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Aserbaidschan
Eingeschlepptes Demokratievirus

Wenn es um Energie geht, ist der Ölexporteur Aserbaidschan Spitze. Mit der Demokratie aber sieht es schlechter aus. Dabei haben viele junge Aserbaidschaner während ihrer Ausslandsstudien Demokratien erlebt.

Von Gesine Dornblüth | 21.12.2013
    Pause im Institut für Tourismus in Baku. Studenten drängen ins Freie. Eine zierliche Frau in schwarzer Hose und rosa Pullover kämpft sich dem Strom entgegen die Treppen hoch. Günel Ibrahimova ist 24 Jahre alt und vor einem Jahr aus Großbritannien nach Aserbaidschan zurückgekommen. Sie hat in Glasgow einen Master in Tourismus gemacht, mit einem Stipendium der aserbaidschanischen Regierung.
    Das Regierungsprogramm verpflichtet Stipendiaten, in ihre Heimat zurückzukehren
    Das Regierungsprogramm verpflichtet die Stipendiaten, im Anschluss an ihr Auslandsstudium in ihre Heimat zurückzukehren. Am Institut für Tourismus unterrichtet Günel nun selbst.
    "Ich glaube, das Stipendienprogramm zählt zu dem Besten, das unsere Regierung in den letzten fünf Jahren gemacht hat. Ich schätze unsere Regierung sehr für diesen Versuch. Aber die Ergebnisse stehen auf einem anderen Blatt. Mein Studium in Großbritannien hat mir erlaubt, meinen Horizont zu erweitern. Ich habe dort begriffen, vor welchen Herausforderungen Aserbaidschan steht. Ich habe zum Beispiel verstanden, dass unsere Entwicklung überhaupt nicht nachhaltig ist. Das Problem ist aber: Das System hier lässt gar nicht zu, dass sich gut ausgebildete Leute für eine nachhaltigere Entwicklung einsetzen. Weil einige Leute überhaupt kein Interesse an einer nachhaltigen Entwicklung haben."
    Sie betritt den Dozentenraum. Kleine Tische, Computer. Es ist eng. Wie in jedem staatlichen und auch manchem privaten Gebäude in Aserbaidschan hängt ein Porträt des langjährigen Staatsoberhauptes Heydar Alijev an der Wand. Das Foto seines Sohnes, des aktuellen Präsidenten Ilham Alijev, steht in Kleinformat gegenüber im Regal. Aserbaidschan ist von Clanstrukturen geprägt. Im Mittelpunkt steht die Familie des Präsidenten. Die Korruption ist groß.
    "Die Regierung tut wirklich viel für den Tourismus, es geht dabei aber immer nur um Luxusreisen. Das ist aus Bürgersicht überhaupt nicht wünschenswert, denn davon profitieren nur einzelne."
    Günels Dozentinnengehalt ist gering. Deshalb gibt sie zusätzlich noch Englischstunden.
    "Ich weiß, dass andere Auslandsstipendiaten nach ihrer Rückkehr Schmiergeld gezahlt haben, um eine Stelle in einem Ministerium zu bekommen. Wenn ich das auch getan hätte, säße ich jetzt dort.
    "Aber ich glaube seit meiner Kindheit daran, dass du alles, was du willst, auf ehrliche Art erreichen kannst. Das macht einem manchmal das Leben schwer, aber das ist mein Weg."
    Gegen das System stellen sich nur einzelne
    Viele wählen den einfacheren Weg und passen sich an. Die Behörden Aserbaidschans sind voll mit jungen Leuten, die hervorragend Fremdsprachen sprechen und auf internationalem Parkett, in Brüssel oder Straßburg, eloquent die Linie des Regimes vertreten. Gegen das System stellen sich nur einzelne.
    Zum Beispiel Adnan Hajizade. Vier Jahre war er in den USA, zuerst als Schüler, später zum Studium – auch mit einem Stipendium. Nach seiner Rückkehr fand er Arbeit bei einem britischen Ölkonzern in Baku. Außerdem ist Adnan Hajizade einer der prominentesten Blogger Aserbaidschans. Etwa 10.000 Nutzer folgen inzwischen seinen Einträgen.
    "Ich habe Politische Wissenschaften studiert. Und da es in Aserbaidschan keine Politik gibt, sondern nur eine Fassade, eine Farce, besteht kein Bedarf an meinem Wissen. Nicht an Wahlkämpfen, nicht an Umfragen, nicht an tief gehenden politischen Analysen. Niemand hat mich je gefragt, was ich weiß.
    Ich konnte aber die Energie aus dem Studium in den USA und aus der lebhaften Zivilgesellschaft dort mitnehmen und sie hier in Aserbaidschan einbringen."
    Mit Freunden gründete er eine Jugendbewegung und die Free Thought University, eine alternative autonome Bildungsstätte für Studenten.
    "Wir hatten kein Büro. Wir haben tagsüber Geld verdient und es abends ausgegeben, um einen Saal und ein Mikrofon zu mieten und dann über Philosophie, Recht und Gerechtigkeit zu reden.
    In dem Saal hatten 140 Leute Platz. Sonntags haben wir Filme gezeigt, mittwochs Bücher vorgestellt. Wir hatten Debatten, Diskussionen, Runde Tische. Wir haben unsere Vorlesungen gefilmt und ins Internet gestellt. Wir hatten mehr als 15.000 Facebook-Freunde. Unsere Videos wurden von drei-, viertausend Leuten geguckt. In einem autoritären Staat wie diesem ist das eine sehr hohe Zahl."
    Blogger machten sich in einem satirischen Video über korrupte Politiker
    Die Behörden sahen sich das eine Weile an. Dann wurde Adnan verhaftet, gemeinsam mit dem bekannten Blogger Emin Milli. Die beiden hatten ein satirisches Video veröffentlicht, in dem sie sich über korrupte Politiker lustig machten. Adnan blieb Monate in Haft. Die Free Thought University lief noch eine Zeit lang ohne ihn weiter. Die Behörden ermitteln gegen acht Aktivisten aus dem Umfeld, unter anderem wegen angeblicher Steuervergehen.
    Adnan Hajizade glaubt trotz allem fest daran, dass sich irgendwann etwas in Aserbaidschan verändern wird. Auch dank der vielen jungen Leute, die im Ausland studiert haben. Zu ihnen gehört auch Ulviyya Asadzade. Sie steht vor einer Fußgängerunterführung im Zentrum Bakus. Rolltreppen führen hinab. Der Gang ist mit Marmor ausgelegt. Die Fliesen glänzen. Über dem Eingang ein goldener Schriftzug.
    "Dort steht: „Die erfolgreiche Entwicklung Aserbaidschans ist jetzt Wirklichkeit.“ Für mich ergibt das nicht besonders viel Sinn. Es gibt viele dieser sinnlosen Zitate in der Stadt."
    Dieses Zitat stammt von Präsident Ilham Alijev. Viele sind aber auch von seinem Vater. Auch Ulviyya äußert in sozialen Netzwerken Kritik am System. Sie hat im US-Bundesstaat Ohio Journalismus studiert. Ende 2011 kam sie nach Baku zurück. Die etwa 30-Jährige arbeitet für eine internationale Organisation, wertet dort Medien aus.
    Ihr Freundeskreis in Baku ist in den letzten Jahren immer kleiner geworden, beschränkt sich auf Gleichgesinnte.
    "Ich bin ein idealistischer Mensch. Das sind nicht viele. Die meisten Absolventen ausländischer Hochschulen sind pragmatisch und wollen ihren Job behalten. Das ist traurig.
    "Wenn du einen Abschluss einer ausländischen Universität hast, dann hast du viel mehr Freiheiten als andere, und dann hast du auch eine Verantwortung als Bürger, dich zu äußern."
    "Wenn du das Glück hast, talentierter zu sein als andere, wenn du sprachbegabter bist als andere, wenn du die Chance hattest, im Ausland zu studieren, dann musst du auch etwas zurückgeben. "
    Nur weiß sie nicht so recht, wie. Ulviyya erwägt, bald erneut ins Ausland zu gehen.