scheitern einer Lebensgemeinschaft mit der einen Frau entdecken Richard, Henry und Tom die Lebensgemeinschaft mit einer anderen. Henry verbringt die späten Nächte seines Lebens im Bett einer Südafrikanerin, ohne bei ihr zu schlafen. Er redet, sie hört zu.

    Richard ehelicht eine schöne Eurasierin und wird Pumpenfabrikant in Poona.

    Die titelgebende Mission endet bereits nach dem 13. von 30 Kapiteln. Nun entpuppt sich Tom Lear als eigentlicher Held, als Statthalter seines Autors. Tom verliert den Posten an der Wallstreet an einen Jüngeren. Er zieht, großzügig abgefunden, heim auf die Farm seiner Väter. Erst im Umfeld dieses goldenen Handschlags erfahren wir einmal etwas über die Wallstreet, den Mechanismus dieses Dreh- und Angelpunktes der Weltwirtschaft: Die Wallstreet sei "ein Zwitterwesen, ein Traum vom Reichtum für die einen, eine seelenlose Geldmaschine für die anderen."

    Das raunt mehr, als es sagt. Dabei wird in diesem Roman soviel gesagt, gesagt anstatt erzählt.

    Stellenweise klingen die Dialoge der Figuren, als ließe Goltz sie Theater spielen für ein imaginäres Publikum in Frack und Abendgarderobe, die Hände zum Applaus gehoben, das Sektglas schon im Kopf. So berichtet Tom im "Café Pierre" der Frau, die immer schon die Liebe seines Lebens war, von seinem Schicksal in folgenden Worten:

    Da aber war ich fast schon wieder ins Gehege meiner Kindheit zurückgekehrt. Denn als du mich verlassen hast, Madeleine - ich weiß, du hattest keine Wahl -, hattest du den Traum, du nanntest ihn das Gewebe unserer Liebe, mit dir fortgetragen. Der Leere war ich nicht gewachsen. Ich hatte das Gefühl, mich aufzulösen. Und so kroch ich langsam zurück in das Gewölbe, das einmal meine Totenkammer war.

    Immerhin gewinnt der wortgewandte Tom auf diese Weise Madeleine, die Lebensretterin aus dem Kriegslazarett, als zweite, diesmal aber wirkliche Frau fürs Leben. Nach einer Weile wallsreetnahem Wohnen in New York konvertiert auch Madeleine zum Landleben; sie sagt:

    "Lass uns nach North Carolina ziehen und deine Farm in Ordnung bringen! Du kümmerst dich um die Felder, ich um das Haus."
    "Meinst du das wirklich?", fragt Tom nach. Sie meint es wirklich, und Tom ruft er aus:
    "Werden wir also Farmer!"


    Kein Wunder, dass wir den Helden am Ende des Buches und am Ende einer ganzen Parade von Abschiedszenen - nach Henry und Richard ist auch Madeleine zu diesem Zeitpunkt längst tot - auf der Porch stehen sehen. Nicht etwa, um dort im Wallstreet Journal den Stand der Aktien zu lesen, sondern um in den Wind zu schnuppern: "Die Wetterprognosen sind gut."

    Hans Graf von der Goltz: Die Mission
    207 Seiten, Berlin Verlag, Berlin 2007, EUR 22,00