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Asselborn spricht von "Völkermord" in Libyen

Angesichts der angespannten Lage in Libyen hat Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn die internationale Gemeinschaft zu einem massiven Eingreifen aufgefordert - und schlägt ein entsprechendes UN-Mandat vor.

23.02.2011
    Tobias Armbrüster: Die Lage in Libyen bleibt weiterhin unübersichtlich. Wir wissen so viel, das Regime von Muammar al-Gaddafi und die Armee gehen mit größter Brutalität gegen die Demonstranten vor. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat diese Gewalt bereits verurteilt. Es wäre eine klassische Situation, in der auch die Europäische Union einmal Zähne zeigen könnte. Aber die EU zeigt sich bemerkenswert zurückhaltend. – Am Telefon bin ich verbunden mit dem luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn. Schönen guten Morgen!

    Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Asselborn, zahlreiche Staaten in der EU haben sich für Sanktionen gegen Libyen ausgesprochen, darunter auch die deutsche. Warum passiert nichts?

    Asselborn: Ich glaube, dass Ihre Frage sehr berechtigt ist, aber lassen Sie mich vielleicht sagen, mit welchem Phänomen aus meiner Sicht wir es hier zu tun haben. Was in Libyen geschieht, ist meines Erachtens Völkermord in höchster Potenz. Jeder hat dieses Spektakel gestern gesehen auf der Welt. Ein Mann, der verstört ist, der krank ist, hat da geredet, der aber auch sehr gefährlich ist. Der hat einen Aufruf gemacht zum Bürgerkrieg, er hat die Libyer gegeneinander aufgehetzt, Gewalt anzuwenden. Wir wissen, dass zehn Tausende Söldner in diesem Land sind, dass Scharfschützen eingesetzt werden, die einfach die Menschen niederschießen. Das ist sehr, sehr schlimm und ich glaube, das Wort "Sanktionen" gegen ein solches Phänomen ist ein schwaches Wort. Das Wichtigste ist, glaube ich, dass wir alles tun in der internationalen Gemeinschaft jetzt, dass dieses Massaker aufhört. Wir haben die Pflicht, glaube ich, als internationale Gemeinschaft, dass hier Einhalt geboten wird, devoirs de gerance, wie die Franzosen sagen. Wir müssen uns darauf vorbereiten, glaube ich, wenn das nicht aufhört, dass ein UNO-Mandat zu Stande kommt, um die Menschen in Libyen zu schützen vor diesen Massakern.

    Armbrüster: Wie könnte so ein UNO-Mandat genau aussehen?

    Asselborn: Es ist ja gestern schon in der Nacht auch mit Hilfe der Deutschen im Sicherheitsrat ganz klar eine Erklärung zu Stande gekommen, dass dieses Massaker aufhören muss. Ich könnte mir auch vorstellen, dass zum Beispiel die UNO beschließt, sehr, sehr schnell, dass alle Flüge nach Libyen kontrolliert werden, damit nicht weitere Söldner hier in dieses Land eingeflogen werden, um eben, wie Sie das richtig gesagt haben, die Armee, die eine Schlüsselrolle auch in Libyen spielt – aber hier scheint das nicht wie in Tunesien und in Ägypten eine Verbrüderung mit dem Volk zu sein -, aber dass diese Söldner nicht ins Land hineinkommen. Das könnte ein zweiter Punkt sein. Dann ein dritter Punkt: die Arabische Liga hat, glaube ich, Verantwortung übernommen. Gestern haben die Botschafter der Arabischen Liga beschlossen, Libyen auszuschließen aus der Liga jetzt zu diesem Zeitpunkt. Und dass hier auch, wenn es nicht anders geht, dass man auch vor Ort wie gesagt die fundamentalste Menschlichkeit, dass man die gewährleisten kann.

    Armbrüster: Sollten wir uns möglicherweise darauf einrichten, dass auch ausländische Truppen, UNO-Truppen nach Libyen entsandt werden?

    Asselborn: Ich glaube, das ist Sache der UNO. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Welt, wenn man gestern diesen Leader da gesehen hat, dass die Welt da zuschauen kann, wie Hunderte, vielleicht morgen Tausende Menschen ganz einfach abgeschlachtet werden. Da muss Einhalt geboten werden mit den Mitteln, die, glaube ich, nur die internationale Völkergemeinschaft, die UNO, der Sicherheitsrat zur Verfügung hat.

    Armbrüster: Wir haben jetzt schon wieder viel über die UNO und die große globale internationale Politik gesprochen. Ich möchte noch einmal zurückkommen auf die Europäische Union. Warum waren deren Stimmen in den vergangenen Tagen so schwach? Wer blockiert da?

    Asselborn: Ich glaube nicht, dass blockiert wird. Wir haben am Montag in Brüssel eine ...

    Armbrüster: Wir haben, wenn ich Sie da unterbrechen darf, Herr Asselborn, immer wieder gehört, dass gerade die Mittelmeer-Länder, gerade Italien, Schwierigkeiten damit haben, deutliche Worte zu finden gegen Libyen. Stimmt das?

    Asselborn: Ich wollte jetzt eben darauf antworten. Wir haben in unserer Debatte natürlich Kenntnis genommen von zum Beispiel den Schwierigkeiten, die zum Beispiel ein Land wie Italien oder Malta oder vielleicht auch andere im Süden haben könnten mit dem Flüchtlingsstrom. Aber ich bin ja in der Sache ganz Ihrer Meinung, dass man wirtschaftliche Interessen, die man in diesem Land haben könnte, sogar das Öl und andere wichtige, sagen wir mal, vor allem ja das Öl und Gas, dass das nicht in die Wagschale gelegt werden kann, um eben Beziehungen mit einem Land, mit einem Tyrannen aufrecht zu erhalten, wo Bürger rücksichtslos abgeschossen werden. Da gebe ich Ihnen komplett recht. Darum ist das in der EU, glaube ich, auch nur eine Frage von Stunden, dass wir sagen, okay, Einreiseverbot, dass wir auch die Bankkonten einfrieren von Libyern, die da unverantwortlich handeln und im Gaddafi-Clan sind, dass wir auch, glaube ich, in der Europäischen Union ganz klar mit dem Süden, mit den Ländern der Mitte und aus dem Norden sehr, sehr schnell ein Einvernehmen finden, dass wir zeigen, dass wir hier zu reagieren haben. Es ist ja etwas anders als in Tunesien und in Ägypten. Ich hoffe, dass hier in dieser Übergangsphase in den beiden Ländern, dass wir da schon einen Schritt vorwärts sind. Eben in der Vorbereitung von fairen Wahlen, in der Vorbereitung einer demokratischen Gesellschaftsordnung, die in den beiden Ländern möglich ist, glaube ich, dass wir da uns aktiv einbringen können. Hier geht es jetzt wirklich in Libyen darum, diesen Schritt fertigzubringen. Das Volk allein in Libyen, so wie es aussieht, ist nicht dazu im Stande. Wir haben ja auch keine Bilder richtig aus diesem Land. Diese Grausamkeiten werden ja nur sporadisch uns berichtet. Wir sehen sie zwar, aber wir sehen ja nicht diesen Aufbruch, der in Tunesien und in Ägypten über die Fernsehkanäle kam. Wir sehen hier nur das absolut Unmenschliche, was sich da zuträgt, und ich glaube, das ist auch für uns Europäische Union, wenn wir jetzt mit Sanktionen da operieren gegenüber den Machthabern, ohne das Volk zu treffen, das scheint mir nicht das allerwichtigste zu sein. Wichtig ist natürlich auch die Rückkehr der vielen Menschen, die in Libyen zurzeit sich aufhalten.

    Armbrüster: Ja, Herr Asselborn. Viele Politiker auch hier bei uns in Deutschland sagen in dieser Situation, wir müssen jetzt unsere Grenzen stärker abschotten, weil wir in den nächsten Tagen und Wochen große Flüchtlingsströme erwarten können, vor allem aus Libyen, auch wenn tatsächlich das Regime dort fallen sollte. Ist das das richtige Vorgehen, jetzt die Grenzen weiter dicht zu machen?

    Asselborn: Die Grenzen, glaube ich, von Libyen zurzeit sind dicht, denn aus Bengasi kommt - - Das ist absolutes Chaos.

    Armbrüster: Aber Gaddafi hat ja schon gedroht: "Ich schicke die Flüchtlinge, wenn ihr wollt, übers Meer."

    Asselborn: Also Gaddafi ist, glaube ich, ein Subjekt, wo man nicht zu viel mehr glauben darf, was da gesagt wird. Aber das Problem ist ja zum Beispiel auch: Ich bin hier in der Türkei, 25.000 Türken sind zurzeit in Libyen. Es sind viele europäische Länder, die auch noch Menschen in Libyen vor Ort haben, die da arbeiten. Die müssen zurück, das ist ja auch eine Priorität, die darf man ja nicht vergessen. Und das andere, was alles danach kommt, wie es aussehen wird, wenn sich die Lage in Libyen beruhigt, da müssen wir zusammen schauen, was da zu tun ist. Libyen hat 4.000 Kilometer Grenzen mit den afrikanischen Ländern und sehr viele Menschen aus Afrika sind in Libyen gelandet, wurden auch zum Teil da als Söldner eingestellt. Das war eine der Bedingungen von Gaddafi, der hat davon profitiert. Wir müssen ja sagen, dass wir in der Europäischen Union selbstverständlich in keinem Land das Problem Afrikas lösen können. was wir aber tun müssen, das ist auch, als Europäische Union und in der NATO uns viel weniger mit militärischen Aufrüstungen zu beschäftigen, sondern dieses Geld, diese Energie, die wir haben, nehmen, damit wir den Menschen in Afrika eine andere Zukunft in ihrem Lande bieten können. Das ist, glaube ich, das fundamentale Problem und das fertig bringen heißt, sich mehr hinter das Erreichen der Millenniums-Ziele zu setzen.

    Armbrüster: Heißt das denn auch, dass wir zumindest kurzzeitig in Europa bereit sein müssen, auch zusätzliche Flüchtlinge auch in großer Zahl aufzunehmen?

    Asselborn: Also ich glaube, die Europäische Union müsste auch fähig sein, in einem gewissen Maße selbstverständlich Menschlichkeit, aktive Menschlichkeit zu zeigen. Allerdings wäre es ein großer Fehler, wenn wir den Menschen in Afrika vorspielen könnten, dass sie ein besseres Leben hätten, nur wenn sie in Europa wären, und dass wir das alles hier bewältigen könnten und ihnen die Garantie geben, dass sie vielleicht wie ihre Väter vorher, viele in Frankreich aus Marokko, aus Tunesien, aus Algerien, ihre Zukunft aufbauen können. Das ist leider, glaube ich, nicht mehr so einfach. Und darum diesen Menschen in ihren Ländern eine Perspektive zu geben, die Würde zu geben, dass sie dort leben können, das, glaube ich, da tun wir viel, viel zu wenig. Da müsste auch die Europäische Union viel stärker daran arbeiten. Das, glaube ich, ist das einzige Mittel, was wir dazu haben.

    Armbrüster: Hier bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk war das Jean Asselborn, der Außenminister von Luxemburg. Ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch, Herr Asselborn.

    Asselborn: Bitte, Herr Armbrüster!

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