Freitag, 19. April 2024

Archiv

Personalmangel und Coronakrise
"Lebensmittelkontrollen bedeuten aktiven Gesundheitsschutz"

Durch die Corona-Pandemie liege der größte Teil der Lebensmittelkontrollen brach, sagte Martin Rücker, Geschäftsführer von Foodwatch, im Dlf. Er forderte mehr Personal - auch unabhängig von der Coronakrise. Denn Lebensmittelkontrollen seien genauso systemrelevant wie die Lebensmittelproduktion.

Martin Rücker im Gespräch mit Carolin Born | 13.05.2020
Eine Auszubildende zur Lebensmitteltechnikerin überprüft am 30.07.2019 in einem Gruken-Werk in Schweinfurt das Vakuum innerhalb der Gläser mit Gewürzgurcken
Schon in normalen Zeiten könnten Lebensmittelkontrolleure ihren Aufgaben nicht ausreichend nachkommen, erklärte Martin Rücker von Foodwatch im Dlf (picture alliance/dpa-tmn/Nicolas Armer)
Personal fällt aus oder wird in Gesundheitsämtern eingesetzt - die Lebensmittelkontrollen in Deutschland sind nach Angaben der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch wegen der Coronakrise derzeit eingeschränkt. Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) hat deshalb einen Verzicht auf Kontrollen vorgeschlagen, um so für Entlastung zu sorgen. Martin Rücker, Geschäftsführer von Foodwatch, kritisiert diesen Vorschlag.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Carolin Born: Müssen die Lebensmittelkontrolleure jetzt auch die Corona-Auflagen überwachen?
Martin Rücker: Ja, das ist mir noch nicht im Einzelnen klar, wie das genau aussieht. Im Moment haben wir aber erst einmal das Problem, dass durch die Corona-Pandemie der größte Teil der Lebensmittelkontrollen eigentlich brach liegt. Wir haben schon grundsätzlich die Situation, dass die Ämter, die zuständig sind für die Überwachung der Lebensmittelbetriebe, massiv personell unterbesetzt sind. Das heißt: Das, was wir an Vorgaben haben, wie häufig sie eigentlich die Lebensmittelbetriebe kontrollieren müssen, das wird schon in normalen Zeiten nicht eingehalten. 90 Prozent der Ämter bundesweit schaffen es nicht, ausreichend Kontrollen durchzuführen.
Durch die Corona-Maßnahmen haben wir eine Situation, dass einige Lebensmittelkontrolleure ausgefallen sind, dass aber auch viel Personal zum Beispiel im Home Office sitzt, nicht in die Betriebe geht, oder bei den Gesundheitsämtern aushelfen muss, so dass diese ganzen Routinekontrollen, die ganz wichtig sind, um die Betriebe regelmäßig zu kontrollieren, um für einen guten Hygienestandard zu sorgen, dass die ausfallen und auch ganz, ganz viele Proben, die sonst genommen werden, um Lebensmittel zum Beispiel auf Salmonellen oder andere Keime zu untersuchen, derzeit nicht durchgeführt werden.
Jetzt haben wir eine Wiedereröffnung der Gastronomie. Das heißt, wir sind bei den Betrieben fast in einem normalen Rhythmus. Ich kenne kein Konzept von keinem Bundesland, wie man die Lebensmittelkontrolle, die genauso systemrelevant ist, die genauso wichtig ist für den Gesundheitsschutz der Menschen, auch wieder hochfahren kann. Hier muss dringend politisch nachgesteuert werden.
Schlachtstraße in einem Schlachthof
Warum häufen sich Corona-Infektionen in Schlachthöfen?
Die hohe Zahl der Corona-Infizierten in Schlachthöfen lenkt den Fokus auf die dortigen Arbeitsbedingungen. Die Strukturen begünstigen die Ausbreitung des Virus und auch die Politik trägt ihren Teil dazu bei.
"Genauso systemrelevant wie die Lebensmittelproduktion"
Born: Kommen wir auf die Politik mal zu sprechen. Ministerin Klöckner will die Kontrollen reduzieren. Darum hat sie im März in einem Brief an Kanzleramtschef Helge Braun gebeten. Das würde die Kontrolleure entlasten und auch die Land- und Ernährungswirtschaft. Das klingt doch fair.
Rücker: Ja, wenn man davon ausgeht, dass Lebensmittelkontrollen wirklich nur eine lästige und auch lässliche Pflicht sind. Das sind sie aber nicht. Sie sind genauso systemrelevant wie die Lebensmittelproduktion, denn Lebensmittelkontrollen bedeuten aktiven Gesundheitsschutz. Bei den Kontrollen werden Dinge auffällig, die wir nicht in unseren Lebensmitteln haben wollen: Belastungen mit Salmonellen, mit anderen Keimen, mit Listerien, die teilweise sehr, sehr schwere Erkrankungen, teilweise auch jedes Jahr Todesfälle verursachen können. Wenn wir da dauerhaft die Kontrolle wegnehmen und reduzieren, dann werden wir hier massive Probleme bekommen, und deshalb muss hier dringend ein Konzept vorgelegt werden, wie schnellstmöglich die Lebensmittelkontrolle wieder auf ein Normalmaß gebracht werden kann. Uns fällt gerade richtig auf die Füße, dass eigentlich alle Bundesländer hier nicht ausreichend Personal geschaffen haben in den Stellen und schon in normalen Zeiten ihren Aufgaben bei der Lebensmittelkontrolle überhaupt nicht nachkommen können.
"Politischer Einfluss auf Lebensmittelkontrolle ist ein Problem"
Born: Danach wollte ich Sie noch fragen, denn schon vor Corona hat Foodwatch beklagt, jede dritte Lebensmittelkontrolle falle aus. Was muss sich denn Ihrer Meinung nach ändern?
Rücker: Wir brauchen einerseits natürlich mehr Personal. Das ist offensichtlich. Aber wir haben auch erlebt, dass der politische Einfluss auf die Lebensmittelkontrolle ein großes Problem ist. Wir haben ja politische Haushaltsentscheidungen. Wie gut ein Amt ausgestattet ist hängt davon ab, welche Priorität die Lebensmittelkontrolle denn genießt. Man hat immer knappe Haushalte, man entscheidet immer, wo man spart, und die Lebensmittelkontrolle war leider ein Bereich, die in den vergangenen Jahren sehr massiv zurechtgestutzt worden ist und nicht ausreichend ausgestattet worden ist.
Born: Was erwarten Sie sich denn vom Treffen heute zwischen Ernährungsministerin Klöckner und dem Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure?
Rücker: Ich denke, dass die Lebensmittelkontrolleure sehr genau wissen, welche Bedeutung ihre Arbeit hat für den Gesundheitsschutz der Menschen. Die Kontrolleure wissen, dass sie da bisher eine Arbeit machen und überhaupt nicht hinterher kommen, weil es an Personal fehlt. Insofern gehe ich schon davon aus, dass der Verband sehr klarmachen wird, dass das so nicht weitergehen kann. Das Bundesministerium von Frau Klöckner hat ja sogar Pläne vorgelegt, wie man dauerhaft die Zahl der Kontrollen in den Betrieben reduzieren sollte. Man passt nicht den Personalstand an an die Vorgaben für die Betriebskontrollen, sondern man reduziert die vorgegebenen Kontrollzahlen, damit man mit dem vorhandenen zu wenigen Personal auskommt. Das ist der völlig falsche Ansatz und ich denke, dass da der Verband der Lebensmittelkontrolleure auch sehr deutlich sagen wird, dass das der falsche Ansatz ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.