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Atemtherapie
Neue Studie warnt vor negativen Folgen

Patienten mit einer Herzschwäche leiden häufig unter Atemnot und Erschöpfungszuständen. Bei etwa der Hälfte von ihnen kommt es nachts sogar zu Atmungsstörungen oder gar Aussetzern. Eine Atemmaske, über die Atemluft mit leichtem Überdruck zugeführt wird, soll die Atmungsstörungen ausgleichen und das Herz entlasten. Doch eine aktuelle Studie warnt jetzt vor dieser Therapie.

Von Christina Sartori | 17.11.2015
    Eine Frau trägt ein Schlaftherapiesystem zur Behandlung schlafbezogener Atmungsstörungen.
    Ein Schlaftherapiesystem zur Behandlung schlafbezogener Atmungsstörungen. (imago / Tillmann Pressephotos)
    Eigentlich war die Sache klar: Etwa die Hälfte der Menschen mit einer Herzschwäche leidet an Atemstörungen während sie schlafen. An einer sogenannten "zentralen Atmungsstörung", bei der die Ursache im Atemzentrum im Gehirn liegt. Studien hatten gezeigt: Diese Herzschwäche-Patienten haben eine geringere Lebenserwartung als Herzschwäche-Patienten, die nachts gleichmäßig weiteratmen.
    "Deswegen die Idee, die Atmungsstörung zu therapieren, Standardtherapie ist eine sogenannte Überdruckatmung",
    erklärt Professor Ingo Fietze, Leiter des Schlafzentrums an der Berliner Charité. Über eine Maske wird dem Patienten nachts Atemluft zugeführt – mit leichtem Druck. So wird er auch bei unregelmäßiger Atmung gleichmäßig mit Sauerstoff versorgt. Sehr einleuchtend, doch jetzt sorgt eine Studie für Aufmerksamkeit.
    "Nun hat man in der Studie festgestellt, dass wenn man die Patienten nimmt, die tatsächlich nur zentrale Atmungsstörungen haben – was ein Merkmal der Herzschwäche ist – wenn man die mit einer Atmungstherapie therapiert, einige tatsächlich eher leiden als profitieren."
    In der internationalen Studie, deren erste Ergebnisse gerade im renommierten "New England Journal of Medicine" veröffentlicht wurde, zeigte sich: In der Gruppe der Studienteilnehmer, die nachts keine Atemtherapie erhielten, kam es seltener zu Todesfällen, als in der Gruppe, die die Atemtherapie erhielt. Ein völlig unerwartetes Ergebnis, sagt auch Ingo Fietze, der einige Patienten der Studie betreut hat:
    "Wir haben ja festgestellt, dass fast alle Patienten von uns, subjektiv profitiert haben und auch objektiv nicht gelitten haben. Und deswegen: Unsere eigenen Erfahrungen sprechen etwas gegen die Statistik der Studie, und deswegen sind wir selber gespannt auf die Endergebnisse. Wahrscheinlich ist zu erwarten, dass die Ausprägung der Herzschwäche da eine große Rolle spielt."
    Nur bestimmte Patienten betroffen
    Der negative Effekt der Atemtherapie tritt nämlich wohl nur bei einer bestimmten Gruppe von Herzschwäche-Patienten auf: Nur bei denen mit einer deutlichen Herzschwäche, deren Herz also ziemlich schwach ist: Je schlechter die Pumpfunktion des Herzmuskels, desto schlechter geeignet ist die Atmungstherapie. Da ergibt sich klar weiterer Forschungsbedarf, stellt der Schlafmediziner fest:
    "Da hat jetzt die Wissenschaft sozusagen noch mal ein Fach aufgemacht, wo man feststellt: Man kann nicht mit der Gießkanne eine Therapie allen Patienten antun, sondern man muss gucken, welchen Patienten kann ich damit helfen und welchen Patienten sollte ich diese Therapie nicht zuführen."
    Entscheidend ist also, wie stark ausgeprägt die Herzschwäche des Patienten ist. Dagegen ist es wohl egal, welche Form der Atemtherapie eingesetzt wird, vermutet Ingo Fietze:
    "Die Studie wurde durchgeführt mit einer bestimmten Form der Atmungstherapie, die heißt Auto - Servoventilation. Wenn sie so wollen, im Vergleich mit der Autoindustrie: Die Studie ist durchgeführt worden mit einem Bentley und man kann aber genauso gut einen VW oder einen Mercedes oder einen Skoda oder mit einem anderen Auto machen, was auch fährt und gut fährt".
    Kaum Alternativen
    Ob Bentley, Mercedes oder Skoda – seit 30 Jahren ist die Atemtherapie bei nächtlicher Atemstörung das Mittel der Wahl, denn es gibt keine besseren Alternativen, keine Medikamente zum Beispiel. Und das wird wohl erst einmal auch so bleiben, meint Prof. Fietze:
    "Auch in den nächsten Jahren wird sich das nicht ändern. Es wird immer noch neue Untersuchungen geben, die uns die Therapie sicherer machen, die uns besser die Patienten auswählen lassen, wer für welchen Beatmungsmodi am besten geeignet ist, und vielleicht haben wir in zehn Jahren dann auch eine Tablette gegen die nächtliche zentrale Atmungsstörung, das wird sich zeigen."
    Bis dahin sollten Patienten mit schwerer Herzschwäche, die nachts an Atemstörungen leiden, mit ihrem Arzt entscheiden, ob sie nachts eine Atemmaske tragen, oder nicht.