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Armutszuwanderung
Ferber (CSU): "Beim Asylrecht gibt es keinen Spielraum"

Die Flucht aus wirtschaftlichen Gründen etwa über Lampedusa nach Europa sei kein Asylgrund, sagt Markus Ferber, Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament, im Deutschlandfunk. Und: Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien wegen des besseren Sozialsystems sei nicht im europäischen Sinne.

Markus Ferber im Gespräch mit Dirk Müller | 27.12.2013
    Dirk Müller: Der Bundespräsident hat es noch einmal angestoßen, pünktlich zu den Festtagen. Deutschland soll mehr Flüchtlinge aufnehmen. Die Deutschen sollen sich großzügiger zeigen als in den zurückliegenden Jahren. Eng verbunden mit dieser Diskussion ist die Frage der freien Wohnortswahl für Bulgaren und Rumänen, die ab dem 1. Januar für alle innerhalb der Europäischen Union gilt. Die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg geht von 180.000 neuen Zuwanderern aus Südosteuropa alleine in Deutschland aus. Wie viele davon werden von Sozialleistungen profitieren? David Cameron beispielsweise will Sonderregelungen für Großbritannien, die eine größere Zuwanderung eindämmen, die eine größere Zuwanderung verhindern sollen. Viele in Europa sind darüber empört, wieder einmal. Armutszuwanderung in Europa –
    Unser Thema jetzt auch mit CSU-Präsidiumsmitglied Markus Ferber, Abgeordneter im Europäischen Parlament. Guten Morgen!
    Markus Ferber: Schönen guten Morgen!
    Müller: Herr Ferber, wie viel Heuchelei ist in dieser Diskussion dabei?
    Ferber: Ich glaube, hier müssen wir zunächst mal unterscheiden. Wir haben es hier mit drei verschiedenen Gruppen zu tun. Wir haben es mit Armutswanderung innerhalb der Europäischen Union zu tun, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien, die heute schon stattfindet und die ab 1. Januar stärker werden kann. Wir haben es mit Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien zu tun, die einen besonderen Rechtsstatus haben. Und wir haben es mit Menschen zu tun, die ihr Leben riskieren, um Europa zu erreichen. Wir haben ja die schrecklichen Bilder von Lampedusa noch in Erinnerung, wo es um Asylbewerber geht, Menschen, die aber keinen Asylanspruch haben. Und solange wir diese drei Gruppen miteinander mischen, werden wir keine ehrliche Diskussion führen können.
    Müller: Also wir müssen drei verschiedene Szenarien beziehungsweise Diskussionsforen aufmachen. Wirtschaftsflüchtlinge – fangen wir mit den letzten an. Ist das das richtige Stichwort aus Ihrer Sicht?
    Ferber: Ich halte das für das richtige Stichwort. Das sind Menschen, die in ihrem eigenen Land keine Perspektive sehen und deswegen versuchen, den europäischen Kontinent als den Kontinent des Wohlstands, der persönlichen Entwicklung zu erreichen, um dann hier Fuß zu fassen und dauerhaft ihre Familien zu ernähren. Das ist aber kein Fluchtgrund, weder nach internationalem Standard, noch nach europäischem Standard. Und deswegen müssen solche Menschen, die einen Asylantrag stellen und offensichtlich nicht verfolgt werden, auch wieder zurückgeschickt werden.
    Müller: Also gibt es keinen Anspruch auf ein besseres Leben in einem anderen Land?
    Ferber: Wo wollen Sie anfangen, wo wollen Sie aufhören? Wir haben sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt, 500 Millionen in Europa, 300 Millionen in den USA und allen anderen geht es schlechter und die dürfen überall einwandern? Ich halte das für zynisch.
    Müller: Ist das Abschottungspolitik ganz gewollt und bewusst?
    Ferber: Das ist jetzt eine Unterstellung, die Sie hier machen.
    Müller: War eine Frage.
    Ferber: Ja nein! Aber es geht hier nicht um Abschottungspolitik, sondern das Asylrecht ist dazu da, Menschen, die verfolgt werden aus verschiedensten Gründen, zu dem Zeitpunkt der Verfolgung Unterkunft und Entwicklungsmöglichkeit zu geben. Wenn keine Verfolgung vorliegt, kann auch kein Asyl gewährt werden.
    Müller: Also kein Spielraum in dieser Frage?
    Ferber: Beim Asylrecht gibt es keinen Spielraum. Deswegen wird jeder Fall individuell geprüft.
    Müller: Gehen wir auf den zweiten Punkt: Kriegsflüchtlinge aus Syrien beispielsweise.
    Ferber: Ich denke, dass wir hier als Europäer insgesamt eine größere Verantwortung haben. Wenn Sie sehen, wie die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien im Libanon, in Jordanien zur Destabilisierung beitragen, welche Lasten diese Länder tragen – im Libanon ist ja fast jeder zweite, der in dem Land wohnt, mittlerweile ein Syrien-Flüchtling. Das zeigt, dass wir als Europäer durchaus eine größere Verantwortung hätten. Und zwar nicht nur Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen, sondern auch im Rahmen internationaler Abkommen unter Einbeziehung Russlands diesen furchtbaren Bürgerkrieg in Syrien zu beenden. Nur so wird es möglich sein, die Menschen wieder in ihre angestammte Heimat zurückführen zu können, und das ist die Aufgabe bei Bürgerkriegsflüchtlingen.
    Müller: Nun haben wir dort ein Angebot gemacht, auch auf der internationalen Ebene. Es können Tausende syrische Flüchtlinge kommen. Wo ist bei Ihnen dort die Grenze?
    Ferber: Es geht ja nicht darum, Grenzen aufzuzeigen, sondern es geht darum, eine Strategie zu entwickeln, dass der Bürgerkrieg ein Ende findet. Die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen ...
    Müller: Aber darauf können wir ja lange warten, Herr Ferber. Sorry, dass ich Sie hier jetzt unterbreche.
    Ferber: Ja gut, wir können natürlich sagen, ...
    Müller: Es geht ja jetzt um die Flüchtlinge!
    Markus Ferber
    Geboren 1965 in Augsburg, Bayern. Der CSU-Politiker studierte Elektrotechnik an der TU München. Er schloss das Studium 1990 mit dem Diplom-Ingenieur ab. Danach war er mehrere Jahre in diesem Beruf tätig. Er ist seit 1983 Mitglied in der CSU und seit 1999 Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament, dem er seit 1994 angehört.

    Ferber: ..., die schießen aufeinander, und solange die aufeinander schießen, müssen wir die Menschen aufnehmen. Aber wir tun nichts, dass die Menschen nicht mehr aufeinander schießen. Auch das halte ich für zynisch. Auch hier haben wir als Europäer, aber auch im Rahmen der Weltgemeinschaft eine Verantwortung, diesen furchtbaren Bürgerkrieg mit zu beenden. Es kann ja nicht sein, solange dort keine chemischen Waffen eingesetzt werden, ist alles in Ordnung, so wie sich das für mich momentan darstellt. Auch das halte ich für hoch zynisch und hier haben wir als Europäer schon ein bisschen mehr Verantwortung, aber auch die Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen, das sage ich ganz deutlich, die dann aber wieder nach Beendigung des Bürgerkrieges zurückzuführen sind.
    Müller: Die Bundesregierung, Herr Ferber, wäre vermutlich dann die letzte Regierung, die etwas unternehmen würde.
    Ferber: Schauen Sie sich doch mal die Zahlen in Europa an. Hier ist Deutschland nicht am Ende der Liste, sondern ganz am Anfang der Liste, was die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen betrifft. Das ist keine Geschichte, die Deutschland alleine zu stemmen hat, sondern wo die Europäer insgesamt mehr Menschen aufnehmen müssen.
    Müller: Reden wir über diesen europäischen Schlüssel. Tut Deutschland da genug?
    Ferber: Ein europäischer Schlüssel ist ja bisher von denen verhindert worden, die jetzt ihn einfordern, nämlich die Südeuropäer. Als wir in den 90er-Jahren die insbesondere die Bürgerkriegsflüchtlinge aus ehemals Jugoslawien hatten, aus Bosnien-Herzegowina insbesondere, da waren es ja die Spanier, die Italiener, die Portugiesen, die sich gegen einen Verteilungsschlüssel gewandt haben. Jetzt haben wir den Zuwanderungsdruck im Wesentlichen über den Mittelmeer-Raum; jetzt sind es plötzlich die, die das wollen. Hier muss schon jeder nicht nur nach aktueller Faktenlage, sondern insgesamt seinen Beitrag dazu leisten, hier zu einer Beschlussförderung zu kommen. Und deswegen sind alle Staaten aufgefordert, hier zu einer vernünftigen Lösung zu kommen, dass wir solche Verteilungsschlüssel bekommen.
    Müller: Um das noch mal klar zu machen: Vor allem jetzt die Krisenländer, die Euro-Krisenländer im Süden Europas sind verantwortlich noch für mehr Aufnahmekapazität?
    Ferber: Nein! Die Krisenländer, wie Sie sie bezeichnen, waren vor 15 Jahren dagegen, einen Verteilungsschlüssel zu machen, weil sie gesagt haben, es ist doch schön, wenn Österreich und Deutschland das Gros der Bürgerkriegsflüchtlinge aus ehemals Jugoslawien aufnimmt, dann haben wir da keine Lasten damit. Und jetzt sind sie Opfer ihrer eigenen Argumentation.
    Müller: Reden wir über die erste Kategorie, weil wir sie so eingeordnet haben: die Armutsflüchtlinge, Zuwanderer aus Südosteuropa. Unser Thema, weil die Freizügigkeit ab 1. Januar, also ab kommenden Mittwoch, ja gilt. 180.000 – das ist die Prognose, die wir aus Nürnberg hören von der Bundesanstalt für Arbeit, Bulgaren und Rumänen, die auf den deutschen Arbeitsmarkt nach Deutschland kommen. Wir haben eben in unserer Sendung bereits Eindrücke aus Duisburg dazu gehört, wo viele bereits angekommen sind in den vergangenen Jahren, wo es massive Schwierigkeiten gibt. Wie gravierend ist das Problem?
    Ferber: Das Problem ist sehr gravierend, weil es sich hier um Menschen handelt, die einen Rechtsanspruch für sich in Anspruch nehmen, den sie nicht haben, der ihnen aber leider auch zum Teil von deutschen Gerichten gewährt wird. Wir haben ja mittlerweile Urteile von Oberlandesgerichten, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, die solchen Menschen Zugang zu unserem Sozialsystem gewähren, obwohl das nach europäischem Recht nicht vorgeschrieben ist. Wir haben jetzt eine Vorlage vor dem Europäischen Gerichtshof durch das Bundessozialgericht gehabt und hier wird die Frage zu entscheiden sein. Das europäische Recht ist eigentlich eindeutig: Jeder Bürger der Europäischen Union hat das Recht, 90 Tage in einem anderen Land sich aufzuhalten, um einen Job zu suchen. Wenn er in diesen 90 Tagen keinen Job findet, muss er wieder zurückgehen. Er hat keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Wenn einer das sehr oft macht, dann kann sogar eine Sperrung dieser Freizügigkeit erwirkt werden. Das ist die europäische Rechtslage, die wird in anderen Ländern sehr konsequent durchgezogen. Wenn Sie deutsche Rentner befragen, die ihren Altersruhesitz in Spanien zum Beispiel suchen, werden Sie sehr schnell feststellen, dass da viele deutsche Rentner, die innerhalb der 90 Tage keinen Einkommensnachweis beibringen können, wieder zurückgeschickt werden. Und in Deutschland wird das nicht gemacht und dann entscheiden plötzlich Gerichte, dass das ja ein Duldungstatbestand ist. Und geduldete Menschen haben dann auch Anspruch auf Sozialleistungen. Das müssen wir in Deutschland, aber auch in Europa lösen, dass hier die Regeln klar sind und jeder weiß, Zuwanderung, um Beschäftigung aufzunehmen, ist erlaubt, Zuwanderung, um in bessere Sozialsysteme zu kommen, ist nicht europäisch und das muss auch unterbunden werden.
    Müller: Herr Ferber, wenn das so klar ist, wie Sie die europäischen Regelungen beschreiben, warum haben die Richter in Nordrhein-Westfalen anders entschieden? Warum kann der Bundesgerichtshof das nicht entscheiden, warum wird das jetzt einige Monate dauern, bis Europa entschieden hat beziehungsweise der Europäische Gerichtshof?
    Ferber: Ja, gut, das Gericht in Düsseldorf ging davon aus, dass, wenn jemand länger als 90 Tage bei uns bleibt, er vom Staat geduldet wird. Und hier gilt dann der gleiche Rechtsstatus wie für geduldete, also nicht abgeschobene, aber abgelehnte Asylbewerber. Auch hier gibt es ja den Tatbestand der Duldung. Es gilt für Bürgerkriegsflüchtlinge dieser Tatbestand, für ehemalige Bürgerkriegsflüchtlinge. Wenn aber eine Duldung stattfindet, ist nach deutschem Recht auch ein Zugang ins Sozialsystem möglich.
    Müller: Aber dann ist das eine Regelung, die nicht greift? Dann ist das eine Regelung, die nicht funktioniert?
    Ferber: Das ist das Urteil des OLG Düsseldorf. Aber das ist eine Frage des Vollzugs in Deutschland. Das Oberlandesgericht in Niedersachsen hat genau anders herum entschieden und hat gesagt, nein, auch wenn einer länger als 90 Tage da bleibt, gelten die europäischen Regelungen und er hat keinen Anspruch. Deswegen haben wir in Deutschland aufgrund unterschiedlicher Urteile so eine komplexe Lage, aber nicht aufgrund europäischer Regeln.
    Müller: Jetzt haben wir verschiedene Urteile, wir müssen auf das entscheidende Urteil des Europäischen Gerichtshofs ja dann noch warten. Jedes Land hantiert ein bisschen anders im Moment. Großbritannien will ja auch mit eigenen Regelungen da nach vorne gehen. Jetzt haben die Kommunen – wir haben es eben am Beispiel Duisburg gehört – nun dieses massive Problem der Zuwanderung, zu wenig Geld zu haben. Werden Sie, wird die Bundesregierung, wird Europa da weiterhelfen?
    Ferber: Zunächst mal handelt es sich hier um das deutsche Sozialsystem. Insofern ist das keine europäische Aufgabe. Aber ich will das nicht wegschieben, sondern die europäischen Regeln müssen gegebenenfalls klarer gefasst werden. Die europäischen Regeln sagen nämlich eindeutig: Eine Zuwanderung in die Sozialsysteme darf es nicht geben, sondern nur, wer dann eine Arbeit aufgenommen hat, wer also seinen Beitrag in ein Sozialsystem geleistet hat, hat dann, falls er arbeitslos wird, falls er krank wird, oder wenn er in Rente geht, aus dieser Erwerbstätigkeit auch Ansprüche an das jeweilige Sozialsystem. Und das gilt es, dann auch entsprechend durchzusetzen. Hier sind aber auch die Landesbehörden mit zuständig, dafür zu sorgen – momentan haben wir ja hauptsächlich das Problem der Scheinselbständigkeit, wo sofort Zugang zum Kindergeld zum Beispiel gewährt wird, wenn Sie ein Unternehmen anmelden. Wenn aber auf einer Adresse 50, 60, 70 Unternehmen gemeldet sind, kann man wohl davon ausgehen, dass der Unternehmenszweck nicht gegeben ist, sondern nur ein Gewerbeschein beantragt wurde, um in die Sozialsysteme zu kommen. All das sind Dinge, die im Vollzug besser gelöst werden müssen in Deutschland.
    Müller: Die Frage, Herr Ferber, noch ganz kurz, wir haben nicht mehr viel Zeit. Sind Sie bereit, den Kommunen mehr Geld zu geben, sie jetzt konkret in dieser Situation zu unterstützen? Keiner weiß, wie die Urteile vor Gericht ausgehen.
    Ferber: Zunächst mal geht es darum, das europäische Recht zu vollziehen, und nicht, mehr Geld zu geben, sondern dafür zu sorgen, dass Menschen, die länger als 90 Tage in Deutschland sind, keine Arbeit aufgenommen haben, wieder zurückgeschickt werden.
    Müller: Also Duisburg bekommt von Ihnen kein Geld?
    Ferber: Von der Europäischen Union sicher nicht. Die Europäische Union ist nicht für die Ausgestaltung der Sozialsysteme der Mitgliedsstaaten zuständig.
    Müller: Bundesregierung, CSU?
    Ferber: Dann gehen wir mal ein bisschen ins Detail rein, welche Sozialleistung von welcher Ebene zu leisten ist. Das sind im Wesentlichen Landesmittel und deswegen ist für Duisburg nicht die CSU zuständig, sondern die rot-grüne Landesregierung.
    Müller: Markus Ferber bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen, CSU-Europaabgeordneter, zugleich Mitglied im Präsidium seiner Partei. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Ferber: Ebenso!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.