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Armutsbericht
"Ruhrgebiet bleibt Problemregion Nummer eins"

Seit 2006 hat die Armut in Deutschland laut einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands nahezu kontinuierlich zugenommen. Besonders betroffen ist demnach das Ruhrgebiet. Besonders finanzschwache Kommunen brauchten dringend gezielte Hilfe, um die öffentliche Infrastruktur aufrechterhalten zu können.

Von Stefan Maas | 19.12.2013
    Auf einem Gehweg sitzt ein Mann in einer Decke. Vor ihm steht ein Becher. Ein Passant geht vorbei.
    Die Armut in Deutschland nimmt zu (dpa / picture alliance / Paul Zinken)
    Im Ruhrgebiet hat sich nach einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands die "völlig ungebremste Armutsentwicklung" fortgesetzt. Im größten deutschen Ballungsgebiet seien 19,2 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht, heißt es im "Armutsbericht 2013", den der Verband in Berlin vorstellte.
    Jeder siebte Bewohner Deutschlands sei derzeit einkommensarm oder zumindest von Armut bedroht, erklärte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider bei der Vorstellung des Armutsberichts 2013 des paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Das entspricht einer Quote von über 15 Prozent. Ein Rekordwert:
    "Dieser Rekordwert ist kein Ausrutscher, sondern, das zeigen die Daten klar, man muss von einem Trend sprechen. Seit 2006 hat die Armut in Deutschland mit einer Pause im Jahr 2010 ansonsten kontinuierlich zugenommen."
    Dabei sei die Armut regional sehr unterschiedlich verteilt in Deutschland.
    "Das zeigt sich daran, dass die sehr wohlhabenden Länder wie Baden-Württemberg und Bayern ihre Armut abbauen konnten im letzten Jahr. Während die Länder, denen es auch schon vorher besonders schlecht ging, noch einmal zulegten."
    Zu ihnen gehören Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Sachsen-Anhalt und Berlin. Wobei es zumindest für die Hauptstadt eine positive Nachricht gibt, sagte Schneider: Hier habe die Armut zumindest etwas langsamer zugenommen. Das gelte auch für Nordrhein-Westfalen. Dort hätten sich vor allem die Regionen Paderborn, Bielefeld und Aachen gut entwickelt. Eine Ausnahme gebe es allerdings im bevölkerungsreichsten Bundesland:
    "Das Ruhrgebiet bleibt in Deutschland die Problemregion Nummer eins."
    Hier habe die Armut überdurchschnittlich zugenommen. Von 18,9 auf 19,2 Prozent. Auch das ein neuer Rekord. Deshalb brauchten besonders finanzschwache Kommunen dringend gezielte Hilfe, um die öffentliche und soziale Infrastruktur aufrechterhalten zu können.
    Kardinalsfehler: Steuererhöhungen ausschließen
    "Wir brauche so etwas wie einen Solidarfonds für diese Kommunen. Wenn wir in Deutschland die Armutsspiralen in den Regionen durchbrechen wollen." Steuererhöhungen von vorne herein auszuschließen sei daher ein Kardinalfehler des Koalitionsvertrages, sagte Schneider.
    Für Helmut Dedy, den stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, gibt es im Koalitionsvertrag allerdings zwei gute Ansätze, um finanzschwachen Kommunen zu helfen: "Einmal hat man sich darauf verständigt, dass man den Kommunen bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung entlasten will. Und man hat konkret gesagt um fünf Milliarden Euro, das ist also eine Größenordnung, die schon bedeutsam ist."
    Allerdings hat sich die Koalition hier noch nicht auf einen Zeitpunkt verständigt. Positiv für Dedy auch, dass die bisherige Förderung für Ostdeutschland in eine Förderung für strukturschwache Regionen umgebaut werden soll. "Und strukturschwache Regionen haben wir sowohl im Westen als auch im Osten."
    Auffällig sei in dem Bericht aber auch, sagte der Präsident des paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Schneider, dass die Armut in Deutschland zugenommen habe, obwohl die Arbeitslosenzahlen gesunken seien. Das sei ein deutlicher Fingerzeig "auf noch fehlende Mindestlöhne, auf diesen Niedriglohnsektor, auf Verwerfungen im Bereich Leiharbeit, auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse und nicht auskömmliche Teilzeitarbeit."
    Deshalb müsse die neue Große Koalition sich um diese Themen schnell kümmern. Joachim Speicher, der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, forderte, der Regelsatz für Hartz IV, beziehungsweise die Grundsicherung im Alter müssten bedarfsgerecht ausgebaut werden. Darüber hinaus sei es wichtig, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor aufzubauen, um zum Beispiel Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu bringen.