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Arthouse-Kino
Verliebte Verbeugung vor "La Binoche"

Olivier Assayas' Film "Die Wolken von Sils Maria" ist wahrhaftiges europäisches Arthouse-Kino. Er reflektiert das europäische Arthouse-Kino, indem er von einer älter werdenden Schauspielerin und ihrer Assistentin erzählt und dem "cultural clash" zwischen dem Kino Europas und dem in Hollywood.

Von Hartwig Tegeler | 17.12.2014
    Sie ist berühmt, begehrt, gefeiert. Maria auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.
    "Du hast nur drei Interviews, dann kommt die Preisverleihung und dann das offizielle Dinner."
    Valentine, die effektive persönliche Assistentin, hat iPhone, iPad und alles in Hand oder Handtasche, um die perfekte Organisation von Beruf und Leben einer gefragten Schauspielerin zu gewährleisten. Doch das Angebot, in der Wiederaufführung eines Theaterstücks zu spielen, das ihr 20 Jahre zuvor den Durchbruch verschaffte, bringt Maria aus dem Gleichgewicht. Denn damals hatte sie die junge Sigrid gespielt; jetzt soll sie in die Rolle der älteren Helena schlüpfen, während ein junges Starlet aus Hollywood für die Sigrid besetzt ist. Maria - verunsichert.
    "Die Rolle macht mir Angst. Helena macht mir Angst. Ich bin dabei, mich scheiden zu lassen, ich fühle mich allein und verletzlich. Vermutlich zu verletzlich, um das hier zu tun."
    Maria - unentschieden. Ja, sie wird es machen; nein, auf keinen Fall; doch, eventuell; oder vielleicht ... Maria fährt mit Valentine nach Sils Maria, um in der Abgeschiedenheit der Alpen das Stück zu proben. Valentine kennt das Starlet, das in Marias alte Rolle schlüpfen soll ...
    "Oh, du findest sie besser als mich?"
    Was sich nun ... "Ich bin konventioneller?" ... zwischen der Schauspielerin und ihrer Assistentin entspinnt, ... "Nein, so habe ich das nicht gemeint." ... ist ein Spiel über Realität und Fiktion, ... "Langweilig?" ... Schein und Sein, ... "Und ich komme nie an ihre Intensität ran?" ... Macht und Abhängigkeit, ... "Das sagte ich nicht. - Natürlich nicht!" ... die Gegenwart und die Vergangenheit. Also die Zeit.
    "Wie kannst du nur? So etwas sagen. - Mach die Augen auf, meine arme Helena. - Ich bin nicht deine arme Helena. - Du wirst untergehen."
    Hohe Intensität
    Hier, in diesem kammerspielartigen Zentrum von "Die Wolken von Sils Maria", gibt es Momente höchster Intensität, ja, fast verstörender Magie. Wenn Maria mit Valentine probt, wenn also Juliette Binoche nur mit Kristen Stewart spielt. Und den Begriff kann man hier gerne in der ganzen Facette seiner Bedeutungen verstehen. Also die beiden lesen, proben das Stück, den Text. Es geht um die Figuren Sigrid und Helena und ihre Beziehung einander.
    Aber in diesem Spiel geht es auch, schneller als beiden lieb ist, um Maria und Valentine und ihre Beziehung zueinander. Und mit jedem Satz vermischen sich auf faszinierende Weise die Realität des Theaterstücks - Sigrid, Helena - mit der Realität des Films - Maria, Valentine. Und dann sind wir wieder im Stück und dann wieder im Film. Schein, Sein, die Begriffe und Ebenen lösen sich auf, verweben miteinander. Und alles verwirbelt sich in der Magie des Schau-Spielens, die Juliette Binoche und Kristen Stewart, jede für sich ganz unterschiedlich, vorführen. Ganz fern von Hollywood. Und wir bekommen das Gefühl, für einen flüchtigen Moment einen Blick in den Kern europäischen Kinos zu erhaschen.
    So lässt Olivier Assayas in "Die Wolken von Sils Maria" ganz unterschiedliche Kunst- und künstlerische Welten aufeinanderprallen. Juliette Binoche und die ganz anders, aber ebenso intensiv spielende Kristen Stewart stehen nicht nur für verschiedene Schauspieler-Generationen, sondern auch für Kulturen, die aus unterschiedlichen Quellen schöpfen und sich in der Realität des Kinos - des 'business' wie der Kunst - dauernd begegnen, vermischen, Widerspruch gegeneinander erheben, obszöne wie liebevolle Beziehungen eingehen. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, Olivier Assayas behauptet das alles nicht, sondern zeigt es in seiner Geschichte.
    Glamour trifft Tradition
    Also: Europa versus Hollywood. Da ist Juliette Binoche, die 1964 in Paris geborene Tochter eines Regisseurs, Schauspielers, Bildhauers und einer Schauspielerin und Lehrerin. Binoche am Theater, ganz früh. Im Film. Und dann Kristen Stewart, 1990 geboren, Tochter eines Fernsehproduzenten. Stewart machte Werbespots, dann Hollywood. Als Tochter von Jodie Foster in "Panic Room". 2008 als Isabella in der Vampir-"Twilight"-Saga der Durchbruch. Mit den beiden Frauen treffen also im Film aufeinander die Glamour-Celebrity-Kultur und europäische Schauspieltradition.
    So ist "Die Wolken von Sils Maria" zu einem faszinierenden Film geworden über die Kunst, die unterschiedlichen Darstellungskünste im Kino, aber auch zu einem cinematographischen Entwurf über die Zeit, ihre Vergänglichkeit. Wie sagt im Film das Hollywood-Starlet Jo-Ann gespielt vom Hollywood-Starlet Chloë Grace Moretz zu Maria:
    "Es ist unglaublich mutig, die Rolle der Helena zu spielen. Sich auf diese Weise mit der Zeit auseinanderzusetzen. Ich meine, ... - Ja, stimmt."
    Obwohl, das muss nüchtern gesagt werden, nicht hämisch, nur nüchtern: Kristen Stewart und Chloë Grace Moretz können Juliette Binoche nicht das Wasser reichen. Olivier Assayas hat mit seinem wundervollen Film "Die Wolken von Sils Maria" eine liebevolle und verliebte Verbeugung vor Juliette Binoche vorgelegt. Vor "La Binoche". Wir sollten sie mal endlich so nennen.