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Asselborn lehnt Änderung der EU-Verträge ab

Eine Änderung der EU-Verträge, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel anstrebt, sei kein Spaziergang, warnt Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Die EU-Staaten sollten dabei nun keine Kraft verlieren, sondern sich auf die Umsetzung der Beschlüsse zur Euro-Stabilisierung konzentrieren und diese nicht wieder infrage stellen.

Jean Asselborn im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.11.2011
    Friedbert Meurer: Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, hat gestern in Straßburg Alarm geschlagen. Die Euro-Zone befinde sind in ernsthafter Gefahr. Wir sind jetzt wirklich "mit einer wahrhaft systemischen Krise konfrontiert". Außer den Staatsanleihen Deutschlands scheint den Anlegern kaum mehr etwas sicher zu sein. Immer mehr Papiere der anderen Staaten erhalten immer höhere Risikoaufschläge, selbst Länder wie Österreich oder ein wenig auch die Niederlande. Das alles gilt als sicheres Zeichen, dass die Investoren das Vertrauen verlieren: das Vertrauen in den Euro-Rettungsschirm. In Deutschland war dieser Schirm schon heftig umstritten. Jetzt könnten Werkzeuge auf den Tisch kommen, die die Bundesregierung in Berlin bislang vehement abgelehnt hat. Ich begrüße nun am Telefon den Außenminister von Luxemburg, Jean Asselborn. Guten Morgen, Herr Asselborn.

    Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Wie kritisch schätzen Sie im Augenblick die Lage ein?

    Asselborn: Also man muss, glaube ich, aufpassen, dass man sich nicht immer treiben lässt und sich selbst auch treibt. Wir haben genug Spezialisten in Europa, die mit der Spekulation - das sind ja unbewiesene Hypothesen - operieren. Wir sollten jetzt aber die Füße auf dem Boden behalten. Wir haben am 26., 27. Oktober in Brüssel sehr bedeutende und richtige Beschlüsse gefasst, die müssen jetzt zum Teil intensiv im Detail vorbereitet werden, das wird gemacht, zum Beispiel dieses "Fire Power" von dem EFSF und so weiter. Andere müssen umgesetzt werden, vor allem in Griechenland, auch in Italien. Die Botschaft ist ja Haushaltskonsolidierung. Ich glaube, es gibt ja zwei sehr positive Punkte: In Griechenland haben wir eine Traditionsregierung jetzt, das Parlament hat seine große Mehrheit diesem neuen Herrn Papademos gegeben. Herr Samaras hoffe ich, dass der ein wenig Ferien macht jetzt, damit er sich nach der Anstrengung der letzten Wochen erholen kann, und dass auch Herr Papademos zum Wohle Griechenlands arbeiten kann. In Italien ist ein großer Fortschritt diese Woche geschehen: Herr Berlusconi ist Geschichte und Herr Monti hat eine neue Regierung vorgestellt.

    Meurer: Aber das scheint den Märkten nicht genug zu sein, Herr Asselborn. Ist es da so falsch zu hinterfragen, ob das denn wohl alles gut geht in den genannten Ländern?

    Asselborn: Ja. Das sind aber Zeichen, glaube ich, die die Märkte brauchen, dass in der Europäischen Union die Dinge in die Richtung drehen. Wenn wir selbst als Politiker in der Europäischen Union nicht mehr daran glauben, dass man Beschlüsse gefasst hat jetzt vor ein paar Tagen und dass diese auch jetzt umgesetzt werden und dass da in Italien und in Griechenland jetzt viel Hoffnung ist, dann machen wir einen großen Fehler. Dann machen wir die Arbeit der Spekulanten und wir machen die Arbeit jener negativen Kräfte auf den Märkten, die vieles zerstören wollen. Das sollten wir wirklich verhindern.

    Meurer: Das heißt, Sie sagen, lasst uns über nichts anderes diskutieren als den Euro-Rettungsschirm, wir diskutieren nicht über Eurobonds und nicht über andere Maßnahmen, die als große Klatsche oder Bazooka bezeichnet werden?

    Asselborn: Wir sollten jetzt das umsetzen, was wir beschlossen haben. Das ist natürlich nicht verboten, weiterhin zu reden über andere Möglichkeiten, aber lasst uns jetzt umsetzen, was wir beschlossen haben. Das, glaube ich, verlangt auch der Bürger von uns. Der Bürger in Europa verlangt, dass wir das tun, was wir beschlossen haben, um den Euro zu stabilisieren, und nicht wieder in Frage zu stellen, was wir da gemacht haben.

    Meurer: Er verlangt aber vielleicht auch, dass die Politik über einen Plan B nachdenkt.

    Asselborn: Ja aber wer sagt denn jetzt, dass der Plan A nicht zu realisieren ist? Ich gebe Ihnen recht, wenn wir noch in Italien die Regierung Berlusconi hätten, wenn wir in Griechenland noch immer in diesem Loch säßen. Das ist ja aber nicht der Fall. Das ist doch sehr wichtiges, was geschehen ist nach dem 26. und 27. Oktober. Lasst uns doch ein wenig Hoffnung auch haben, dass das in die richtige Richtung geht.

    Meurer: Herr Asselborn, der Vorsitzende der Fraktion von CDU/CSU im Bundestag, Volker Kauder, hat eine viel beachtete Rede vorgestern in Leipzig auf dem CDU-Parteitag gehalten, die offenbar in vielen europäischen Ländern zur Kenntnis genommen wurde, und wir hören uns einmal kurz die entscheidende Passage an.

    O-Ton Volker Kauder: "Jetzt auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen, nicht in der Sprache, aber in der Akzeptanz der Instrumente, für die Angela Merkel so lange und dann erfolgreich gekämpft hat."

    Meurer: Das war Volker Kauder in Leipzig beim CDU-Parteitag. Herr Asselborn, wie kommt so ein Satz bei Ihnen an?

    Asselborn: Ach, das ist erstens, würde ich sagen, ein typischer Parteitagsspruch. Man soll vielleicht da nicht zu viel übertreiben und übergereizt reagieren, wie das vor allem ja in England geschieht. Aber ich muss auch sagen, es ist ein Spruch, der wieder nach dem Bismarck-Bild von 2010 ein Bild der Deutschen an die Wand malt, das nicht nötig ist, weil es reizt und Sensibilitäten vielleicht loseist und für Verstimmung sorgt. Das ist nicht im Interesse Deutschlands und es ist bestimmt nicht im Interesse der Europäischen Union. Deutschland ist Exportweltmeister, hat ein starkes Wirtschaftspotenzial, hat ein politisches sehr, sehr großes Potenzial, auch Dank - das muss man immer wiederholen - der Europäischen Union und des Euros, und die Bürger in der Europäischen Union, die wollen ein europäisches Deutschland, die wollen ein europäisches Frankreich, die wollen ja kein deutsches Europa, kein französisches Europa, darum wurde dieser Verein, der heute EU heißt, ja gegründet. Und ich will auch sagen, wenn Sie mir die Gelegenheit geben: Im übrigen, Herr Kauder war ja noch nie in Brüssel in einem Rat, wir hatten nicht die Ehre, ihn bis dahin, also bis heute aktiv da zu sehen. Aber es wird jeden Tag in Brüssel Deutsch geredet. Die Übersetzer, die reden ein perfektes Deutsch, besser als mein Deutsch von der luxemburgisch-belgischen Grenze. Und im Besonderen: Manchmal benutze ich die deutsche Sprache, wenn ich mich besonders intensiv mit dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle über europäische Angelegenheiten unterhalte.

    Meurer: Die Luxemburger sprechen Deutsch, Herr Asselborn. Darüber freuen wir uns.

    Asselborn: Ja, sie sprechen Deutsch.

    Meurer: Ist die deutsche Politik nationaler geworden?

    Asselborn: Sie wissen ganz genau, dass wenn zum Beispiel solche Vorschläge kommen aus Deutschland, um einen Kern-Euro aufzubauen, das sind, sagen wir mal, Sensibilitäten, die dann wieder so getroffen werden oder so ausgelegt werden, dass man in Deutschland eine gewisse Hegemonie feststellen könnte. Ich sage ganz klar, Deutschland ist eine perfekte Demokratie und Deutschland ist ein Land, das Europa braucht, um voranzukommen, ob das innenpolitisch ist oder außenpolitisch ist. Und man sollte vielleicht, wenn ich das sagen darf, dieses Wort oder dieses Bild verstehen, was manchmal aus Deutschland herüberkommt, um jetzt einen Vorschlag zu machen, dass man einen Nord-Euro und einen Süd-Euro, ein Kern-Euro-Land aufbauen soll, was das alles heißt. Ich glaube, der Euro ist ein Produkt von Europa und Europa ist ein politisches Gefüge, wo aufgebaut wird, wo aufgenommen wird.

    Meurer: Aber diesen Vorschlag Nord-Süd-Euro macht sich ja nicht die Bundesregierung zueigen. Die sagt, wir wollen die Verträge ändern, die Lissaboner Verträge. Erkennen Sie da einen europäischen Ansatz, oder warum gibt es so viel Ablehnung gegen diese Idee?

    Asselborn: Ich wollte nur meinen Satz fertig machen. Sie haben mich gefragt, kommt aus Deutschland manchmal so ein Gefühl herüber. Ja, wir wollen keinen Nord-Euro und wir wollen keinen Süd-Euro, das will ja auch nicht die deutsche Bundesregierung und da liegt sie absolut richtig. Das kommt aber manchmal aus deutschen Kreisen, nach Europa schwappt das herüber, und das muss man wirklich ablehnen. Das zweite ist, was Sie gefragt haben: Vertragsänderungen. Also hier auch ganz klar: Herr van Rompuy, Herr Barroso und Herr Juncker als Eurogruppenchef haben einen Auftrag bekommen, um am 9. Dezember einen Vorschlag zu machen. Das wird ein erster Entwurf. Im Frühjahr, glaube ich, 2012 wird dann eine definitive Stellung bezogen werden. Ich sage nur, dass man sehr, sehr gut aufpassen muss mit großen Vertragsänderungen, mit Konvent und so weiter. Das ist kein Spaziergang durch den Grunewald. Da öffnet man Flanken, da schafft man eine Dynamik. Sie wissen, dass zum Beispiel England ganz andere Ziele hat als zum Beispiel Deutschland oder Luxemburg. Wir haben riskiert Referenden in Irland todsicher, vielleicht aber auch in Österreich und anderen Ländern, und ich kann Ihnen sagen, Spanien und Luxemburg waren ja die einzigen Länder, die 2005 den Verfassungsvertrag durch Referendum positiv beantwortet haben. Das ist äußerst, äußerst schwierig. Man muss, glaube ich, dreimal sich überlegen, ob das jetzt notwendig ist, ob man das jetzt machen soll im Jahre 2012, oder ob man sich nicht konzentrieren soll auf die Euro-Stabilisierung und keine Kraft verlieren für Vertragsänderungen. Mit Vertragsänderungen, glaube ich, löst man die Krise des Euro nicht, wenn der Euro in der Krise ist. Also ich würde sagen, die Stabilisierung des Euro.

    Meurer: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn über die Euro-Schuldenkrise und den Gebrauch der deutschen Sprache in Europa. Herr Asselborn, danke schön und auf Wiederhören.

    Asselborn: Bitte.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.