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Asyl und Abschiebung
Rheinland-Pfalz gegen Seehofers Ankerzentren

Im Koalitionsvertrag stimmte die SPD der Forderung nach "Ankerzentren" für Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive noch zu. Doch jetzt wollen einige SPD-regierte Länder deren Einrichtung nicht mitmachen. Rheinland-Pfalz zum Beispiel, wo Flüchtlingshelfer sagen: Lager mit bis zu 1.500 Menschen würden Probleme nur vergrößern.

Von Anke Petermann | 07.06.2018
    Menschen in einem bayerischen Transitzentrum hinter Sicherheitszaun
    Menschen hinter Sicherheitszäunen - ein Transitzentrum in Bayern (picture alliance / dpa / Stefan Puchner)
    Einen abgelehnten Asylbewerber ins Herkunftsland zurückzuschicken, ist mühsam. So erklärt es die kommunale Ausländerbehörde in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Hermeskeil ihrem Chef, dem Landrat von Trier-Saarburg. Der CDU-Politiker Günther Schartz ist zuständig für die "AfA", derzeit mit knapp 500 Bewohnern die größte Erstaufnahme in Rheinland-Pfalz.
    "Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Hermeskeil sagen mir, 'Wir müssen uns anstellen bei der Bundespolizei, um irgendwann Kapazitäten zu bekommen, um abzuschieben. Wir müssen die Leute in der Einrichtung suchen gehen, weil die Reglements in der Einrichtung nicht so sind, dass sich die Leute dort aufzuhalten haben'. Das sind Beispiele aus der Praxis, die zeigen, dass es eine verzögerte Verfahrensweise gibt", die mit den Ankerzentren beschleunigt werden könnte, glaubt Landrat Schartz, der außerdem rheinland-pfälzischer CDU-Vize ist.
    "Denn nach den Vorschlägen von Minister Seehofer ist es ja so, dass die obere Ausländerbehörde, also die der Länder, vor Ort ist, dass die Bundespolizei vor Ort ist, dass man im Grunde alle Organisationen verbunden hat, die für den Flüchtling zuständig sind im Zusammenhang mit der Unterbringung und auch der Abschiebung. Es ist ja geplant, dort auch die Verwaltungsgerichte mit Außenstellen vorzuhalten. Und es würde sich aus meiner Sicht lohnen, das für Rheinland-Pfalz zu prüfen."
    Integrations-Staatsekretärin: Konflikte wären vorprogrammiert
    Doch die Mainzer Ampel-Koalition will keinen Testlauf.
    "Wenn man 18 Monate lang Menschen, die keine Perspektive mehr für sich haben, in Massenunterkünften zusammen unterbringt, sind Konflikte vorprogrammiert, im schlimmsten Fall Sicherheitsprobleme. Rheinland-Pfalz steht für Modellprojekte in diesem Bereich in keiner Weise zur Verfügung", stellt Integrations-Staatssekretärin Christiane Rohleder klar. Die Grünen-Politikerin legt nach:
    "Gesetzliche Verpflichtungen – denen kommen wir natürlich nach, aber ich halte von dem Konzept der Ankerzentren gar nichts. Wir stehen hierfür nicht zur Verfügung."
    Da gebe es auch keine Differenzen mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende hatte das Konzept als Teil des Berliner Koalitionsvertrags zwar mit ausgehandelt. Doch die Zusammenarbeit von Behörden organisiere Rheinland-Pfalz in der Erstaufnahme bereits effektiv, da sind sich Ministerpräsidentin und Staatssekretärin einig. Nur dass die Sozialdemokratin Dreyer die Ablehnung der geplanten Ankerzentren weicher formuliert. Sie sehe schlicht keinen Handlungsbedarf:
    "Menschen, die ganz offensichtlich keinen Anspruch haben, hier zu bleiben, führen wir aus der Erstaufnahme unmittelbar zurück."
    In 42 Prozent der Fälle.
    "Und trotzdem nehmen wir Rücksicht auf die Situation von Menschen, die vielleicht auch nicht auf Dauer bei uns bleiben können, aber von denen klar ist, dass sie eben nicht unmittelbar zurückgeführt werden können."
    Ob Flüchtlinge eingesperrt werden, ist unklar
    Wie die 40 Prozent der abgelehnten Asylbewerber, die von ihren Heimatländern nicht aufgenommen werden. Im Ankerzentrum dagegen sollen solche Menschen bis zu anderthalb Jahre untergebracht werden. Pro Zentrum bis zu 1.500 Flüchtlinge – dazu verdonnert durch Wohnsitzauflagen. Ob ihr Ausgang reglementiert wird, damit die Ausländerbehörde jederzeit Zugriff hat: noch offen. Klar ist: Grundsätzlich liefert ein Asylantrag keine rechtlichen Gründe für Freiheitsentzug. Doch Hausrechte könnten Restriktionen festschreiben.
    Drei Frauen und ein Kinderwagen auf der Straße vor einem bayerischen Transitzentrum für Flüchtlinge, im Hintergrund Radfahrer, weitere Menschen und ein Mannschaftswagen der Polizei
    Freiheitsentzug ist nur auf Basis einen Asylantrags in Deutschland nicht möglich (picture alliance / dpa / Stefan Puchner)
    Sozial-, Kinderschutz- und Flüchtlingsverbände bundesweit laufen Sturm gegen Massenunterkünfte für Hoffnungslose. Auf dem Rheinland-Pfalz-Fest in Worms schütteln Mitglieder des örtlichen Helferkreises den Kopf über Horst Seehofers Konzept. Flüchtlingsbetreuer Hossein Sadat-Darbandi erklärt es einem jungen afghanischen Flüchtling.
    Muhamad Husain Kodabi kam 2015 nach Deutschland, bekam 2017 eine Asyl-Ablehnung, wurde aber wegen der instabilen Lage in Afghanistan nicht abgeschoben. Bei seiner Anhörung sei er falsch übersetzt worden, glaubt der 22-Jährige und legte Widerspruch ein. Derzeit wartet er auf einen Gerichtstermin, schließt bald die zehnte Klasse ab und sucht einen Ausbildungsplatz. Deutsch hatte zuvor mit ehrenamtlichen Helfern gelernt. Von den Ankerzentren hat er soeben erstmals gehört. Spontan lehnt er ab.
    "Dass Menschen in einem Ort bleiben, der genau wie ein Gefängnis ist. Ich denke, es ist besser, frei lassen, und Kontakt haben, die Kultur lernen, die Sprache lernen."
    Hätte es 2015 schon Ankerzentren gegeben, hätte der damals schon Volljährige keinen Schulabschluss machen und kein Deutsch lernen können. Hossein Sadat-Darbandi vom Helferkreis Worms sieht es so:
    "Hier sind einige hundert Leute, und diesen können wir helfen. Später im Ankerzentrum, da haben wir die Möglichkeit nicht."
    Flüchtlingshelfer: "Man will einfach die Zahlen runterdrücken"
    Sollen die Neuankömmlinge mit Absicht isoliert werden? Sadat-Darbandi zuckt die Schultern.
    "Ich weiß es nicht. Die gehen mit der Sache sehr mechanisch vor. Und nicht menschlich. Ich sammele Leute in einer Ecke, dann abgelehnt, abgeschoben. Aber das hat mit Menschenwürde und Menschlichkeit nichts zu tun. Man will einfach die Zahlen runterdrücken."
    Der Landrat von Trier-Saarburg hält dagegen. Unabhängige Verfahrensberatung und Sozialbetreuung gehörten mit zu den Ankerzentren, sagt Günther Schartz. Doch in Hermeskeil mit 5.000 Einwohnern eines anzusiedeln, dem würde nicht gleich zustimmen.
    "Mit der kleinstädtischen Struktur. Das muss man einfach auch das sehen: Was verkraftet ein Sozialsystem vor Ort, wenn solche Einrichtungen kommen. In Trier haben wir ja immer schon eine große Einrichtung schon gehabt, da fällt das dann weniger auf."
    Auftakt also zu einer neuen Diskussions-Variante: Ankerzentrum ja, aber besser woanders.