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"Ashton ist eine Katastrophe"

Harte Worte von Daniel Cohn-Bendit, Vorsitzender der Grünen im Europäischen Parlament: Der Außenbeauftragten der EU, Catherine Ashton, fehle der Mumm, entscheidende Schritte zur Lösung der Krise in Ägypten zu gehen. Auf europäischer Ebene sei man in den Verstrickungen einer verfehlten Realpolitik verfangen.

Daniel Cohn-Bendit im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 07.02.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Über Jahrzehnte hatte der Westen mit Hosni Mubarak kooperiert, noch heute fließen Milliarden an Dollar und Euro nach Ägypten, die dazu dienten, das System zu stabilisieren. Der Aufdruck "Made in the USA" auf den Tränengas-Patronen, die in den vergangenen Tagen gegen friedliche Demonstranten eingesetzt wurden, er ist ein peinlicher Beleg für die fragwürdige Rolle des Westens, der offiziell doch so gerne die Einhaltung von Menschenrechten anmahnt. Europäische Union und USA wirken wie auf frischer Tat ertappt. Kein Wunder, dass es so lange gedauert hat, bis man sich von Mubarak einigermaßen zumindest distanzierte. – Am Telefon begrüße ich Daniel Cohn-Bendit. Er ist der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament. Guten Morgen!

    Daniel Cohn-Bendit: Guten Morgen.

    Heckmann: Herr Cohn-Bendit, wie viel Moral verträgt die Politik?

    Cohn-Bendit: Na ja, das ist die alte Debatte um Realpolitik, und Sie haben es ja richtig einleitend beschrieben. Die Regierungen in Europa und den Vereinigten Staaten sind verfangen im Netz, in den Verstrickungen ihrer verfehlten Realpolitik, und die Lehren, die wir daraus ziehen müssen: Wir müssen Realpolitik neu definieren. Das darf nicht bedeuten, dass das immer auf dem Rücken der Menschen, der Freiheit und der Demokratie geht. Es ist schwierig, sicherlich, aber jetzt geht es darum, die Entwicklungen in Ägypten, in Tunesien – und wer weiß, wo es weitergeht – so mit zu unterstützen, dass eine Alternative zu einer Diktatur möglich wird.

    Heckmann: Aber weshalb, Herr Cohn-Bendit, wenn Moral so wichtig ist, weshalb hat die rot-grüne Bundesregierung dann auch so wunderbar mit Mubarak kooperiert und weshalb wurde unter Rot-Grün Wladimir Putin ein lupenreiner Demokrat genannt?

    Cohn-Bendit: Also bei dem lupenreinen Demokraten müssen Sie schon nicht "Rot-Grün", sondern "Schröder" sagen, ja!

    Heckmann: Aber es war die Ära von Rot-Grün!

    Cohn-Bendit: Na ja, gut, aber er war nicht Rot-Grün, sondern da haben die Grünen sich dagegen gewehrt. Ich finde, man sollte das mal klar sagen. Das war Schröder und Schröder ist dann als lupenreiner Kapitalist bei Gazprom dann eingestiegen. – Nein! Ich glaube – das habe ich eben gesagt -, Rot-Grün hat auch Fehler gemacht in dieser Realpolitik: Das war immer Mubarak oder Islamismus. Das war die Angst, die falsche Annahme meiner Meinung nach, weil es andere Bestrebungen auch in Ägypten gab, oder in Tunesien haben wir es ja gesehen.

    Nun geht es darum, daraus eben die Lehren zu ziehen und zu sagen, wir können jetzt diese Potentate nicht mehr so unterstützen. Natürlich muss man auch mit China verhandeln, um das Beispiel zu nehmen. Da hatten die Grünen im Europaparlament ja gesagt, setzt Zeichen, fahrt nicht zur Eröffnung der Olympischen Spiele. Das haben sie ja immer gemacht. Und das ist ja das Problem. Es wird ökonomisch argumentiert, es wird immer Stabilität gesagt, und ich finde, Jürgen Trittin hat was Richtiges gesagt. Man will jetzt im Grunde genommen die Entwicklung der Demokratie mit Mubarak unterstützen. Das wäre so, als ob man sagt, Honecker soll jetzt die Demokratie in der DDR einleiten. Das ist absurd, aber das ist diese Angst, weil man so verstrickt ist und weil es auch objektiv schwierig ist, dass wenn Mubarak fällt, dann kommt eine islamistische Regierung in Ägypten dran, oder man hat das damals gesehen, als man unterstützt hat das Abbrechen der Wahlen in Algerien. In diesem Zwiespalt hat man sich dann für eine Pseudostabilität gegen die Menschen entschieden.

    Heckmann: Herr Cohn-Bendit, diese Woche möchte die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, nach Ägypten reisen. Erwarten Sie eigentlich, dass sie etwas zur Lösung der Krise beitragen kann, oder wird man in der Region gar nicht wissen, um wen es sich bei ihr eigentlich handelt?


    Cohn-Bendit: Ja. Also Ashton ist eine Katastrophe. Ashton ist eine Katastrophe, weil sie den Mumm nicht hat, wirklich dann im entscheidenden Moment einen Schritt zu machen. Sie ist ja im Netz gefangen des Foreign Office. Im Grunde genommen ist es eine Außenpolitik aus der Tradition des Foreign Office, die da gemacht wird auf europäischer Ebene, und da sind, das muss ich sagen, schuld die Regierungschefs der Europäischen Union und die Sozialdemokraten, denn sie, die sozialdemokratischen Regierungschefs, haben ja Ashton vorgeschlagen. Sie hatten den Zugriff und hatten Ashton vorgeschlagen. Das war von Anfang an vorauszusehen, dass es absurd ist, und deswegen, muss ich hier sagen, erwarte ich nicht viel von Ashton. Nun, muss man sagen, entwickeln sich die Dinge in Tunesien und in Ägypten auch sehr interessant und eigentlich sehr positiv. Das Gute vielleicht an dem Ganzen ist, dass die anscheinend weiterkommen ohne den Westen, was ja vielleicht gar nicht so schlimm ist.

    Heckmann: Sie haben gerade eben gesagt, eine Katastrophe sei Frau Ashton. Treffen Sie damit nicht aber die falsche, denn für die Regierungschefs ist klar, Außenpolitik ist letztlich eine nationale Angelegenheit, und vielleicht ist das ja auch ganz gut so, wenn man sich die Äußerung von Silvio Berlusconi anhört, der in München gesagt hat, dass man mit Mubarak doch nicht brechen sollte.

    Cohn-Bendit: Ja, aber was heißt denn - wenn ich Außenministerin bin – man kann sie nennen wie man will -, dann kann ich doch die Entscheidung, weil sie hätte doch schon längst da hinfahren können, sie hätte doch schon längst Zeichen setzen können, sie muss doch nicht um die Erlaubnis von Frau Merkel und Sarkozy fragen, oder Bunga-Bunga erst mal vorbeigehen bei Berlusconi und gucken, ob der mal Zeit hat, mit ihr zu reden. Sie soll machen, sie soll entscheiden. Sie ist nicht die Summe von 27 Außenministern, sondern sie ist eine europäische Außenministerin, die wirklich handeln kann oder handeln müsste. Deswegen verstehe ich Ihren Einwurf nicht.

    Heckmann: Washington und auch die EU, auch Berlin, sie verzichten bisher darauf, den sofortigen Rücktritt Mubaraks zu fordern. Außenminister Guido Westerwelle hat das gestern auch noch mal begründet und hat gesagt, das wäre auch kontraproduktiv, das würde der Oppositionsbewegung im Endeffekt möglicherweise eher schaden. Ist das aus Ihrer Sicht eine Schutzbehauptung?

    Cohn-Bendit: Also erst mal finde ich diese ganzen Schlaumeiers à la Westerwelle und andere, die noch vor drei Wochen, wenn ich ihnen gesagt hätte, es gibt mal eine Revolte in Ägypten und die werden den Abzug von Mubarak fordern, uns für verrückt erklärt hätten. Ich finde, das entscheiden die jetzt in Ägypten. Ich finde, dass der Westen klar signalisieren sollte, wir sind bereit, jegliche neuen Präsidenten und Regierungen, die in einem Kompromiss jetzt in Ägypten als Übergangsregierung ausgehandelt werden, zu akzeptieren und zu unterstützen.

    Heckmann: Jürgen Trittin fordert, dass der sofortige Rücktritt Mubaraks vom Westen aus gefordert werden soll.

    Cohn-Bendit: Ja! Passen Sie mal auf. Ja, das ist ja richtig, haben wir im Europäischen Parlament letzte Woche auch gefordert. Ich finde nur, wir sind immer einen Tag später. Jetzt wird verhandelt, jetzt wird der Übergang festgeschrieben, jetzt wird die Frage einer neuen Verfassung festgeschrieben, und ich finde, wir sollen klar machen, wir halten nicht mehr Mubarak. Wenn die Ägypter ihn wegkriegen, ist es gut; wenn sie verhandeln, dass er erst in einem Monat geht, ist das auch gut. Das ist jetzt die Sache der Bewegung und der Personen, die die Bewegung vertreten, die jetzt den Übergang gestalten. Die unterstützen wir, was sie machen. Ob Jürgen oder ich den Abzug von Mubarak fordern, ist zwar löblich und richtig, aber nutzt wenig. Wir müssen sagen, jawohl, an Mubarak halten wir nicht mehr, und jetzt muss man sehen, wie der Übergang gestaltet wird.

    Heckmann: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung mit der friedlichen Revolution in der DDR gesagt, schnelle Wahlen seien derzeit nicht Mittel der Wahl. Ist es nicht in der Tat so, dass Wahlen in Ägypten gut vorbereitet werden müssten?

    Cohn-Bendit: Das ist das Problem von Tunesien auch. Das wissen Sie auch. Deswegen sprechen sie von neuer Verfassung. El Baradei hat sogar angedacht, vielleicht könnte es eine Wahl erst 2012 geben, wobei eine Präsidentenwahl früher stattfinden kann. Auch da finde ich diese klugscheißerischen Ratschläge auch von der Bundeskanzlerin, die ja nichts gesehen hat noch vor zwei Wochen, und dieses Kokieren jetzt der friedlichen Revolution hier in Deutschland. In Deutschland gab es eine Bundesrepublik. Das ist eine ganz andere Voraussetzung.

    Also ich finde, wir sollten klar sagen, wir stehen an der Seite der Bewegung in Ägypten. Und was sie jetzt aussagen, wir sagen, für uns ist Mubarak kein Bündnispartner, wann ihr ihn und wie ihr ihn ersetzt und wie das gestaltet wird, das müssen die dort machen. Wir müssen die Demokratiebewegung unterstützen, wir müssen die Pressefreiheit unterstützen, und dann entwickelt sich eine zivildemokratische Gesellschaft in Ägypten, was Ägypten auch braucht.

    Heckmann: Der Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Daniel Cohn-Bendit, war das hier im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Cohn-Bendit, danke Ihnen und einen schönen Tag.

    Cohn-Bendit: Danke! Gleichfalls.
    EU-Außenbeauftrage Catherine Ashton äußert sich auf einer Pressekonferenz in Brüssel zur Situation in Ägypten.
    EU-Außenbeauftrage Catherine Ashton äußert sich auf einer Pressekonferenz in Brüssel zur Situation in Ägypten. (AP)