Mittwoch, 24. April 2024

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Athleten Deutschland
Selbstbewusst und selbstbestimmt

In Köln diskutieren Athletinnen und Athleten der Sportverbände darüber, eine vom Deutschen Olympischen Sportbund unabhängige Interessenvertretung zu gründen. Es wäre eine Zäsur im deutschen und internationalen Spitzensport. Der DOSB hält davon wenig, die Spitzenpolitik signalisiert Unterstützung.

Andrea Schültke im Gespräch mit Klaas Reese | 14.10.2017
    Darum geht es: Ziel des unabhängigen Vereins "Athleten Deutschland" ist eine professionellere Vertretung von Sportlerinnen und Sportler. Denn während des russischen Dopingskandals habe man sich maßlos überfordert gefühlt habe, so Athletensprecher Max Hartung.
    Der Deutsche Olympische Sportbund hält wenig von den Plänen der Athleten. Deshalb verschickten der Präsident des Dachverbandes, Alfons Hörmann, und sein Vorstandsvorsitzender Michael Vesper am 12. Oktober einen Brief an die einzelnen Sportverbände, der dem Deutschlandfunk vorliegt. Darin scheinen die DOSB-Spitzen zu versuchen, einen Keil zwischen die selbstbewussten Athletinnen und Athleten und ihre Mitgliedsverbände treiben zu wollen. Zu den Kosten für die neue Athletenvertretung von 300.000 bis 400.000 Euro pro Jahr für drei Mitarbeiter und Büroräume heißt es in dem Schreiben:
    "Wir haben keine Informationen darüber, aus welchen Mitteln diese Kosten finanziert und wofür sie verwendet werden sollen und ob diese ggf. andere Bereiche der Sportförderung negativ tangieren würden."
    Das kann man als indirekte Drohung interpretieren, dass nämlich die Verbände dann die Kosten tragen müssten. Dabei hatten die Athletensprecher unter anderem im Deutschlandfunk deutlich gemacht, dass man nach Vorgesprächen auf finanzielle Unterstützung des Innenministeriums hoffe.
    Ein Jahr lang haben die Vorbereitungen für die Vereinsgründung gedauert. Schon damals wurde der DOSB informiert, ihm ein erster Satzungsentwurf zugesandt. Hinter "Athleten Deutschland" steckt der Versuch der Spitzensportlerinnen und Sportler, vom DOSB unabhängig zu werden, um gegenüber dem Dachverband die eigenen Anliegen auf Augenhöhe vertreten zu können, so die Stellvertretende Athleten-Sprecherin Silke Kassner: "Einfach um den Sport auch in Zukunft für die Athleten mitgestalten zu können".
    Der DOSB sieht keine Notwendigkeit für eine unabhängige Athletenvertretung. In seinem Schreiben an die Mitgliedsverbände heißt es, die Sportlerinnen und Sportler würden durch die Athletenkommission des DOSB schon auf Augenhöhe wahrgenommen.
    Parlament steht hinter den Athleten
    Klaas Reese: Meine Kollegin Andrea Schültke aus der Dlf-Sportredaktion war am ersten Tag dabei. Was ist da abgelaufen?
    Andrea Schültke: Hinter verschlossenen Türen haben die Athletensprecher Max Hartung und Silke Kassner ihre Kolleginnen und Kollegen aus den einzelnen Verbänden darüber informiert, worum es bei dem neuen Verein gehen soll, haben Erklärungen geliefert und Fragen beantwortet. Da waren die Athleten unter sich, aber Max Hartung hat hinterher gesagt: "Die Stimmung war sehr positiv und aufgeschlossen."
    K.R.: Etwa 50 bis 60 Sprecherinnen und Sprecher ihrer Sportarten dürften heute morgen dabei gewesen sein. Wie ist das denn bei denen angekommen, was ihre Athletensprecher präsentiert haben?
    A.S.: Danach habe ich unter anderem den Leichtgewichts-Ruderer Lucas Schäfer gefragt. Er sieht in einem Verein Athleten Deutschland: "Ne Chance für Mitsprache im DOSB und auch im eigenen Verband." Da wird dann das deutlich, was Max Hartung und Silke Kassner auch vor einer Woche hier im Interview schon betont haben: der Verein Athleten Deutschland versteht sich als Serviceeinrichtung für Athleten, als professionelle Anlaufstelle für Leistungssportler, die bestimmte Informationen brauchen, aber neben Berufsausbildung und stundenlangem Training nicht daran kommen.
    Und Triathletin Sopie Saller hat noch einmal erklärt, wie sich das Verhältnis zwischen Verein und Deutschem Olympischen Spsortbund aus ihrer Sicht darstellt: "Es geht nicht gegen den DOSB, zusammen machen, aber Dinge vereinfachen."
    Zum Beispiel ein Netzwerk unter den Athletensprechern zu schaffen, etwa eine Online-Plattform, über die sich dann die Triathletin ggf. mit dem Ruderer austauschen könnte. So etwas existiert nämlich bisher nicht und natürlich kennen sich nicht alle Sportler untereinander sodass man die Kontaktdaten hat. Auch um diese praktischen Dinge soll sich so ein Verein Athleten Deutschland in Zukunft kümmern.
    K.R.: Drei hauptamtliche Stellen sollen für den Verein geschaffen werden und ein Büro braucht das Ganze auch. Die Finanzierung haben die Athleten mit 300.000 bis 400.000 Euro beziffert. Das schien aber nicht das Problem zu sein. Wie hat sich das heute dargestellt?
    A.S.: Gerhard Böhm, Leiter der Abteilung Sport im Bundesinnenministerium hat dazu etwas gesagt. Eigentlich war er da, um über die Leistungssportreform zu sprechen und den Athletinnen und Athleten den aktuellen Stand der Umsetzung zu erläutern. Da heißt es immer so schön, der Athlet solle im Mittelpunkt stehen:
    "Und dann gehört natürlich die Interessenvertretung der Athleten dazu. Wir sind offen. Auch das Parlament. Ich habe keinen Abgeordneten im deutschen Bundestag gehört, der die Athleten nicht in ihrer Interessenvertretung unterstützen möchte. Wir sind bereit das zu tun. Wie das im Einzelfall aussieht, das hängt davon ab, wie zwischen dem organisierten Sport, dem Verband und den Athleten sich das entwickelt."
    Gerhard Böhm hat ganz deutlich gemacht, dass die Politik sich in die Gespräche zwischen dem Dachverband DOSB und den Athleten über den Verein nicht einmischen will, aber er hat auch gesagt: "Wenn Hilfe erforderlich ist, auch finanziell, sind wir da."
    Er hat keine feste Zusage gemacht und darauf hingewiesen: über die Freigabe von Haushaltsmitteln muss das Parlament entscheiden. Aber er hat wohl deutliche Signale bekommen, dass das Parlament hinter den Athleten steht.
    K.R.: Das hört sich erst einmal danach an, dass für die Abstimmung über die Vereinsgründung morgen eine aus Sicht der Athleten gute Basis gelegt ist. Aber die Vereinsgründung war ja nicht das einzige Thema heute. Es ging auch um die Leistungssportreform. Worum konkret?
    Probleme der Leistungssportreform
    A.S.: Gerhard Böhm hat noch einmal die Beweggründe dahinter geschildert, er sprach von einer breiten Förderung, aber akzentuiert. Heißt zum Beispiel: Konzentration auf weniger Stützpunkte, aber die dann so ausstatten, dass dort weltklasse Trainingsmöglichkeiten herrschen zum Beispiel.
    Dirk Schimmelpfennig, Direktor Leistungssport im DOSB hat das bestätigt und gesagt: die Stützpunkte sollen so toll werden, dass die Athleten sagen: Wir wollen dahin, nicht wir müssen.
    K.R.: Das ist ja ein großer Kritikpunkt der Athleten, dass ihnen vorgeschrieben wird, wo sie zukünftig trainieren sollen. War das damit entkräftet?
    A.S.: Auf gar keinen Fall. Ich fand, die Probleme, über die wir auch immer wieder berichtet haben, wurden da nochmal so richtig deutlich. Ruderer Lucas Schäfer zum Beispiel sagt: "Wir wurden überhaupt nicht gefragt. Und wir sind letztendlich die Menschen, die Athleten, die unter diesem System Höchstleistungen erbringen müssen. Und da finde ich, da müssen wir in einem viel höheren Maße entscheiden können, wie wir unsere Höchstleistungen erbringen."
    Da kam dann etwa die Frage auf, wenn jetzt eine Athletin in einem Bundesland eine Sportförderstelle bei der Landespolizei hat, durch die Leistungssportreform aber in ein anderes Bundesland soll. Dann hat sie ein Problem, denn Polizei ist Ländersache und die Systeme nicht kompatibel. Da hieß es dann das sei in der Übergangsphase vielleicht etwas schwierig, würde sich aber im Laufe der Zeit sicher lösen. Da frage ich mich aber: Wenn "im Laufe der Zeit" anderthalb Jahre dauert, dann ist das für die Athletinnen und Athleten ein großes Problem – und das ist nur ein Beispiel.
    K.R.: Über das Potas System wurde auch gesprochen – das Potenzialanalysesystem mit dem die einzelnen Sportarten und Disziplinen auf ihre Förderungswürdigkeit hin untersucht werden sollen. Gab es da neue Erkenntnisse?
    A.S.: Da hat Urs Granacher den aktuellen Stand präsentiert. Er ist Trainingswissenschaftler in Potsdam und hat den Vorsitz der Potaskommission übernommen nachdem der ursprüngliche Vorsitzende zurückgetreten war. Er hat den aktuellen Stand der Arbeit erläutert, Umfrageergebnisse präsentiert und noch einmal gesagt, dass die Analyse für die Wintersportarten vor den Spielen in Pyeongchang nicht fertig gestellt wird. Aber sie werde für die Sommersportarten vor den Sommerspielen in Tokio abgeschlossen und haushalterisch wirksam. Das heißt, die Verbände wissen dann wieviel Geld sie zur Verfügung haben. Auch hier haben die Verbände ein Anhörungsrecht, für die Athleten ist das aber bisher nicht vorgesehen. Das wurde auch deutlich, soll aber jetzt wohl noch eingearbeitet werden.