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Asylentscheidungen in Deutschland
Unvorbereitet, alleingelassen oder missverstanden

Ob wegen Armut, Krieg oder politischer Verfolgung, immer mehr Menschen kommen nach Deutschland. Die Entscheidung, wer bleiben darf und wer nicht, ist in jedem Fall schwierig. Viele Verfahren dauern Monate. Anwälte kritisieren, dass es zunehmend eine Diskussion über "gute" und "schlechte" Flüchtlinge gebe.

Von Swantje Unterberg | 03.05.2015
    Flüchtlinge sitzen auf Feldbetten in einem Zelt der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen.
    Wenn die Kapazitäten der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen ausgelastet sind, müssen Neuankömmlinge in Zelten untergebracht werden. (picture alliance / dpa/ Boris Roessler)
    "Ich komme aus Syrien und habe hier Asyl beantragt. Ich warte seit drei oder vier Stunden; erst draußen, jetzt drinnen."
    "Aus Kosovo. Weil, ich habe paar Schwierigkeiten da unten und meine Tochter ist auch sehr krank. Wir haben keine Ärzte für diese Krankheit da."
    "Ich und mein Mann sind aus Pakistan. Die Situation in unserem Land war für uns lebensbedrohlich, besonders für meinen Mann. Deshalb mussten wir hier herkommen und Asyl beantragen. Wir sind seit sechs Uhr morgens hier und müssen bis vier oder fünf auf unseren Termin warten."
    Ob der Bürgerkrieg, die schwerkranke Tochter oder die Angst vor Verfolgung Gründe sind, in Deutschland Asyl zu erhalten? Über die Anträge des Syrers Abdul, des Kosovaren Oka und der Pakistanerin Batul werden die Entscheider im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge urteilen. Der Weg ins Asylverfahren beginnt für die meisten Flüchtlinge in Berlin aber in der Zentralen Erstaufnahmestelle des Landesamts für Gesundheit und Soziales. Meldung, Unterkunft, Krankenschein, Taschengeld – für all das sind die Länder und Kommunen zuständig. Die Flüchtlinge müssen für diese Leistungen lange Wartezeiten auf sich nehmen. Vor dem zehnstöckigen grauen Plattenbau in Berlin-Moabit bildet sich schon frühmorgens eine lange Schlange. "Die Schlange sieht auch noch bis 14 Uhr genauso aus. Immer Neue und immer Neue."
    Notdürftig wird Platz geschaffen
    In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der nach Deutschland Geflüchteten stark gestiegen, von 28.000 im Jahr 2008 auf rund 200.000 Asylsuchende 2014. Dieses Jahr wird ein weiterer Anstieg auf 300.000 Flüchtlinge erwartet. Die Stadt Berlin hat notdürftig Raum geschaffen, um den Andrang zu bewältigen.
    In einem Zelt des Arbeiter-Samariter-Bundes vor dem Plattenbau warten die Neuankömmlinge. Es ist eng, kalt und zugig, auf der staubigen Erde stehen ein paar Biertischgarnituren, dazwischen Rollkoffer, Taschen und Rucksäcke. Hinter dem Plattenbau stapeln sich zusätzliche Bürocontainer für die Flüchtlinge, die bereits gemeldet sind. Bis zu 1.500 Personen ziehen hier täglich eine Nummer: "Ich habe 1597. Ab und zu geht 1539 zum Beispiel, dann kommt 5000, dann kommt 2118, also gemischt, das geht nicht in der Reihe."
    Nicht jeder, der in Berlin ankommt, bleibt auch in Berlin. Die Bundesländer haben Quoten, die festlegen, wer wie viele Flüchtlinge aufnehmen muss. Laut diesem Königsteiner Schlüssel ist Berlin für fünf Prozent aller Asylbewerber zuständig, auf Nordrhein-Westfalen kommen etwa 21 Prozent, auf Sachsen-Anhalt knapp drei. Die Quote richtet sich nach den Steuereinnahmen und der Bevölkerungsgröße der Länder. Doch ganz gleich, wohin es für die Asylsuchenden letztendlich geht, alle Länder sprechen von Überlastung. Der Leiter der Berliner Behörde, Franz Allert: "Wir machen laufend neue Unterkünfte auf. Das reicht nicht, wir sind schon wieder bei den nächsten. Das ist eine große Problematik, dass wir nicht in angemessenem Umfang Unterkünfte zur Verfügung stellen können."

    Wie groß das Problem ist, macht ein Spitzentreffen bei Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich. Am kommenden Freitag wird sie mit den Ministerpräsidenten und dem zuständigen Bundesinnenminister de Maizière über den Umgang mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen beraten.
    Aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge kommen an Bord eines italienischen Marineschiffes in Salerno an.
    Aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge kommen an Bord eines italienischen Marineschiffes in Salerno an. (picture alliance / dpa / Ciro Fusco)
    Situation in den Herkunftsländern wird beobachtet
    Das Land Berlin sucht unterdes weitere Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Im Auftrag der Stadt wurden Klassenzimmer und Büroräume belegt, Container aufgestellt und sogar sieben Sporthallen beschlagnahmt. Dort schlafen zwischen 50 und 250 Menschen, dicht an dicht, auf Feld- oder Doppelstockbetten.
    "Nun, ich glaube, dass die Entwicklung in den letzten zwei, drei Jahren unterschätzt wurde", sagt Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag: "Dass man teilweise nicht drauf vorbereitet gewesen ist, was tatsächlich hier passiert, welche Entwicklung eintritt, wir hatten ja in den Jahren zuvor sehr geringe Asylbewerberzahlen."
    Dabei hat das zuständige Bundesamt die Flüchtlingsströme genau im Blick: Es beobachtet die Situation in den wichtigsten Herkunftsländern, bekommt Informationen vom Auswärtigen Amt, Polizeibehörden und dem Bundesnachrichtendienst. Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge: "Versetzen Sie sich mal acht Wochen zurück: Hätte einer von Ihnen damit gerechnet, dass der albanische Mittelstand, das Kosovo, sich innerhalb von acht Wochen in Bewegung setzt, und über 23.000 Kosovaren im Bundesgebiet sind? Denken Sie mal eineinhalb Jahre zurück: Hätten Sie damit gerechnet, dass der IS weite Teile des Iraks besetzt? Das sind Schwierigkeiten der Prognose."
    Für die Rahmenbedingungen beim Bundesamt jedoch ist die Bundesregierung zuständig: Sie setzt in der Flüchtlingspolitik zum einen auf mehr Personal und beschleunigte Verfahren, um den Andrang bewältigen zu können. Zum anderen auf schärfere Gesetze, um Flüchtlinge von einer Einreise abzuhalten und die Zahl der Asylsuchenden so zu reduzieren.
    Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken, kritisiert, dass man eigentlich auch hier viel zu spät Personalaufstockungen vorgenommen hat." Das Bundesamt hat bis heute 650 neue Stellen bewilligt bekommen, ein Zuwachs von fast 70 Prozent. Doch das reicht nicht: Ende März war die Behörde mit fast 200.000 Asyl-Verfahren im Rückstand, 98 Prozent mehr als im Vorjahr. Laut dem SPD-Politiker Lischka sollen bei den anstehenden Haushaltsberatungen weitere Stellen bewilligt werden. "Der Bund wird sich auch hier seiner Verantwortung stellen."
    Es werden Prioritäten gesetzt
    Das Amt versucht unterdes, nicht noch weiter in den Rückstand zu geraten. Die Verfahren werden deshalb beschleunigt – für ausgewählte Länder. "Deswegen haben wir gesagt, wir konzentrieren uns einmal auf die sicheren Herkunftsländer Serbien, Bosnien. Mazedonien plus jetzt Kosovo, um da relativ schnell zu entscheiden", sagt Bundesamtspräsident Schmidt. "Und im Bereich Syrien und Irak haben wir die Prioritäten so gesetzt, dass wir irakische und syrische Flüchtlinge etwa in elf Tagen entscheiden können."
    Priorisierung heißt das im Fachjargon und ist – statistisch gesehen – erfolgreich. 5,5 Monate dauert das Asylverfahren von der Anhörung bis zur Entscheidung durchschnittlich, deutlich kürzer als noch im Vorjahr.

    Schon eine Woche nach der Ankunft hatte er seine Anhörung, erzählt der Syrer Abdul. Seine Chancen auf Asyl stehen gut. Die Pakistanerin Batul dagegen hat das Nachsehen, denn die bevorzugte Behandlung von Asylanträgen aus Bürgerkriegsländern wie Syrien oder Irak geht auf Kosten der anderen Antragsteller. Die warten laut einer Berechnung von Pro Asyl über 14 Monate auf eine Entscheidung. Für den Kosovaren Oka kann die Beschleunigung der Bearbeitungsdauer nachteilig sein, denn seine Chancen auf Asyl stehen schlecht: Flüchtlinge vom Westbalkan gelten nämlich als Armutsmigranten. "Ich habe einen Anwalt, und warte was kommt."
    Serbien, Bosnien und Mazedonien wurden von der Großen Koalition aus Union und SPD bereits als sogenannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Geht es nach der CSU, soll bald auch das Kosovo auf der Liste stehen. Das heißt: Die Bundesregierung nimmt an, dass in diesen Ländern keine politische Verfolgung droht. Asylanträge dieser Flüchtlinge werden deshalb in einem vereinfachten Verfahren behandelt.
    Armutsflüchtlinge sollen keine Anträge stellen
    Die persönlichen Anhörungen beim Bundesamt ist dadurch lediglich etwas kürzer geworden, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken. Die Berliner Asylanwältin Berenice Böhlo aber sagt: Die Entscheider hätten klar im Kopf, dass es sich hier um Armutsmigranten handelt – und urteilten über die Anträge entsprechend. Leidtragende seien vor allem Roma, die etwa die oft entscheidende Frage, ob sie Probleme mit der Polizei hatten, weit von sich weisen. "Für die Antragsteller ist das vom Verständnis her so, als ob sie gefragt werden: Sind Sie mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Das heißt, haben Sie geklaut oder sonst was? In den Entscheidungsgründen im Bescheid liest man dann, die Antragsteller selbst haben nicht behauptet, jemals durch die Behörden ihres Landes verfolgt worden zu sein."
    Der SPD-Politiker Lischka hält die generelle Annahme, dass in diesen Staaten keine politische Verfolgung droht, hingegen "für gerechtfertigt, weil bei den Staaten hatten wir in der Vergangenheit eine Anerkennungsquote deutlich unterhalb von einem Prozent."
    Genutzt hat es bislang nichts: Laut einer Kleinen Anfrage der Grünen ist die Anzahl der Asylanträge aus diesen sicheren Staaten deshalb nicht signifikant zurückgegangen. Trotzdem will das zuständige Bundesinnenministerium noch einen Schritt weiter gehen: Sogenannte Armutsmigranten sollen davon abgehalten werden, einen Asylantrag zu stellen. Das sieht der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vor, der derzeit im Bundestag verhandelt wird. Das Innenministerium erklärt: "Als offensichtlich unbegründet abgelehnte Asylbewerber müssen befürchten, zukünftig an der Schengen-Außengrenze zurückgewiesen zu werden."

    Ein älterer Versuch, die Flüchtlinge schon in den EU-Grenzländern abzufangen, ist hingegen weitgehend gescheitert. Dublin III heißt die gültige EU-Vereinbarung, laut der Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssen, in dem sie das erste Mal europäischen Boden betreten. Doch viele Flüchtlinge halten sich nicht an die Dublin-Verordnung, etwa 20 Prozent sind – wie der Syrer Abdul – nachweislich über ein anderes EU-Land nach Deutschland eingereist. "Es war sehr schwierig und sehr beschämend. In Ungarn hat uns die Polizei aufgegriffen und gesagt, wir müssen unsere Fingerabdrücke abgegeben. Wir haben uns widersetzt, wir wollten kein Asyl in Ungarn beantragen. Sie haben uns gezwungen, sie haben uns geschlagen: Sie müssen Ihre Fingerabdrücke abgeben. Die Polizei in Ungarn ist sehr schlimm, wirklich."
    Eine Frau verabschiedet sich am Busbahnhof von Pristina, Kosovo. Der Bus fährt nach Belgrad; von da aus reisen die Flüchtlinge über die ungarische Grenze aus.
    Eine Frau verabschiedet sich am Busbahnhof von Pristina, Kosovo. Der Bus fährt nach Belgrad; von da aus reisen die Flüchtlinge über die ungarische Grenze aus. (picture alliance / dpa / Valerie Plesch)
    Lage in viele EU-Staaten nicht zufriedenstellend
    Die Zustände in manchen Grenzländern sind laut Pro Asyl und einiger Verwaltungsgerichte katastrophal. In Italien leben viele Flüchtlinge mittellos auf der Straße, in Ungarn werden Asylsuchende meist inhaftiert. Nach Griechenland dürfen Flüchtlinge nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs wegen massiver Menschenrechtsverletzungen gar nicht mehr abgeschoben werden. Diese Zustände findet zwar auch das CDU-geführte Bundesinnenministerium "nicht in allen Mitgliedstaaten zufriedenstellend."
    Und fordert einheitliche Standards in der EU. Für die eigenen Standards sieht das Ministerium aber offensichtlich noch Spielraum – nach unten. Der neue Gesetzentwurf präzisiert die Haftgründe für Flüchtlinge, und fügt ihnen neue hinzu: Künftig sollen Flüchtlinge nicht mehr nur zur Abschiebung inhaftiert werden können, sondern auch, wenn sie ihre Identität verschleiern oder einen Schleuser bezahlt haben. Eine weitere Abschreckungsmaßnahme, sagt die linke Oppositionspolitikerin Jelpke: "Dort, wo Flüchtlinge sich versammeln, vor allem auch an der nordafrikanischen Küste, soll man sich gegenseitig erzählen, wie schlimm es in Deutschland ist."
    Auch der SPD-Innenexperte Lischka meldet bereits vorsichtig Kritik am Entwurf des CDU-geführten Innenministeriums an, da "sehr viele Menschen, die es bis nach Deutschland schaffen, nur dadurch hier hingekommen sind, dass sie Geldbeträge an Schleuser zahlen mussten."

    "Nächste Station: Spandau. Endstation. Bitte alle aussteigen. Attention please."
    Eineinhalb Stunden Fahrt von Berlin-Mitte entfernt hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine seiner 28 Außenstellen. Hier, in einem entlegenen roten Backsteinbau, urteilen 17 von bundesweit 391 sogenannten Entscheidern über Asylanträge. Jeder von ihnen hat Monat für Monat über bis zu 50 Flüchtlingsschicksale zu entscheiden. Eine der Sachbearbeiterinnen ist Katrin Dölz, 48 Jahre alt, seit 25 Jahren im Beruf. "Bei der Anhörung wird erst noch mal die Belehrung gemacht, paar Einführungsworte gesagt, ob man gut hergekommen ist und ein bisschen Wasser angeboten, da steht's noch. Dann gibt es ein paar Fragen zur Schulbildung, also so Einstiegsfragen, wie der Reiseweg war. Und dann geht’s um die Asylgründe. Dann lass ich mir die Asylgründe von dem Antragsteller erst mal vollständig schildern und stelle dann entsprechende Nachfragen."
    Es zählt die Schilderung
    Auf Grundlage dieser einmaligen Anhörung prüft Dölz, ob gesetzlich anerkannte Asylgründe vorliegen – wie politische Verfolgung, Zugehörigkeit zu einer unterdrückten sozialen oder ethnischen Gruppe oder krankheitsbedingte Abschiebungsverbote. Und ob die Geschichte des Flüchtlings glaubwürdig ist. Auf handfeste Beweise kann das Amt meist nicht setzen. Also zählt: Ist die Schilderung der Antragsteller detailreich und plausibel: "Es ist ganz oft, dass ich sogar aus einem Land zwei Anhörungen habe, wo ein ähnlicher Vortrag ist, und der eine, der erzählt das ganz oberflächlich und pauschal, wie man so was nacherzählt, wenn man es gehört hat. Und ein anderer erzählt es im Grunde ähnlich, aber er hat es erlebt und das ist ganz anders, was er erzählt, was er für Worte wählt, wie er auch sich benimmt. Ich diktiere das auch mit wie die Körpersprache ist, also wenn er anfängt zu weinen oder wenn er zusammenbricht oder nestelt an seinem Taschentuch, und da sieht man dann schon auch die Unterschiede."

    Manchmal reichen laut Dölz schon grundlegende Landeskenntnisse aus, um die Glaubwürdigkeit zu überprüfen. "Wenn er sagt, er ist von da nach da gegangen, und das sind aber 900 Kilometer Unterschied, dann kann man gleich sagen, ne, das geht aber nicht."
    Das Amt schult seine Entscheider für bestimmte Länder: Dölz ist für Russland, Syrien, den Irak, die Türkei, Somalia, Eritrea und die Westbalkanländer zuständig. Landesspezifische Detailinformationen findet sie in einer umfangreichen Datenbank. Und Verbindungsbeamte im Ausland überprüfen für sie vor Ort, ob etwa ein Wohnhaus – wie angegeben – wirklich abgebrannt ist. Bei einem Flüchtling ohne Papiere wird anhand des Dialekts analysiert, ob er tatsächlich aus dem angegeben Land stammt. Ob ein Asylsuchender krank ist, Folter, Vergewaltigung oder Misshandlung erlitten hat, muss im Zweifelsfall ein Arzt attestieren. Egal wie dramatisch die Geschichte der Flucht ist, von Katrin Dölz wird verlangt, dass sie neutral bleibt: "Wenn ich auch anfange zu weinen, dann würden die keine Sicherheit mehr haben. Das ist ja für die eine Sicherheit, dass der da weiß: Ich kann das hier erzählen und der erträgt das, der da vor mir sitzt."
    Die 13-jährige Razan Tamim aus Homsk in Syrien Deutschunterricht für Flüchtlingskinder in der Fritz-Reuter-Schule in Parchim (Mecklenburg-Vorpommern).
    Ein syrisches Flüchtlingsmädchen während des Schulunterrichts in Parchim (Mecklenburg-Vorpommern). (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
    Richtig antworten kann nur, wer die Fragen versteht
    Der Syrer Abdul hat die Anhörung bereits selbst erlebt. "Es war wirklich nicht gut, es war sehr voll und der Übersetzer wollte schnell fertig werden. Ich konnte ihnen meine Geschichte nicht exakt erzählen. Ja, ja, weiter, weiter, schnell bitte. Das war nicht gut für mich. Ich verstehe, dass sie total überrannt werden."
    Zu schnell, unvorbereitet und allein gelassen, durch sprachliche oder kulturelle Barrieren missverstanden: Berenice Böhlo kennt die Kritikpunkte am Verfahren durch ihre Arbeit als Asylanwältin. Nur einmal, in einer einzigen mündlichen Anhörung, hätten die Flüchtlinge die Möglichkeit, ihre Asylgründe zu schildern. Doch kaum einer weiß, wie das Verfahren abläuft: "Der Entscheider beim Bundesamt - vollkommen unabhängig davon, ob der nun freundlich ist oder nicht, ob der engagiert ist oder nicht -, der hat unglaublich viel zu tun. Der möchte auch in die Mittagspause, der fragt Sie einmal, gibt es noch weitere Gründe, wollen Sie noch etwas hinzufügen? Und wenn Sie da nicht richtig antworten, dann ist das Interview zu Ende, dann ist die Anhörung beendet."
    Richtig antworten kann nur, wer die Fragen versteht. Dafür zuständig ist der Sprachmittler, wie der nicht vereidigte Übersetzer beim Bundesamt heißt. Doch Arabisch ist nicht gleich Arabisch, es gibt viele verschiedene Dialekte. So kann es laut Böhlo zu gravierenden Missverständnissen kommen, wenn der Übersetzer nicht denselben Dialekt spricht wie der Antragsteller. "Und dann steht im ablehnenden Bescheid: Auch auf Nachfrage war der Antragsteller nicht in der Lage, seinen Vortrag detaillierter vorzutragen."
    70 Prozent werden rausgekickt
    Auch, wenn die Flüchtlinge gegen die Ablehnung noch klagen können: In der Regel stellen die Entscheider mit ihrem Urteil die Weichen für die Zukunft der Flüchtlinge. Am Ende steht ein Aufenthaltstitel oder der Ausreisebescheid, ein Leben in Deutschland oder die Abschiebung ins Herkunftsland. Belastet die Entscheiderin Katrin Dölz so viel Verantwortung? "Wenn das wirklich stimmt, wenn ich davon betroffen bin, dann glaube ich dem ja auch. Und dann denke ich mir auch, ich kann dem ja helfen, indem ich ihn hier lasse. Und wenn ich's nicht glaube, dann betrifft oder belastet es mich auch nicht so sehr."
    Im vergangenen Jahr wurde ein Drittel der Flüchtlinge anerkannt, ein Drittel abgelehnt. Und bei einem weiteren Drittel hat sich das Verfahren aus formellen Gründen erledigt, etwa weil der Betroffene in ein anderes EU-Land abgeschoben wurde. Aus dem Mund des Bundesamtspräsidenten Schmidt klingen diese Entscheidungen nach einem rationalen Verwaltungsakt. "Es gibt staatliche Entscheidungen, die werden gerichtlich überprüft, und dann steht ein rechtsstaatliches Ergebnis fest."
    Die Flüchtlingsanwältin Böhlo hingegen beobachtet mit Sorge eine zweigleisige Entwicklung in den Asylverfahren: "Jetzt wird so ein bisschen eine Diskussion aufgemacht, guter Flüchtling, schlechter Flüchtling. Und ohne mit der Wimper zu zucken, werden 70 Prozent da relativ rausgekickt. Entweder über das Dublin-Verfahren oder sichere Herkunftsländer, oder weil sie nicht zu diesem priorisierten Personenkreis gehören. Und das finde ich als Entwicklung unheimlich problematisch. Wir haben nicht gute und schlechte Flüchtlinge."
    Gut und schlecht, das sind keine amtlichen Entscheidungskategorien. Die Aussichten der Flüchtlinge aber treffen sie: Für den Syrer Abdul sieht es gut aus, dass er in Deutschland Schutz bekommen wird. Die Chancen des Kosovaren Oka stehen hingegen schlecht: Trotz der wirtschaftlich katastrophalen Lage, Armut ist ein schlechter Fluchtgrund. Er wird wegen seiner Tochter wohl maximal mit einem krankheitsbedingten Abschiebeverbot rechnen können. Und die Pakistanerin Batul muss wohl vor allem noch eines: Warten.