Dienstag, 19. März 2024

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Atomabkommen mit dem Iran
"Die Welt ist jetzt gefährlicher als vorher"

John Bolton, Ex-US-Botschafter bei den UN, sieht im Atomabkommen mit dem Iran eine Bedrohung für den Frieden in der Welt. Die Vereinbarung habe dem Iran den Weg für Atomwaffen geebnet, sagte er im DLF. Der Westen habe in den Verhandlungen versagt. Insbesondere die europäischen Regierungen hätten sich "als Schwächlinge erwiesen".

US-Diplomat John Bolton im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 17.09.2015
    Der frühere US-Botschafter bei der UNO, John Bolton.
    Der frühere UNO-Botschafter John Bolton (picture alliance / dpa / Daniel Dal Zennaro)
    Das Interview können Sie hierauch im englischen Originalton nachhören.
    Tobias Armbrüster: Mr. Bolton, Donnerstagnacht wird der Atomvertrag mit dem Iran den Kongress de facto passiert haben. Ist das ein guter Tag für die Weltgemeinschaft?
    John Bolton: Nein, das glaube ich nicht. Dieses Abkommen ist ganz zugunsten des Irans gestaltet. Iran wird damit alle seine Ziele erreichen. Die Finanzguthaben in Höhe von über 100 Milliarden werden freigegeben, die Wirtschaftssanktionen werden bis Ende dieses Jahres aufgehoben und der Weg ist nunmehr frei für die Fortsetzung des Atomprogramms des Irans. Das iranische Regime hat damit seine Legitimation bekommen, eben jenes Regime, das weltweit der größte Geldgeber für Terrorismus ist. Dieser Finanzgeber des Terrorismus ist damit ungehindert handlungsfähig. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass ein nuklearer Rüstungswettlauf im Nahen und Mittleren Osten einsetzt. Ich glaube also, dass nach Inkrafttreten dieses Vertrages die Welt sehr viel gefährlicher ist als vorher.
    Armbrüster: Und Barack Obama und die vielen Diplomaten, die an diesem Vertrag beteiligt waren, die waren alle nicht in der Lage, diese Fehler zu erkennen?
    Bolton: Nun, das beruht auf der Täuschung über das Wesen des iranischen Regimes, die ich feststellen muss. Wir haben wirklich hinreichend Beweise dafür, dass vor 30 bis 35 Jahren die Ayatollahs im Iran beschlossen haben, einsatzfähige Atomwaffen zu entwickeln. Wir haben nicht ein Fitzelchen eines Beweises dafür, dass sich das geändert haben sollte. Tatsächlich ist ja das Wiener Abkommen darauf eingerichtet, all jene Verletzungen des Abkommens aufzudecken, von denen selbst die Befürworter des Abkommens annehmen, dass sie eintreten werden. Letztlich beruht die Wirksamkeit des Abkommens ja auch darauf, dass man einen felsenfesten Glauben daran habe, sogar nach dem Irak-Krieg, dass die US-Aufklärungsdienste weiterhin hundertprozentig sicher alles mitbekommen, was in der iranischen Nuklearszene geschehe, und dass hundert Prozent Gewissheit bestehen kann, dass Verletzungen seitens Irans aufgedeckt werden könnten, und das ist doch ein kaum zu glaubendes Unterfangen.
    "Alle europäischen Regierungen haben sich als Schwächlinge erwiesen"
    Armbrüster: Herr Botschafter, wie wird sich der Iran nun in den kommenden Monaten verhalten?
    Bolton: Nun ja, die Iraner werden es natürlich in einer Doppelstrategie schlau anpacken. Sie werden nichts tun, das die Aufhebung der Sanktionen verhindern könnte. Zugleich aber bin ich überzeugt, dass sie bereits alternative Atomanlagen an uns nicht bekannten Standorten eingerichtet haben, und sie werden doch sich nicht selbst dadurch behindern, dass sie das jetzt offenlegen. Sobald die Sanktionen aufgehoben sind, werden die europäischen Länder wie zum Beispiel Deutschland Milliarden und Abermilliarden in Handel und Investitionen anlegen und sie werden keinerlei Mumm haben - und ich wiederhole das -, keinerlei Mumm in Europa, sich irgendwie dem Iran entgegenzustellen. Ich glaube, die Iraner kennen doch ihre Europäer. Sie wissen, was sie an ihnen haben. Die Russen und die Chinesen werden ebenfalls in Milliardenumfang investieren. Die Chinesen werden Milliarden in die Entwicklung der Öl- und Gasinfrastruktur investieren. Kurz: Diese Sanktionen werden nie und nimmer zurückkommen. Damit haben wir auch im Westen den letzten schwachen Hebel aus der Hand gegeben, den wir gegen Iran in der Hand gehabt hatten. Iran umgeht somit all diese Möglichkeiten, die wir noch gehabt hätten, und damit ist auch der Weg zur nuklearen Bewaffnung für den Iran frei.
    Armbrüster: Habe ich Sie da richtig verstanden, Herr Botschafter? Sie meinen, dass die deutsche Seite in diesen Gesprächen ein besonders schwacher Verhandlungspartner war?
    Bolton: Ich glaube, alle drei an den Verhandlungen beteiligten europäischen Regierungen haben sich als Schwächlinge erwiesen. Ich erinnere nur daran, dass Präsident Rohani, der damals ja Chefunterhändler in den Nuklearverhandlungen war, dass er im Jahr 2006 sich in einer Rede geäußert hat vor seinen Leuten, und zwar auf Farsi, wie er immer wieder die westlichen Staaten getäuscht habe. Seine Rede hielt er damals auf Persisch. Das Manuskript wurde gefunden und in westliche Sprachen übersetzt. Ich erinnere mich noch daran, wie ich Auszüge aus dieser Rede damals bei den UNO-Botschaftern westlicher Staaten in New York vorgelesen habe, insbesondere den Botschaftern Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens. Da war die Verlegenheit groß, aber bewirkt hat das Ganze nichts. Der iranische Präsident - das muss man sich vorstellen - gab ganz offen zu, dass er die westlichen Staaten getäuscht habe. Er ist damit durchgekommen, er ist jetzt auch wieder durchgekommen damit und somit ist der Weg für ihn frei.
    "Die Frucht von 50 Jahren Zögern und Zaudern des Westens"
    Armbrüster: Die westliche Seite hat aber ja einen robusten Mechanismus eingebaut, mit dem die Sanktionen jederzeit wieder eingeführt werden können.
    Bolton: Das wird nie geschehen, denn diese ganze Überzeugung beruht ja auf der Meinung, die Sanktionen hätten eine Wirkung auf Iran ausgeübt, was aber einfach nicht der Fall war. Sie hatten keinerlei Auswirkung. Der Chef der Aufklärungsdienste von Barack Obama hat ja damals 2013 im Kongress selbst zu Protokoll gegeben, dass die Sanktionen keinerlei Wirkung auf Iran gehabt hätten und auch weiterhin nicht haben würden, eine Aussage, die bis heute unwidersprochen geblieben ist. Wir wissen, dass es auch von dem Präsidenten Khamenei durchaus solche Aussagen gibt, und wir können sagen, eine Auswirkung der Wirtschaftssanktionen wäre nur eingetreten, wenn wirklich dieser absolute Tiefpunkt in der iranischen Wirtschaft erreicht worden wäre, wie er damals in den 80er-Jahren während des Iran-Irak-Krieges erreicht worden war. Das war aber im Jahr 2013 nicht der Fall, auch im Jahr 2015 ist es nicht so eingetreten. Das heißt, die Iraner haben durch recht unerhebliche und leicht wieder umkehrbare Zugeständnisse ihren Sieg errungen und wir haben nichts im Gegenzug bekommen dafür.
    Armbrüster: Aber was wäre denn die Alternative zu diesem Abkommen? Etwa die, den Iran jahrelang weiter im Elend der Sanktionen zu lassen und so dafür sorgen, dass das Regime in Teheran noch radikaler wird?
    Bolton: Nun, die Gretchenfrage ist doch, ob man es zulassen will, dass Iran Atomwaffen erwirbt oder nicht. Mit diesem Abkommen wird der Iran Atomwaffen haben und ohne dieses Abkommen wird Iran auch Atomwaffen haben. Das ist letztlich die Frucht von 50 Jahren Zögern und Zaudern des Westens und das Ergebnis wird sein, dass auch Saudi-Arabien, die Türkei, Ägypten früher oder später sich nuklear bewaffnen werden. Das heißt, in dieser so unsicheren, instabilen Region wird es noch dazu kommen, dass hier eine Art Atomwaffen-Kessel entsteht, und zwar in genau dieser Region, die bereits jetzt, während wir sprechen, den Westen mit Hunderttausenden von Flüchtlingen überschwemmt. Das ist es, was uns das Versagen des Westens eingebracht hat.
    "Es kümmert mich nicht, was man in Europa über die amerikanische Außenpolitik denkt"
    Armbrüster: Was sagen Sie dann zu dem Argument, dass der Iran mit diesem Vertrag zurückkehren kann in die Weltgemeinschaft und dass dadurch auch die iranische Zivilgesellschaft gestärkt wird?
    Bolton: Jeder, der dies annimmt, lebt in seiner eigenen Welt. Es gibt doch keinerlei Hinweise darauf, dass das iranische Regime sich in den letzten 35 Jahren geändert habe. Wenn sie heute sagen, Tod Israel oder Tod den USA, dann ist das so gemeint, wie sie es immer gemeint haben. Die Schöngeister wollen natürlich daran glauben: Nein, sie meinen es ja nicht so, wie sie es sagen. So wie auch die Schöngeister damals glaubten, Adolf Hitler meine das nicht so, wie er es sage. Ich sage, man muss schon den Leuten auch Glauben und Vertrauen schenken, dass die das so meinen, was sie sagen, und dass sie das dann auch umsetzen werden. Und wenn im nächsten Jahr ein republikanischer Präsident gewählt wird, dann besteht eine 95-Prozent-Wahrscheinlichkeit, dass die USA im Januar 2017 dieses Abkommen wieder zurückweisen, und ich hoffe, dass Europa darauf vorbereitet ist.
    Armbrüster: Und wird die amerikanische Außenpolitik dadurch glaubhafter?
    Bolton: Wissen Sie, es kümmert mich nicht, was man in Europa über die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Außenpolitik denkt. Was für mich zählt, ist das amerikanische Volk und ob das amerikanische Volk dieser Außenpolitik glaubt, und die Mehrheit der Amerikaner ist eben überzeugt, dass mit diesem Abkommen der Weg zur nuklearen Bewaffnung Irans eingeschlagen ist, und ich glaube, dass das amerikanische Volk doch eine sehr viel bessere Erkenntnis über den Iran hat als all die europäischen und US-amerikanischen Diplomaten zusammen.
    Zerstörung von Nuklearanlagen "gangbarer Weg für Israel"
    Armbrüster: Herr Botschafter, viele Europäer würden an diesem Punkt sagen, die amerikanische Außenpolitik im Nahen Osten, die war in den vergangenen Jahren ja auch nicht gerade ein Erfolg. Gerade deshalb ist es jetzt gut, dass wir mit dem Iran einen diplomatischen Weg einschlagen und keinen Weg, der auf Konfrontation ausgerichtet ist.
    Bolton: Sie haben den Weg der Beschwichtigungspolitik eingeschlagen und sie werden die Früchte davon ernten, wie es auch Winston Churchill damals gegenüber Neville Chamberlain gesagt hat. Sie hatten die Wahl zwischen Krieg und Ehrlosigkeit. Sie haben die Ehrlosigkeit gewählt und es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie jetzt den Krieg damit bekommen werden.
    Armbrüster: Markiert dieses Abkommen nun einen Wendepunkt in der amerikanischen Außenpolitik?
    Bolton: Nur etwa ein Jahr lang, wenn ein Republikaner gewählt wird und dann das Abkommen außer Kraft setzt.
    Armbrüster: Und wie wird sich Israel jetzt verhalten?
    Bolton: Ich habe da jetzt nicht Informationen aus dem Inneren der Regierung, aber ich weiß, dass Israel bereits zweimal den Mut bewiesen hat, Nuklearanlagen in Feindstaaten zu vernichten, und ich glaube, das ist jetzt durchaus eine gangbare Option für Israel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.