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Artenschutz
"Es sollte Orte des kulturellen Erbes für Schimpansen geben"

Verhaltensforscher Hjalmar Kühl hat festgestellt, dass das eigentlich große Verhaltensrepertoire von Schimpansen massiv verarmt. Der Mensch spiele dabei eine große Rolle, sagte er im Dlf. Man müsse nun die besonders wertvollen Orte erhalten, an denen Schimpansen ein außergewöhnliches Verhalten zeigen.

08.03.2019
Ein Schimpanse knackt Nüsse mit einem Stein
Verhaltensweisen wie das Nüsse-Knacken zeigen Schmimpansen möglicherweise dort nicht mehr, wo sie befürchten, Jäger auf sich aufmerksam zu machen (Tobias Deschner/Taï Chimpanzee Project)
Christiane Knoll: Von zehn Schimpansen, die sich um die Jahrtausendwende noch durch die Bäume Westafrikas hangelten, sind inzwischen acht verschwunden. Der westafrikanische Schimpanse ist vom Aussterben bedroht, die anderen Unterarten gelten als gefährdet. Keine Frage: Unsere nächsten Verwandten brauchen Schutz, aber der muss vielleicht noch kreativer ausfallen als bisher gefordert. Der Leipziger Verhaltensforscher Hjalmar Kühl hat sich die kulturelle Vielfalt in den Schimpansengruppen angeschaut und festgestellt, dass sie überall dort, wo der Mensch zu nahe kommt, massiv verarmt. Was das heißt, darüber habe ich mit ihm gesprochen, meine erste Frage war: Was ist eigentlich typisch für Schimpansen?
Hjalmar Kühl: Ja, man kann vielleicht gar nicht sagen, dass es das typische Verhalten von Schimpansen gibt. Das macht ja gerade die Schimpansen aus, dass sie so ein großes Verhaltensrepertoire zeigen. Das heißt, wenn wir Schimpansen uns in Westafrika anschauen, werden wir andere Verhaltensweisen – zumindest teilweise – finden als in Zentral- oder in Ostafrika. Um jetzt nur mal ein paar Verhaltensweisen zu nennen, die auch für uns eine Rolle gespielt haben: Da geht es um das Fischen von Algen aus kleinen Bächen, Flüssen oder Teichen, es geht um das Knacken von Nüssen oder es geht um das Fischen von Termiten.
Knoll: Meinen Sie damit, manche Schimpansen machen das, andere nicht oder jeder macht es auf seine Weise?
Kühl: Das ist beides richtig. Also es gibt Populationen, die zeigen bestimmte Verhaltensweisen, andere zeigen genau diese Verhaltensweise gar nicht, um mal bei den Algen zu bleiben. Es gibt bestimmte Populationen in Westafrika, die fischen diese Algen, anderswo kommen natürlich Algen genauso vor, aber die werden einfach nicht benutzt. Und dann zusätzlich hat noch jede Population dann ihre ganz eigene Art und Weise, diese Ressource zu nutzen.
Rückgang des Verhaltensrepertoires um 88 Prozent
Knoll: Sie haben sich nun 144 Schimpansengruppen in afrikanischen Wäldern angeschaut. Zum Teil haben Sie selbst beobachtet, Sie und Ihre Mitarbeiter, zum Teil haben Sie Literatur gesichtet. Und dabei haben Sie jetzt festgestellt, dass das Verhaltensrepertoire umso ärmer war, je größer der Einfluss des Menschen war. Wie gravierend ist denn diese Verarmung?
Kühl: Ja, die Verarmung ist sehr massiv. Was wir gefunden haben, ist, dass im Durchschnitt es einen Rückgang von 88 Prozent gab, und zwar von Standorten, an denen der menschliche Einfluss gering war, zu Standorten, an denen der menschliche Einfluss hoch war, 88 Prozent im Durchschnitt. Und wir konnten das nachweisen mit vielen verschiedenen Arten von Analysen, ob wir alle Verhaltensweisen genommen haben, ob wir Verhaltensweisen auf unterschiedliche Art und Weise gruppiert haben wie zum Beispiel nur Verhaltensweisen mit Werkzeuggebrauch, Verhaltensweisen ohne Werkzeuggebrauch, oder wenn wir sie nach verschiedenen Ressourcen eingruppiert haben. Ergänzen sollte man hier, es sind nicht bestimmte Verhaltensweisen, die besonders anfällig sind, zu verschwinden, sondern das ist wirklich über alle Verhaltensweisen hinweg gewesen.
Einfluss verschiedener Faktoren
Knoll: Der Einfluss des Menschen ist ja ein recht indirekter. Wir reden hier ja nicht von Schimpansen, die mit den Menschen zusammenleben, sondern von wilden Affen. Verstehen Sie die Mechanismen, die dahinterstecken?
Kühl: Zu den Mechanismen können wir zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren. Eine der Erklärungen wäre: Wir wissen, dass viele Schimpansenpopulationen zurückgehen, das heißt, es sind weniger Individuen da und insgesamt ist eine geringere Kapazität da, um diese Verhaltensweisen zu speichern, könnte man sagen.
Ein anderer Hinweis kommt daher, dass die Ressourcen gleichzeitig von Mensch und Schimpanse genutzt werden, das heißt, für die Individuen, die die Verhaltensweisen praktiziert haben, gibt es weniger Möglichkeiten, sie auch tatsächlich auszuüben. Und gleichzeitig reduziert es dann auch wieder die Gelegenheit für die nachkommende Generation, von den Individuen zu lernen.
Weiterhin ist es so, dass bestimmte Verhaltensweisen sehr auffällig sind, also wenn wir jetzt an Nüsse knacken denken, das macht natürlich Krach, man kann relativ leicht Schimpansen im Wald damit lokalisieren, wenn die denn am Nüsse-Knacken sind. Und wir vermuten auch, dass bestimmte Verhaltensweisen bewusst nicht mehr gemacht werden von den Schimpansen, um zum Beispiel Jäger nicht anzulocken, um nicht zu zeigen, wo sie sich denn aufhalten.
Möglicherweise, das ist jetzt auch Spekulation, spielt auch Klimawandel schon eine Rolle, dass nämlich die Ressourcen, also die Produktion von bestimmten Früchten zwischen den Jahren enorm schwankt. Und das macht es natürlich dann auch schwieriger für junge Schimpansen, zu lernen. Um da ein Beispiel zu geben: Wir hatten an einem der Standorte, das ist im Osten von Liberia, im Grebo-Wald haben wir Schimpansen gefunden, dort gibt es auch viele Nussbäume, also die Nussproduktion hat dort auch stattgefunden, wir haben auch alte Nussknack-Stellen gefunden, aber was wir nicht gefunden haben, ist, dass die auch tatsächlich noch benutzt wurden. Also da gab es irgendwas, was verhindert hat, dass die Schimpansen tatsächlich diese Ressource, die sie doch einmal benutzt haben, auch weiterhin nutzen.
"Es sollte Orte des kulturellen Erbes für Schimpansen geben"
Knoll: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie für den Moment aus diesen Ergebnissen?
Kühl: Wir als Wissenschaftler, was wir machen können, ist, sozusagen damit eine Alarmglocke zu ringen und zu sagen, ja, wie wichtig wäre es denn, diese Vielfalt an Verhaltensweisen, an Schimpansen auch wirklich für die Zukunft zu erhalten? Können wir das vielleicht aufnehmen in verschiedene Konventionen, die sich vor allem natürlich auf den Erhalt einer Art konzentrieren? Wir sehen natürlich Biodiversität nicht nur als den Erhalt der einzelnen Art, sondern es geht ja darüber hinaus auch um die Vielfalt innerhalb dieser Art, und wir haben dann in unserer Studie darauf hingewiesen, dass es vielleicht auch so was geben sollte wie Orte des kulturellen Erbes für Schimpansen, also jetzt mal in Analogie zum Menschen gesprochen, dass man sagt, hier sind besonders wertvolle Orte, die es zu erhalten gilt, weil hier Schimpansen ein außergewöhnliches Verhalten zeigen, ob das jetzt um die Nutzung von Höhlen geht, ob es jetzt um Fischen von Algen geht oder ums Knacken von Nüssen. Und das wäre so eine unserer Ideen, dass man das erst mal in bestimmte Mechanismen natürlich umsetzen müsste, die dann auch praktisch anwendbar sind im aktiven Artenschutz.
Knoll: Hjalmar Kühl über das bedrohte kulturelle Erbe der Schimpansen. Wenn er nicht in den afrikanischen Wäldern unterwegs ist, dann forscht er am MPI für Evolutionäre Anthropologie und am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig.
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