Donnerstag, 25. April 2024

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Asylstreit in der Union
"Es deutet im Moment nichts auf Deeskalation hin"

Ein großer Knall im unionsinternen Asylstreit würde auf allen Seiten nur Verlierer produzieren, sagte der Siegener Politikwissenschaftler Martin Florack im Dlf. Jetzt seien alle Parteien gefordert, "die Kuh noch vom Eis zu bekommen". Bisher habe jedoch noch niemand die Reißleine gezogen.

Martin Florack im Gespräch mit Martin Zagatta | 26.06.2018
    Horst Seehofer, CSU-Vorsitzender und Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, läuft auf seinem Weg zu einer Pressekonferenz, die in Anschluss an die Sitzung des CSU-Vorstands stattfindet, an einem Fernseher vorbei, auf dem die Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übertragen wird.
    Beim Unionsstreit gibt es aus Sicht des Politologen Martin Florack aktuell nur Verlierer - selbst die SPD könne davon nicht profitieren, sagte er im Dlf (dpa-Bildfunk / Peter Kneffel)
    Martin Zagatta: Nach gerade einmal 100 Tagen, die die neue Große Koalition das Land regiert, knirscht es gewaltig. Der Streit um die Flüchtlingspolitik entzweit die Schwesterparteien CDU und CSU derart, dass sogar die Regierung auf der Kippe steht. Aber auch die SPD hat schon zu verstehen gegeben, dass sie das nicht mitmachen will, was da jetzt vor allem von Innenminister Seehofer geplant ist. Dicke Luft also und einiges zu besprechen, wenn heute Abend der Koalitionsausschuss tagt.
    Was ist jetzt konkret von Martin von diesem Koalitionsausschuss zu erwarten? Das kann ich jetzt den Politikwissenschaftler Florack fragen von der Universität in Siegen. Guten Tag, Herr Florack!
    Martin Florack: Guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Florack, verlaufen da jetzt die Fronten zwischen CDU und SPD auf der einen Seite und der CSU auf der anderen? Kann man das so sagen?
    Florack: Ja, zumindest kurzfristig kann man das schon so sagen, denn die SPD hat auch kein Interesse daran, dass die Situation sich weiter zuspitzt, und erst recht nicht daran, dass die Regierung platzt, aber auch nicht daran, dass Angela Merkel ihr Amt verliert. Denn eigentlich hat die SPD ein großes Interesse daran, Angela Merkel im Amt zu halten, denn die Aussicht, vielleicht mit einem anderen Kanzler von Unionsseite dann den Rest der Legislaturperiode vollzumachen, ist für den nächsten Wahlkampf dann richtig schwierig, weil man sich ja dann wieder erhofft, irgendwie auf Augenhöhe mit der Union zu kommen.
    Und zum anderen hat die SPD gar kein Interesse an aktuellen Neuwahlen. Das wäre gewissermaßen besonders gefährlich für die SPD, die in diesem Streit dann untergehen könnte.
    Zagatta: Warum profitiert die SPD eigentlich nicht von diesem Streit? Das wäre ja eigentlich zu erwarten. Die Unionsparteien zerfleischen sich; das müsste doch eigentlich der SPD zugutekommen.
    Florack: Ja. Sie ist zum einen Teil der Bundesregierung und der Streit überlagert insofern die gesamte Arbeit der Bundesregierung und nimmt insofern auch die SPD in Mithaftung. Das ist das eine Problem. Das andere Problem ist, dass die SPD auch in dieser Frage, die da verhandelt wird, ja im Moment keine schlüssige Position hat. Sie kann das nicht haben zu dem 63-Punkte-Plan, weil sie ihn nicht kennt. Aber sie hat ihn auch schon länger nicht in der Flüchtlingspolitik gehabt, weil die SPD-Positionierung zu diesen Grundsatzfragen auch etwas unklar ist, sie unterschiedliche Signale sendet und sie sich vielleicht irgendwie auch erhofft hat, dass Horst Seehofer einen Teil dieser ein bisschen schwierigen Fragen auch für die SPD dann im Zuge seiner Tätigkeit als Bundesinnenminister wegverhandelt, damit sie damit selber nicht konfrontiert ist und vielleicht mit anderen Themen durchstarten kann.
    "Die SPD war Zuschauer in diesem ganzen Spiel"
    Zagatta: Nun sagen ja Experten schon lange, dass Angela Merkel in ihrer Politik eine gewisse Sozialdemokratisierung der CDU betreibt. Zeigt sich das jetzt bei diesem Flüchtlingsstreit auch wieder, dass es tatsächlich so ist und dass der SPD da quasi ein Thema auch weggenommen wird beziehungsweise dass sie sich da gar nicht groß unterscheidet von der CDU?
    Florack: Eigentlich würde ich sagen, dass die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin auf CSU-Kurs eingeschwenkt ist, und zwar schon lange. Deswegen mutet auch diese Haltung der CSU so irrational an. Denn in der Sache hat sie sich ja weitgehend durchgesetzt. Wir haben viele Verschärfungen des Asylrechts erlebt, viele Forderungen der CSU wurden erfüllt, und insgesamt sind wir ja deutlich zu einer restriktiveren Auslegung der Asylpolitik gelangt. Insofern hat die CSU sich eigentlich durchgesetzt und die SPD war Zuschauer bei diesem ganzen Spiel, weil sie eigentlich über die ganzen Jahre hinweg ja in einem Dilemma gefangen war, nämlich einerseits als Partei eine Position zu vertreten, die auf der Linie der Kanzlerin von 2015 war und vielleicht auch deutliche Anleihen bei den Grünen nimmt, aber auf der anderen Seite auch darum zu wissen, dass ein Teil ihrer Mitgliedschaft, aber vor allen Dingen auch ein größerer Teil ihrer Wähler das gerade nicht goutiert und man damit zumindest keine Wahl gewinnen kann.
    Zagatta: Wenn sich die CSU Ihrer Ansicht nach derart klar durchgesetzt hat, warum dann jetzt der ganze Streit? Hat das dann ausschließlich oder fast ausschließlich mit der Landtagswahl im Herbst zu tun?
    Florack: Ja, die Landtagswahl spielt sicher eine Rolle im Sinne des Kalenders, der da Fristen vorgibt und auch ein neues Zeitregime in die Diskussion einbringt. Aber es kommen noch einige andere Dinge dazu, die hier sicher eine Rolle spielen. Die CSU ist ja auch kein monolithischer Block, die geschlossen agiert, sondern sie ist ja zum Teil auch nur dadurch zusammengehalten, dass man sich in der Ablehnung der Merkelschen Flüchtlingspolitik einig ist, zumindest auf der Ebene der Protagonisten.
    Es könnte aber auch noch einen Nebeneffekt geben, der dann allen anderen außer Horst Seehofer nutzt, denn diese aktuelle Zuspitzung, die da wie zwei aufeinander zurasende Züge wirkt, könnte ja vielleicht dazu führen, dass Horst Seehofer sein Amt als Bundesinnenminister los ist. Er hat kein Mandat, er ist insofern dann in Berlin von heute auf morgen von der Bildfläche verschwunden, während dann wiederum Dobrindt und Söder in München die CSU unter sich aufteilen können und ihre machtpolitischen Kalküle verwirklichen können. Insofern geht es vielleicht auch gegen Horst Seehofer und sind innerparteiliche Motive der CSU auch nicht außer Acht zu lassen.
    "CSU verabreicht die gleiche falsche Medizin, die sie schon für die Bundestagswahl verabreicht hat"
    Zagatta: Jetzt belegen aber neueste Umfragen, oder die legen zumindest den Schluss nahe, dass diese harte Politik, die die CSU im Moment betreibt, dennoch nicht zu einer Mehrheit bei der Landtagswahl im Oktober verhilft. Das sind jetzt eher enttäuschende Zahlen für die CSU, die die Umfragen jetzt hergeben. Stärkt das nicht die Position von Angela Merkel?
    Florack: Na ja, es macht sie beide schwächer, denn auch die Position von Angela Merkel erfährt ja deswegen auch Ablehnung, weil es ihr nicht gelingt, auch dazu eine passende Geschichte zu erzählen. Die Formel von der europäischen Lösung ist ja auch nur eine Chiffre, die da ohne große Konsequenzen im Raum steht. Niemand kann sich darunter was Richtiges vorstellen und unterschiedliche Dinge stehen im Raum.
    Für die CSU ist es so: Sie verabreicht die gleiche falsche Medizin, die sie schon für die Bundestagswahl verabreicht hat, denn man muss gar nicht so sehr auf die aktuellen Umfrageergebnisse schauen. Man kann sich auch das letzte Bundestagswahlergebnis anschauen, wo auch die Abgrenzung und die harte Linie in der Flüchtlingspolitik sich gar nicht ausgezahlt haben, und das Gerede vom Staatsversagen passt auch gar nicht zu der Tradition der CSU als selbst ernannter Staatspartei in Bayern.
    "Jeder weiß, dass ein Teil dieses Spielchens nur mit Blick auf die AfD gespielt wird"
    Zagatta: Jetzt schwelt aber dieser Streit um die Flüchtlingspolitik – Sie haben es auch angesprochen – ja schon ewig lange. Jetzt wird er ausgetragen in diesen Tagen. Soll man da vielleicht sagen, endlich wird er ausgetragen? Stärkt das vielleicht sogar die Demokratie? Oder schwächt das die Volksparteien?
    Florack: Es würde in dem Sinne eine Stärkung herbeiführen, wenn es in der Sache um was Wichtiges ginge. Den Eindruck hat man eigentlich nicht bei diesem ominösen Punkt 63, denn das ist ja weder ein zentraler Punkt des Masterplanes, sondern einer unter vielen, und dann vor allen Dingen einer, an dem sich alle möglichen rechtlichen und auch praktischen Fragen auftun. Das lebt von der symbolischen Zuspitzung, aber nicht von einer sachpolitischen Auseinandersetzung.
    Das zweite Problem – und deswegen zahlt sich das am Ende nicht für die Regierung aus – ist, dass am Ende doch über den pinken Elefanten, der im Raum steht, gesprochen wird, ohne ihn direkt zu adressieren. Aber jeder weiß, dass ein Teil dieses Spielchens nur mit Blick auf die AfD gespielt wird und dass die Landtagswahl in Bayern dahinter steht, und insofern öffnet das Tür und Tor für die Interpretation, dass da machtpolitische Kalküle am Werke sind und keine sachpolitische Auseinandersetzung, und auch das nimmt man der CSU übel, von der man ja durchaus erwarten kann, dass sie als Regierungspartei, die sie ja nicht erst seit diesem Jahr ist, sondern schon lange, auch sachlich fundierte Arbeit leistet und sich erst mal mit den Mühen der Ebenen auch beschäftigt.
    "Da wird jetzt viel gefordert sein, da in den letzten drei, vier Tagen die Kuh noch vom Eis zu bekommen"
    Zagatta: Und wie geht das Ganze jetzt aus? Glauben Sie noch an einen Kompromiss, oder kommt es zum großen Knall?
    Florack: Der große Knall hätte für alle Seiten eigentlich nur Verlierer produziert. Insofern kann man schon erwarten, dass es irgendeinen Formelkompromiss gibt, der dann zumindest Zeit kauft. Aber bisher deutet wenig darauf hin, weil sich alle ein bisschen wie im Spiel "Chicken Game" verhalten. Da fahren zwei Züge an einer Bergstraße aufeinander zu und niemand bremst, und der, der ausweicht, wird den Berghang hinabstürzen. Es deutet im Moment nichts auf eine Deeskalation hin. Zumindest hat bisher niemand die Reißleine gezogen. Da wird jetzt viel gefordert sein, da in den letzten drei, vier Tagen die Kuh noch vom Eis zu bekommen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.