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"Atmosphäre wird von uns genutzt wie eine Mülldeponie"

Wolfgang Lucht bemängelt, dass das Klimaproblem nicht als Zivilisationsaufgabe wahrgenommen werde. Im Hinblick auf die Klimakonferenz in Durban sagt der Klimaforscher des Potsdam-Instituts, dass die Zusagen zum Klimaschutz eine "höhere Verbindlichkeit" bekommen sollten.

Wolfgang Lucht im Gespräch mit Peter Kapern | 11.11.2011
    Peter Kapern: Ein Problem ist ja immer nur dann ein Problem, wenn es auch problematisiert, also wahrgenommen wird, und wenn diese Feststellung zutrifft, dann könnte man davon ausgehen, dass sich eines der größten Probleme der Gegenwart quasi in Luft aufgelöst hat, nämlich der Klimawandel. Vor ein, zwei Jahren, da wurde das Ziel, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen, noch als Überlebensfrage der Menschheit gehandelt, und heute, in den Zeiten der Eurokrise, scheint der Klimawandel auf der politischen Agenda weit nach unten gerutscht zu sein. Jetzt scheint, der alte Satz wieder zu gelten, wonach die Schlote rauchen müssen, damit Wachstum erzeugt wird und Schuldenberge abgetragen werden können.

    Ein vorgestern veröffentlichter Bericht der Internationalen Energieagentur lässt vor diesem Hintergrund allerdings aufhorchen. Ungeachtet aller Zusagen zur CO2-Reduzierung sei der Ausstoß dieses Klimakillers höher als je zuvor. Die Emissionen wachsen steil an und die Bereitschaft großer Industrie- und Schwellenländer, etwas dagegen zu unternehmen, sinke beständig, sagt die Organisation, und sie kommt zu dem Ergebnis: Der Klimawandel droht, außer Kontrolle zu geraten.

    Bei uns am Telefon ist jetzt Professor Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Guten Morgen, Herr Lucht.

    Wolfgang Lucht: Guten Morgen.

    Kapern: Der Klimawandel droht, außer Kontrolle zu geraten. Teilen Sie diese düstere Prognose?

    Lucht: Also in jedem Fall ist es eine Minute vor zwölf, was das Zwei-Grad-Ziel betrifft, und beim Klimawandel ist es ja nun so, dass durch Warten oder, wie Sie in Ihrer Anmoderation sagten, durch Wegschauen das Problem sich nicht in Luft auflöst, sondern in der Tat einfach weiterläuft, und irgendwann wacht man dann morgens auf und stellt überrascht fest, dass es in der Tat eben eine Minute vor zwölf ist. Die Wissenschaft spricht ja lange davon, die Politik hat es eine Zeit lang hoch auf der Agenda gehabt, nun ist es absolut dringende Zeit, dass das wieder geschieht.

    Kapern: Wer oder was trägt Verantwortung dafür, dass es so von der Agenda verschwunden ist?

    Lucht: Ich denke, dass die Schwierigkeit der Lösungen, um gegen den Klimawandel etwas zu tun, ein Teil des Problems ist. Es herrscht immer noch nicht genügend Aufmerksamkeit darauf, dass sehr aktiv Lösungen, Wege zu einer Entkarbonisierung der Energieerzeugung in der Gesamtgesellschaft gefunden werden müssen. Dabei sind die Lösungen eigentlich alle im Angebot und die Umsetzung muss jetzt mit sehr viel Tatkraft vorangetrieben werden. Es wird nicht wahrgenommen, dass es sich beim Klimaproblem wirklich um eine Aufgabe für eine Zivilisation, eine entwickelte Zivilisation handelt, das den weiteren Verlauf der Zeitentwicklung bestimmen wird.

    Kapern: Die Lösungen, die im Angebot sind, die Sie gerade angesprochen haben, die kosten Geld, Investitionen. Weltweit gibt es aber eine Schuldenkrise. Können wir uns den Klimaschutz einfach nicht mehr leisten?

    Lucht: Die Schuldenkrise könnte uns eine sehr dringende Warnung, eine sehr dringende Lektion sein, denn sie zeigt, dass wenn man nicht rechtzeitig vorbeugend mit Maßnahmen handelt, Krisen außer Kontrolle geraten können oder in Situationen kommen können, wo sie beinahe nicht mehr beherrschbar sind. Und dann sieht man, wie kurzatmig und kurzfristig versucht wird, Dinge zu retten, die die Belastungsfähigkeit oder die Grenze der Belastungsfähigkeit von Staaten erreicht. Und beim Klimaproblem wird das noch sehr viel ernster sein, weil die Dimension der Auswirkungen und Probleme sehr viel größer ist und Lösungen ohnehin nicht kurzfristig im Angebot wären.

    Kapern: Aber warum sollte denn beim Klimaschutz gelingen, was bei der Führung der Staatsfinanzen nicht gelungen ist?

    Lucht: ... , weil wenn man es nicht tut, die Folgen einfach katastrophal sein werden. Aber es gibt eine positive Botschaft in dieser ganzen Schwierigkeit, in der er sich befindet. Es ist eine Zivilisationsaufgabe, diesen globalen Problemen zu begegnen, aber darin liegt eine große Chance. Denn erstens ist es offensichtlich, dass die bisherigen Wirtschaftsweisen nicht auf Dauer so fortgesetzt werden können. Das heißt, der Übergang zu neuen Technologien, zu neuen Verfahrensweisen und zu anderen Einstellungen ist etwas, das eine positive und vor allem eine nachhaltige, eine zukunftsfähige weitere Entwicklung überhaupt erst möglich macht. Der jetzige Weg ist nicht nachhaltig und damit nicht zukunftsfähig. Das heißt, es ist etwas zu gewinnen für die weitere Entwicklung: das ist die Grundlage für einen Weiterbestand unserer Lebensgewohnheiten gegeben, wenn wir diese Transformation hinbekommen.

    Kapern: Es ist aber auch etwas zu verlieren, nämlich das Gewohnte.

    Lucht: Es ist zu transformieren und die Zeit bleibt nicht stehen und Herausforderungen sind anzunehmen. In jedem Fall stimmt, dass Wegschauen das Problem nicht lösen wird, sondern Wegschauen wird dazu führen, dass die Problematik sich deutlich vertieft. Die zweite Chance, die in dieser Transformationsaufgabe liegt, ist, dass sich eine globale Zivilgesellschaft dabei vorbereiten kann, denn wir verhandeln hier quer um den Globus darüber, was gerecht ist, ob gleiche Emissionsrechte die Basis sein müssen, was Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang bedeutet, welche Beiträge geliefert werden können, wer technologische Entwicklungen finanzieren soll und kann, wo Innovation ausgelöst werden kann, wie Implementierungen unterstützt werden können bei uns und anderswo, und diese Diskussionen ergeben Konturen eines neuen Umgangs miteinander und diesen Umgang werden wir ohnehin brauchen für das Lösen einiger anderer globaler Krisen, zum Beispiel dieser Finanzkrise, auch einiger Gesundheitsproblematiken, des Welthungerproblems, des Armutsproblems. Es besteht also die Chance, mit solchen Herausforderungen konstruktiv umzugehen und damit die Gesellschaften der Welt weiterzuentwickeln, sodass Zukunft gewonnen wird, und das ist eine ganz andere Sichtweise, als hier das Abweichen des ohnehin nicht zukunftsfähigen derzeitigen Pfades als Bedrohung zu empfinden.

    Kapern: Herr Lucht, Sie haben eben gesagt, die bisherige Wirtschaftsweise sei einfach nicht mehr zukunftsfähig. Nun findet sich in dem Gutachten der Internationalen Energieagentur auch der Hinweis, dass der CO2-Ausstoß derzeit schneller wächst als das Bruttoinlandsprodukt der Industrie- und Schwellenländer. Heißt das, dass sich damit die Hoffnung, man könnte Wachstum von Umweltverschmutzung abkoppeln, endgültig erledigt hat?

    Lucht: Zumindest haben wir derzeit die Lösungen noch nicht implementiert. Aber es gibt sehr viel mehr Möglichkeiten, hier mit der Abkoppelung weiterzukommen, als derzeit umgesetzt worden ist, und alle ökonomischen Rechnungen zeigen, dass das auch bezahlbar ist und sich sogar auszahlt. Es zahlt sich aus, wenn man das früh macht, aber diejenigen, die das als Nachzügler tun, die werden die Vorteile derer, die früh im neuen System arbeiten, nicht nutzen können, und je länger man wartet, desto stärker werden die Umweltschäden sein, mit denen zu rechnen ist.

    Kapern: In ein paar Wochen beginnt die nächste Weltklimakonferenz in Durban. Welche Minimalziele müssen dort erreicht werden?

    Lucht: Das kann man auf verschiedenen Ebenen beantworten. Einmal ist es wichtig, dass ein internationales System am Leben gehalten wird. Es ist immer noch nicht undenkbar, dass in der jetzigen Situation die Aufmerksamkeit ganz wegrutscht. Das heißt, dass das Verfahren stabilisiert wird, wäre schon mal ein sehr minimales Ziel. Damit ist natürlich das Klima noch nicht geschützt.

    Das zweite ist: Die eingegangenen Zusagen von Staaten sollten eine höhere Verbindlichkeit bekommen. Derzeit sind sie unverbindlich, es sind einfach Versprechungen. Das wäre etwas, was erreichbar wäre, was aber schwer zu erreichen ist in der derzeitigen Situation.

    Was wünschenswert wäre ist, dass anerkannt wird, dass es eigentlich gar nicht mal um CO2-Reduktionsprozente geht, sondern dass die Atmosphäre von uns genutzt wird wie eine Mülldeponie und dass diese Mülldeponie sich relativ schnell auffüllt und dass zum Beispiel die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels, die ja nun offiziell international anerkannte Politik ist, dass diese bedeutet, dass nur noch 700 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre emittiert werden können bis 2050, dann ist die Mülldeponie voll. Das heißt, das Zwei-Grad-Ziel ist erreicht.

    Kapern: Was hätte man davon, wenn man diese Zahl anerkennen würde?

    Lucht: Bei der jetzigen Rate wäre diese Mülldeponie der Atmosphäre, die CO2-Mülldeponie, schon 2030 voll. Das heißt, ab 2030 dürfte man gar nichts mehr emittieren. Und wenn diese Zusammenhänge alle akzeptiert würden, das wäre ein riesengroßer Durchbruch, dass man anerkennt, dass die Gesamtmenge des CO2, die noch emittierbar ist, wenn man ein bestimmtes Ziel hat, begrenzt ist, denn das ist bisher noch nicht geschehen.

    Kapern: Ein Gespräch mit Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, das wir vor eineinhalb Stunden aufgezeichnet haben.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.