Dienstag, 19. März 2024

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Artenschutzkonflikt in Indien
Menschen gegen Elefanten

Der indische Bundesstaat Assam ist vor allem für seinen Tee berühmt. Doch er gilt auch als ein Hotspot für Artenvielfalt. Hier leben seltene Vogelarten, Tiger, Leoparden und Elefanten. Letztere plündern oft die Reisfelder und bedrohen damit die Existenz der Bauern. Die Dorfbewohner wehren sich.

Von Rainer Hörig | 05.12.2016
    Ein Elefant im Zoo von Kalkutta.
    Auf ihren Wanderungen bedienen sich die Elefanten gern an den Reisfeldern der Bauern. (imago / Pacific Press Agency)
    "Meist kommen sie in den frühen Abendstunden aus dem nahen Wald, manchmal bis zu einhundert in einer Herde. Sie verwüsten unsere Felder, selbst vor unseren Häusern machen sie nicht halt und plündern unsere Vorräte. Wer sich ihnen entgegenstellt, mit dem machen sie kurzen Prozess. Vier unserer Nachbarn wurden bereits getötet."
    Der Kleinbauer Raju Bagh lebt am Rande einer Teeplantage im nordöstlichen Bundesstaat Assam. Seit rund 15 Jahren müssen er und seine Nachbarn sich gegen marodierende Elefanten zur Wehr setzen, die auf ihren Wanderungen durchs Dorf ziehen und die Reisfelder plündern. Verzweifelt versuchten die Bauern, die grauen Riesen zu vertreiben und ihre Felder und damit ihre Existenz zu retten.
    "Wir machen Lärm, soviel wir nur können, schlagen auf Töpfe, zünden Feuerwerkskörper, rennen den Viechern mit brennenden Fackeln entgegen. Doch allmählich lassen sich die Elefanten davon kaum noch beeindrucken. Erst seitdem wir die Felder mit einem Elektrozaun umspannten, haben wir einigermaßen Ruhe."
    Hotspot für Artenvielfalt
    Auf der ganzen Welt ist Assam für seinen ausgezeichneten Tee berühmt, der hier in riesigen Plantagen gedeiht. Darüber hinaus aber ist die Region nördlich von Kalkutta weitgehend unbekannt. Assam umfasst das breite Tal des Brahmaputra-Flusses, der im tibetischen Hochland entspringt und südlich von Kalkutta in den Golf von Bengalen mündet. Der östliche Himalaya sowie die Ausläufer der Gebirge Burmas rahmen das Brahmaputra-Tal ein. Insgesamt umfasst der Nordosten Indiens ein Gebiet von der Größe Großbritanniens. Unter Biologen gilt es als einer von weltweit 34 Hotspots der Artenvielfalt, das heißt, es verfügt nicht nur über eine außerordentlich große Vielfalt, sondern ist auch durch menschliches Wirken in seinem Fortbestand bedroht.
    "Der Nordosten Indiens liegt am Rande des Subkontinents. Hier stoßen drei ökologische Zonen aufeinander, das Tal des Brahmaputras, der relativ junge Himalaya und das wesentlich ältere Hochplateau des Dekkhan, das den größten Teil des Subkontinents ausmacht. Daher die hohe Artenvielfalt."
    Achitya Barua betreibt seit dreißig Jahren ein Hotel am Kaziranga Nationalpark, der sich unmittelbar am Ufer des Brahmaputra erstreckt. Das 430 Quadratkilometer große Naturschutzgebiet bildet die Artenvielfalt der Region wie in einem Brennglas ab. Hier leben rund 900 Elefanten, außerdem Tiger, Leoparden, Affen, Antilopen und seltene Vogelarten. Im gesamten Nordosten Indiens gibt es 71 Nationalparks und Naturschutzgebiete, rund sieben Prozent der Region stehen damit unter Schutz. Und dennoch schlagen Umweltschützer Alarm. Der Konflikt zwischen Elefanten und Dorfbewohnern sei der sichtbare Beweis für die Bedrohung der Naturreichtümer, erklärt Nandita Hazarika von der NGO Ecosystems India:
    "Ein Hauptgrund ist die konstante Zerstörung von Wald für neue Dörfer, für Straßen und Schienen, und große Staudämme. Wir können die Landnahme nicht vollständig stoppen, aber zumindest muss sie regularisiert und minimiert werden."
    Bevölkerungswachstum zwingt zur Landnahme
    Elefanten hätten einen großen Nahrungsbedarf und seien Nomaden, die auf traditionellen Routen zu ihren Futterplätzen wanderten. Die meisten Dorfbewohner hätten dafür durchaus Verständnis, so Hazarika, aber das Bevölkerungswachstum zwinge sie eben zur Landnahme. Ihre kleine Organisation könne den Landkonflikt nicht lösen, aber immerhin zur Deeskalation beitragen:
    "Als Tierschützer versuchen wir die Dorfbewohner zu überzeugen, Elefanten mit sanften Mitteln zu vertreiben. Immerhin sterben bei Auseinandersetzungen jährlich 20 Menschen und ebenso viele Elefanten."
    Ein scheinbar unlösbarer Konflikt, doch es gibt auch Hoffnung. In Südindien versuchen Naturschützer, in Zusammenarbeit mit der Forstverwaltung die traditionellen Wanderwege der Elefanten zu sichern. Das macht manchmal die Umsiedlung ganzer Dörfer notwendig - ein langwieriges Unterfangen, das viel Überzeugungsarbeit erfordert. Doch erste Erfolge sind bereits spürbar.