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Artig unter Glas

Ihre Vorbereitung war streng geheim, ihre Eröffnung verursachte diplomatische Verwerfungen: Die Bronzezeit-Schau in der Petersburger Eremitage sorgte mit einem handfesten Beinahe-Eklat auf höchster Ebene für Schlagzeilen. Dabei kommt Ausstellung selbst ganz unaufgeregt daher.

Von Anastassia Boutsko | 22.06.2013
    Die Ausstellung ist prominent untergebracht – in den neuen modernen Räumen der Eremitage, dem ehemaligen Generalstab am Palastplatz. Die Machart der Exposition ist aber, sagen wir mal, puristisch: Die Objekte liegen schön artig in traditionellen Glasvitrinen, begleitet von schwer lesbaren Schildchen mit trockener Information: Fundort, Datierung, Inventarnummern – alte (deutsche) wie neue (russische). Namen vieler Fundorte klingen verdammt deutsch: Eberswalde, Potsdam, Stölln, Burg.

    600 von insgesamt 1700 Objekten stammen aus der Sammlung des Berliner Museums für Ur- und Frühgeschichte. Dessen neuer Direktor, Professor Matthias Wemhoff, ist zwar froh, die ehemaligen Bestände seines Hauses mindestens in einer Ausstellung sehen zu dürfen, gibt aber zu:

    "Es ist auch schon etwas herausfordernd für mich als Museumsdirektor jetzt hier praktisch die Kernstücke unserer Sammlung zu sehen. Das muss man sich auch vor Augen führen: Das, was hier ist – das ist die Ausbeute von 150 Jahren deutscher Archäologie. Das wird man nie durch irgendwas ersetzen können. In den 70 Jahren, die seitdem vergangen sind, seit 1945, ist nicht ansatzweise das gefunden worden, was wir hier in der Sammlung haben."

    Die wunderbaren Goldarmreife aus Werder, die Kultwagen aus dem Spreewald, die rätselhaften Stabdolche, die 1876 bei Feldarbeiten in Berlin-Schmökwitz gefunden wurden – trotz antiemotionaler Präsentation faszinieren diese Objekte und beflügeln die Fantasie. Wie mögen etwa die herrlichen 1,80 Meter langen Luren, 3000 Jahre alte Blasinstrumente, geklungen haben? Und wie konnte man bloß als Ausstellungsmacher diese majestätischen Instrumente in eine kleine Glasvitrine einquetschen?

    Gut, ist ja klar: Bei dieser Ausstellung ging es nicht um Schönheit und Expressivität, sondern darum, dass Sachen, die jahrzehntelang in geheimen Depots russischer Museen lagerten und als verschollen galten, zum ersten mal erforscht und öffentlich gezeigt werden. Die Funde aus der ehemaligen Prussia-Sammlung werden dabei in einen weiten zeitlichen und geografischen Kontext gesetzt: In der Bronzezeit kannte Europa von Atlantik bis Ural tatsächlich keine Grenzen. Vom Troja-Schatz bis zu den Funden von Fatjanovo und Borodino in Russland – man sieht überall das Erwachen der europäischen Frühkultur. Auf einen weiteren wichtigen Aspekt weist Matthias Wemhoff hin:

    "Was ganz Wunderbares ist an dieser Ausstellung, dass zusammengeführt wird, was zusammengehört. Wir haben durch die Fundgeschichte, die total zufällig ist, ganze Objektgruppen auseinandergerissen. Man muss sich nur diese Objektgruppe aus Edin anschauen: Da ist die Keramik bei uns und die bronzenen Teile hier. Oder da ist ein Gefäß aus Troja: Da liegt ein Teil hier, das andere in Berlin und das dritte in Moskau. Und so ist es mit ganz vielen Objektgruppen, die konnten zusammen nicht gezeigt werden. Die werden aber nur verständlich, wenn man die Gesamtheit sieht, die Archäologen arbeiten mit geschlossenem Fund!"

    Mitverantwortlich für dieses Chaos war ihrerzeit Irina Antonowa. Die heute 91-jährige Direktorin des Puschkinmuseums in Moskau, in dessen Magazinen nicht nur Trojaschätze lagerten, hat als junge Kunsthistorikerin nach dem Krieg in den Depots der deutschen Museen Trophäen aquiriert. Die greise Veteranin des Kalten Krieges wurde von der Kanzlerin angesprochen. Frau Merkel bewunderte die "unglaubliche Lebensgeschichte" von Frau Antonowa, die von diesem Gespräch mit der Bundeskanzlerin zu Tränen gerührt war. Wer hätte das gedacht.