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Arzneimittel
Optisch steuerbarer Wirkstoff soll Diabetikern helfen

Gut fünf Millionen Menschen in Deutschland sind an Diabetes Typ 2 erkrankt- Tendenz steigend. Eine Therapiemöglichkeit bieten Sulfonylharnstoffe, die die Ausschüttung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse anregen. Das ist einfacher als die direkte Gabe von Insulin, kann aber Nebenwirkungen haben. Chemiker der Ludwig-Maximilians-Universität München wollen diesen Nachteil umgehen und haben dafür einen Wirkstoff entwickelt, der sich gezielt an- und abschalten lässt.

Von Magdalena Schmude | 16.12.2014
    "Das sind jetzt ungefähr dreieinhalb bis vier Gramm von dem Sulfonylharnstoff JB253, die noch krude sind, die müssen noch aufgereinigt werden."
    Johannes Broichhagen hält einen kleinen Glaskolben in der Hand, darin ein krümeliges, rotes Pulver. Um ihn herum ein typisches Syntheselabor am Department für Chemie der Universität München. Reaktionsgefäße mit trüben Flüssigkeiten, rauschende Abzüge, die Glasscheiben an den Arbeitsplätzen sind mit Strukturformeln und Reaktionsgleichungen bemalt. Hier hat Johannes Broichhagen JB253 hergestellt.
    Chemisch ähnelt der Stoff bestimmten Medikamenten, die Patienten mit Typ 2 Diabetes schon heute oral einnehmen, um die Ausschüttung von Insulin auszulösen. Doch die sogenannten Sulfonylharnstoffe können im ganzen Körper wirken und unerwünschte Effekte auf das Herz oder den Magen-Darm-Trakt haben.
    Um das zu verhindern, hat Johannes Broichhagen seinen Sulfonylharnstoff chemisch so verändert, dass seine Wirkung gezielt an- und abgeschaltet werden kann.
    "Der lichtsensible Schalter sollte inaktiv sein, so lange er im Dunkeln bleibt und sollte eben aktiv werden, sobald wir ihn mit Licht bestrahlen."
    JB253 ist ein sogenanntes Photopharmakophor. Das Prinzip dahinter ist in der Chemie schon länger bekannt: Bestimmte Moleküle ändern ihre Struktur, wenn sie mit Licht einer bestimmten Wellenlänge bestrahlt werden. Dadurch verändern sich auch die biologischen Eigenschaften des Moleküls, manchmal kann zum Beispiel nur eine der Formen an einen Rezeptor binden und eine Wirkung im entsprechenden Gewebe auslösen, während die andere keinen Effekt hat. Photopharmakophore wirken damit wie ein Schalter. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert auch JB253.
    "Der Sulfonylharnstoff kommt in die Zelle, dort ist er erstmal inaktiv. Und unter Lichtbestrahlung ändert er seine Konfirmation."
    Die aktivierte Form von JB253 kann dann an einen Kaliumkanal auf der Zelloberfläche binden, der sich daraufhin schließt. In Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse löst das eine Signalkaskade aus, an deren Ende die Ausschüttung von Insulin steht. Weil der gleiche Kaliumkanal aber auch im Gehirn oder dem Herz vorkommt und dort Nebenwirkungen auslösen kann, ist es wichtig, die Wirkung des Medikaments gezielt zu steuern, "indem man das Pharmakophor nur dort aktiviert, wo es auch wirklich aktiviert sein soll. Und das ist dann in der Bauchspeicheldrüse".
    Da JB253 ohne Bestrahlung inaktiv ist, könnte es als Medikament oral eingenommen und bei Bedarf, etwa nach einer Mahlzeit, gezielt aktiviert werden. Das könnte zum Beispiel mit einem LED-Licht passieren, das über der Bauchspeicheldrüse auf die Haut gehalten wird. Das Licht kann das Gewebe durchdringen und den Wirkstoff aktivieren.
    In Versuchen mit Beta-Zellen von Mäusen haben die Wissenschaftler bereits gezeigt, dass sie die Insulinausschüttung kontrolliert anschalten können, wenn sie die Zellen mit JB253 behandeln und dann mit Licht einer Wellenlänge von 480 Nanometern bestrahlen. Einfaches Tageslicht reicht nicht aus, um diesen Effekt auszulösen.
    Als nächstes wollen die Forscher testen, ob sie mit dem Photopharmakophor gezielt den Blutzuckerspiegel von Mäusen regulieren können. Wenn das gelingt, sind klinische Studien mit menschlichen Patienten möglich. Johannes Broichhagen denkt aber schon weiter:
    "Die Vision dazu ist natürlich das man das später für Patienten zur Anwendung bringen kann, die an Diabetes erkrankt sind, an Diabetes Typ 2, die eben einen Patch mit LED-Leuchten am Bauch befestigt haben können und das dann eben eingeschaltet werden kann, sobald Insulin benötigt wird."
    Bis zu einer derartigen klinischen Anwendung ist es noch ein langer Weg, das ist auch ihm bewusst. Bis zu zehn Jahre könne es noch dauern, bis das Ziel erreicht ist.