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Atomabkommen mit dem Iran
Trittin: Zweifel an Einigung mit China und Russland

Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin hält neue US-Sanktionen gegen Iran für wahrscheinlich. Damit würde Donald Trump den Iranern einen Vorwand liefern, aus dem Atomabkommen auszusteigen. Er sagte im Dlf, um das Abkommen zu retten, müsse sich Europa nicht nur mit den USA, sondern auch mit China und Russland einigen.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Christiane Kaess | 24.04.2018
    Green Party politician Juergen Trittin speaks to MPs at a meeting of Green Party MPs at the Bundestag lower house of parliament in Berlin September 24, 2013. Chancellor Angela Markel presses on with the tough task of forming a government, with her potential centre-left allies of the SPD saying they were weighing options and would not be open for talks until a party meeting on September 27, 2013.
    Der Außenpolitiker Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) (AFP / John Macdougall)
    Mit der Aufkündigung des Abkommens würde Trump den Iranern einen Vorwand bieten, aus dem Abkommen auszusteigen, so Trittin. Er betonte, dass es nur mit allen Beteiligten gerettet werden könne - also auch unter Einbeziehung von China und Russland. Es müsse sich darüber verständigt werden, ob man den Einfluss des Iran in Syrien zurückdrängen wolle. "Da habe ich meine Zweifel, dass das mit China und Russland funktioniert", sagte Trittin.
    Mit Blick auf die Besuche von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Washington sagte Trittin, sie hätten "gemeinsame Aufgaben". Es gehe nicht um bilaterale Fragen, sondern um eine europäische Position. Frankreich und Deutschland dürften sich bei ihrer Außenpolitik mit Blick auf die USA nicht "auseinanderdividieren lassen". Europa hätte kein Interesse an einem Wettrüsten vor der Haustür oder an Handelskriegen. Trittin hält das derzeitige Verhältnis zwischen den USA und Europa für stärker belastet als etwa 2003, als Uneinigkeit zum Irak-Krieg herrschte.

    Das Gespräch in voller Länge:
    Christiane Kaess: Was macht Emmanuel Macron bei Donald Trump richtig, was Angela Merkel nicht gelingt?
    Jürgen Trittin: Das weiß man noch nicht. Das kommt auf die Ergebnisse an. Beide, die Europäer insgesamt haben zwei große Aufgaben vor der Brust. Das eine ist zu verhindern, dass es im Nahen Osten zu einem nuklearen Wettrüsten kommt. Das käme es, wenn das Iran-Abkommen fällt. Und zweitens zu verhindern, dass Europa nicht nur in einen Handelskrieg mit den USA, sondern vor allen Dingen nicht in einen Handelskrieg mit China – das ist inzwischen der wichtigere Markt – gerät. Und diese gemeinsame europäische Aufgabe haben beide vor der Brust, sind aber konfrontiert mit einer Politik in den USA, die ja im Wesentlichen einem innenpolitischen Motiv und innenpolitischen Interessen gehorcht, und dazu gehört zum Beispiel die Ablehnung des Nuklearvertrages. Man muss wissen, dass Donald Trump all die Dinge, die er im Wahlkampf versprochen hat, letztendlich exekutiert hat - Stichwort Ausstieg aus dem Klimaabkommen.
    Kaess: Herr Trittin, jetzt haben Sie schon ganz viele Inhalte angesprochen. Ich möchte erst noch mal bei der Atmosphäre bleiben. Ist die nicht auch wichtig und kann Macron da einfach besser mit Trump als Angela Merkel?
    Trittin: Das können Sie am Ende der Woche beurteilen, wenn Sie sehen, wie der Besuch der Kanzlerin abgelaufen ist. Sie ist ja eigentlich davon charakterisiert, dass man sie in der Regel unterschätzt, auch wenn ich das als Oppositionsabgeordneter nicht sagen sollte. Ich unterschätze sie nicht.
    "Frankreich und Deutschland dürfen sich nicht auseinanderdividieren lassen"
    Kaess: Aber wir haben auch gesehen, wie Macron ein bisschen auf die Masche der Männerfreundschaft setzt. Das tut Angela Merkel ja überhaupt nicht. Ist Macron da eigentlich konsequent, wenn er auf der einen Seite vor Populismus und Autokratie warnt, und dann aber auf der anderen Seite seine Gemeinsamkeiten mit Trump betont und von einer Special Relationship spricht?
    Trittin: Es gibt immer den Versuch, Brücken zu bauen in der Kommunikation. Nun darf man Kommunikation nicht mit Inhalten und der Substanz verwechseln, und da ist schlichte und ergreifende Tatsache, dass insbesondere hinsichtlich der Auseinandersetzung um den Handel innerhalb Europas Deutschland mindestens so wichtig ist wie Frankreich. Ich glaube vor allen Dingen, dass sich beide Länder nicht auseinanderdividieren lassen dürfen. Sie vertreten hier ein gemeinsames europäisches Interesse. Wir haben kein Interesse an einem Wettrüsten vor unserer Haustür und wir haben kein Interesse an einer Welt, die plötzlich sich in diversen kleinen oder größeren Handelskriegen verzettelt.
    Kaess: Und ist Angela Merkel da konsequenter, wenn sie Trump gegenüber von Anfang an kritischer aufgetreten ist als Macron?
    Trittin: Das weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, wie Frau Merkel beispielsweise die Anforderung beantworten wird, die ihr von Trump entgegengehalten wird. Die lauten ja, wenn man sie zusammenfasst, erstens: Die Deutschen sollen gefälligst ihren Rüstungsetat verdoppeln. Das ist eine der Forderungen, die er auf den Tisch legen wird. Und die zweite ist, sie mögen Northstream II nicht bauen, etwas was in Deutschland mittlerweile auf kompletter Strecke genehmigt ist. Da wird es ein ganzes Paket von Themen geben, die auf dem Tisch liegen, und es ist offen, wie die Kanzlerin sich dazu verhalten wird. Es ist vor allen Dingen offen, wie die Reaktion der Europäer sein wird, wenn Trump am 12. Mai das Iran-Abkommen aufhebt beziehungsweise die Sanktionen wieder zum Teil in Kraft setzt. Wird man darauf beispielsweise mit Maßnahmen zum Schutz der eigenen Unternehmen reagieren?
    "Deutsche Industrie fürchtet am meisten einen Konflikt mit China"
    Kaess: Bleiben wir bei den Inhalten, aber bei einem anderen wichtigen Punkt. Es geht auch um einen Streit in der Handelspolitik. Die USA haben gedroht mit Strafzöllen auf Stahl und Aluminium. Bis zum 1. Mai ist die EU jetzt erst mal ausgenommen. Können Merkel und Macron verhindern, dass diese Strafzölle langfristig oder mittelfristig doch kommen?
    Trittin: Ich glaube, dass hier tatsächlich eine Chance besteht, da die USA auch selber inzwischen merken, dass beispielsweise für ihre eigenen Hersteller etwa von Automobilen es teurer wird, wenn Spezialstahle aus Europa dann anschließend teurer werden. Hier gibt es massiven Widerstand auch aus der amerikanischen Industrie, sich auf diesen Konflikt einzulassen. Die entscheidendere Frage wird sein, ob sich als Preis für solche Dinge Europa einnorden lässt in einen Konflikt mit China, und das ist das, was die deutsche Industrie, die chemische Industrie, aber auch die Automobilindustrie und der Maschinenbau am meisten fürchten.
    Kaess: Wie glaubwürdig wäre denn eigentlich ein gemeinsamer Druck, den eventuell Angela Merkel und Emmanuel Macron da aufbauen, wenn genauso wie Trump auch Frankreich schon mal Deutschland wegen seiner Handelsüberschüsse kritisiert hat?
    Trittin: Es geht ja hier nicht um bilaterale Fragen zwischen Deutschland und den USA und Frankreich und den USA.
    Kaess: Nein, aber die Kritik ist die gleiche.
    Trittin: Es geht ja darum, dass Europa einen Handelsüberschuss hat, und Europa verhandelt das auch. Und hier gibt es in der Tat ein Problem, was innerhalb Europas gelöst werden muss. Bei uns in Europa ist die Binnennachfrage zu gering und hier würde ich Macron recht geben. Es ist in der Tat so, dass wir mehr investieren müssen in Europa. Die Binnennachfrage muss gestärkt werden. Das wird nicht über Handelskonflikte geschehen, sondern indem man mehr Geld in die Hand nimmt und hier in Infrastruktur entsprechend investiert. Das ist der Weg, das überbordende europäische Handelsdefizit nach unten zu bringen.
    "Neue US-Sanktionen, aber das Abkommen bleibt"
    Kaess: Das Thema Iran-Abkommen haben Sie schon kurz angesprochen. Auch das wird ein Streitpunkt, vermutet man zumindest, sein. Die Süddeutsche Zeitung berichtet heute, dass Deutschland, Frankreich und Großbritannien sich mit den USA auf Grundzüge für eine Vereinbarung geeinigt haben sollen. Die soll dann wiederum Trump davon abhalten, dieses Atomabkommen mit dem Iran zu kündigen. Das legt fest: Neue Sanktionen gegen Iran wegen der aggressiven Politik in der Region ja, aber das Atomabkommen, das soll bleiben. Und die Europäer sollen sich laut SZ einig sein: Wenn Trump das Iran-Abkommen kündigt, werden die Europäer nicht mitmachen. Was würde das bedeuten?
    Trittin: Erstens glaube ich, dass das sehr schwierig wird durchzustehen, weil man nicht selber Schutz für die eigenen Unternehmen hat. Man hat es bis heute nicht geschafft, Unternehmen, die im Iran investieren wollen, tatsächlich vor potenziellen Sanktionen zu schützen. Zum zweiten ist der Denkfehler in dieser Überlegung der Europäer ein relativ einfacher. Das Iran-Abkommen ist keines zwischen den USA, Europa und dem Iran, sondern da sind Russland und China mit am Tisch. Und es hat sich erwiesen, dass nur in dieser Einigkeit tatsächlich dieses Abkommen möglich war, insbesondere weil man dem Iran glaubhaft deutlich machen konnte, dass man ihn weltweit isolieren würde. Das funktioniert nicht in einem Alleingang, wenn ich das mal so sagen darf, oder in Teilsanktionen durch Europa und die USA. Hier wird man sich mit China und Russland verständigen müssen, ob man gemeinsam der Sicht der Dinge ist, dass man beispielsweise den iranischen Einfluss in Syrien eindämmen will. Da habe ich meine Zweifel, dass das mit Russland und China funktioniert.
    "Größte Belastungsprobe des US-europäischen Verhältnisses seit langer Zeit"
    Kaess: Aber was würde denn so ein Bruch für das transatlantische Bündnis bedeuten?
    Trittin: Ich glaube, dass wir vor der größten Belastungsprobe des US-europäischen Verhältnisses stehen seit sehr, sehr langer Zeit. Der Graben scheint mir tiefer zu sein, als in der Auseinandersetzung 2003 mit der Regierung Bush über den Irak-Krieg. Auch damals standen Deutschland und Frankreich auf der einen Seite und die USA auf der anderen Seite. Heute geht es sehr viel tiefer, weil es um fast auch zentrale Fragen der Geostrategie und insbesondere der Wirtschaftspolitik geht.
    Kaess: Und das alles würden Sie festmachen am Atomabkommen mit dem Iran?
    Trittin: Nein. Das gilt für das komplette Paket an Differenzen, die sowohl Emmanuel Macron wie Angela Merkel in dieser Woche mit Donald Trump zu verhandeln haben.
    Kaess: Sagen Sie uns zum Schluss noch, Herr Trittin. Glauben Sie, das Atomabkommen mit dem Iran ist noch zu retten? Wie schätzen Sie Donald Trump da ein?
    Trittin: Meine Einschätzung ist, dass überwiegend alles dafür spricht, dass er die Sanktionen zumindest teilweise wieder in Kraft setzt und damit den Iranern versucht, den Vorwand zu liefern, aus diesem Abkommen auszusteigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.