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Asylpolitik
Wenn Flüchtlinge ausreisen wollen - und nicht dürfen

Manche Asylbewerber entscheiden sich während des laufenden Verfahrens, doch nicht mehr in Deutschland zu bleiben. Einfach ausreisen, das geht aber nicht. Denn der Pass liegt oft in einer Behörde, und die gibt ihn nicht immer so schnell wieder zurück. So kann sich die Ausreise über Monate hinziehen, wie Fälle in Bautzen zeigen.

Von Bastian Brandau | 04.02.2016
    Syrische Flüchtlinge sitzen am 31.01.2016 im Wartezentrum für Flüchtlinge beim Fliegerhorst in Erding (Bayern) und warten auf ihre Registrierung
    Wer als Asylbewerber wieder ausreisen will, braucht Zeit und Geld (Symbolbild). (dpa/Gebert)
    Die Szene hat etwas von Freizeit in einer Jugendherberge. Vor der Rezeption schauen junge Männer auf ihre Smartphones. Kinder laufen spielend durch die Gegend. Eine Mutter versucht, ihre Tochter einzufangen. Seit 20 Monaten ist das Spreehotel in Bautzen eine Unterkunft für Asylbewerber.(*) Etwa 240 Menschen leben hier.
    "Das war mal das Restaurant, das ist so eine Art Aufenthaltsraum, wir haben hier einen kleinen Shop eingerichtet" Hotelbesitzer Peter Rausch zeigt die Aufenthaltsbereiche, die Küche, die Zimmer. Zwei bis drei Personen pro Raum mit eigenem Bad, das sei entscheidend für den sozialen Frieden in seiner Einrichtung.
    Rausch, Typ freundlicher Knurrer mit Dreitagebart, hat sich für die Umwandlung entschieden, weil sein Hotel nicht gut lief. Als Leiter der Erstaufnahme-Einrichtung stößt er jedoch regelmäßig an praktische Grenzen. Lange Bearbeitungszeiten für Asylanträge sind das eine. Auch wenn sich Menschen entscheiden, Deutschland zu verlassen, etwa wenn sie merken, dass ihr Antrag auf Asyl keine Chance hat, gibt es Probleme:
    "Es gibt also die Sorge, dass die BAMF wenn jemand ausreisen will, zwischen einem und vier Monaten braucht, den Pass zu finden. Ist der Pass dann endlich da, dann sagt die Ausländerbehörde in Kamenz, die zuständige, jawohl, der Pass von XY ist vorhanden, XY soll sich bitte vorstellen mit einem gültigen Reiseticket."
    Sparen für das Ticket
    Das aber kostet je nach Zielland mehrere hundert Euro - die die wenigsten Flüchtlinge parat haben. Und so warten sie auf die nächste Zahlung zu Monatsbeginn, um das Geld anzusparen. So vergehen oft weitere Wochen. Natürlich gehe es mitunter auch schnell, dann sei der Pass, den das BAMF bei jedem Asylbewerber zur Überprüfung der Identität einzieht, nach einer Woche da. Ein Ausreiswilliger aber, sagt Rausch, habe viereinhalb Monate gewartet.
    "Wir waren dann am Schluss so verzweifelt, dass wir den Landtagsabgeordneten der CDU, der uns wohlgesonnen ist, der hat sich eingeschaltet. Der hat dann irgendwie mit irgendwelchen Listen und Tücken Gott sei dank diese dämlichen Pässe besorgt. Aber wenn man schon sofort gehen muss, dann weiß ich auch nicht, wie das System funktionieren soll."
    Das System, das beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Rücknahmeerklärung heißt. Denn wenn jemand freiwillig ausreisen will, zieht er formell seinen Asylantrag zurück. "Das Bundesamt setzt sich dann mit der zuständigen Ausländerbehörde in Verbindung und der Einstellungsbescheid wird dann zusammen mit den Papieren an die Ausländerbehörde geschickt. Die Ausländerbehörde händigt den Pass dem Antragsteller aus."
    Auf die Nachfrage, wie lange diese dauern kann, schreibt das BAMF: "In Einzelfällen ist es denkbar, dass die Übersendung der Pässe einige Zeit in Anspruch nimmt, wenn beispielsweise eine Überprüfung auf Echtheit des Dokumentes veranlasst wurde. In der Regel werden jedoch die Dokumente so schnell als möglich zur Verfügung gestellt. Zum Teil befinden sie sich zum Zeitpunkt der Anfragen nicht mehr in der Außenstelle, da sie bereits der zuständigen Ausländerbehörde übergeben wurden."
    Kleine Fehler verhindern die Ausreise
    In den vergangenen zwölf Monaten, sagt Peter Rausch, habe es etwas 35 bis 40 Ausreisewillige gegeben. Die fast ausschließlich vom Balkan stammen. Aktuell bemüht sich ein Albaner seit drei Monaten um seine Rückreise. Seine in Italien geborene Tochter braucht einen Reisepass, den hat sie nun endlich bekommen.
    "Jetzt hat der gute Mann einen Riesenfehler gemacht. Und hat gesagt er ist bereit - die Pässe sind jetzt auch alle da - jetzt hat er einen kapitalen Fehler gemacht. Er hat gesagt, er möchte zum kommenden Wochenende ausreisen. Jetzt hat natürlich die Ausländerbehörde zurecht ihm das Geld gekürzt weil die wissen, er ist ja nur noch eine Woche da. Jetzt hat er aber nur 128 Euro bekommen. Davon kann er sich aber kein Ticket kaufen."
    Für ihn und seine Familie bedeutet das: Statt schneller Ausreise erneut der Gang zur Behörde. "Das heißt, er ist gerade wieder in Kamenz und versucht über irgendwelche Zuschüsse, in circa 14 Tagen das Ticket zu bekommen. Das heißt aber, in 14 Tagen hat er für eine fünfköpfige Familie 128 Euro. Das wird nicht reichen, zumal er ja noch zu dem Flughafen kommen muss, wo auch immer der ist. Das funktioniert nicht, wir machen es den Leuten echt schwer, und das ist etwas, was ich echt kritisieren muss."
    Rückkehrer-Beratung in Sachsen
    Dabei hat Sachsen im Dezember erst eine Rückkehrer-Beratung gestartet, für Ausreisewillige. Für eine Bilanz sei es noch zu früh, sagt Innenminister Markus Ulbig. Der CDU-Politiker lässt regelmäßig Pressemitteilungen verschicken, in denen stolz die Abschiebung von Asylbewerbern verkündet wird. 2015 kamen knapp 70.000 Asylbewerber nach Sachsen. Es gab 1.725 Rückführungen, davon 940 Abschiebungen und 785 behördlich überwachte Ausreisen. Und bei denen, die freiwillig gehen wollen, wird die Reise durch Behörden verzögert?
    "Ich hoffe, dass solche Fälle bald der Vergangenheit angehören. Wir in Sachsen haben derzeit ein Modellprojekt laufen mit dem DRK, wo es also Menschen gibt, die einerseits beraten, Ausreisepflichtige oder Menschen, die in ihr Heimatland zurückreisen wollen. Andererseits bei bürokratischen Hürden behilflich sind."
    "Bürokratischer sechsfacher Rittberger"
    Denn Hürden gibt es nach wie vor. Soeben ist der albanische Familienvater von der Ausländerbehörde in Kamenz zurückgekehrt. Mit dem Rückkehrer-Programm könnte der Flug für ihn und seine Familie finanziert werden. Aber so ganz einfach ist das nicht.
    "Er muss beantragen, dass das Flugticket bezahlt wird. Das wird ungefähr zwei Wochen in Anspruch nehmen. Das heißt, wir müssen jetzt wieder das Paket aufmachen und müssen aus den 128 Euro dementsprechend mehr machen, dass eine fünfköpfige Familie nicht eine Woche, sondern drei Wochen damit auskommen kann. Das ist wieder bürokratischer sechsfacher Rittberger eingesprungen und gestürzt."
    Beratungsteams sollen in die Einrichtungen kommen, so sieht es das Rückkehrer-Programm des Innenministeriums vor. Ein Back-Office-Team soll sich um die Formalien kümmern. Damit wer ausreisen will, dies auch tatsächlich umgehend kann. Schaut man sich die Situation in Bautzen an, wirkt das reichlich theoretisch. Immerhin: die Außenstellen des BAMF in Sachsen werden personell gerade verstärkt. Dann soll alles schneller gehen. So zumindest lautet der Plan.

    (*) Anm. d. Red.: In der gesendeten Fassung des Beitrags ist an dieser Stelle irrtümlich von einer "Erstaufnahme-Einrichtung für Asylbewerber" die Rede.