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Atomausstieg und Akw-Rückbau
Kosten für die Ewigkeit

Der Atomausstieg und die Abschaltung aller Kernkraftwerke sind beschlossen, der Rückbau der ersten Anlagen hat begonnen. Aber noch ist unklar, ob die Kraftwerksbetreiber mit ihren bisherigen Rückstellungen die erwarteten Milliardenkosten in Zukunft überhaupt bezahlen können. Deshalb wird über alternative Finanzierungskonzepte nachgedacht.

Von Manuel Waltz | 27.08.2015
    Schienengleise sind am 10.04.2013 in Philippsburg (Baden-Württemberg) vor dem Atomkraftwerk zu sehen.
    Soll irgendwann abgebaut werden: Das Atomkraftwerk Philippsburg in Baden-Württemberg. (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    "Ja, wir befinden uns jetzt hier auf dem eigentlichen Anlagen-Gelände des Kernkraftwerks Obrigheim. Hier links vor uns sehen Sie das Reaktorgebäude mit dieser halbrunden Kuppel. In diesem Gebäude findet der Abbau der Teile im Kontrollbereich statt."
    Jörg Michels ist im Vorstand der EnBW Kernkraft zuständig für die Stilllegung und den Rückbau der Atomkraftwerke. An drei Standorten besitzt Deutschlands drittgrößter Stromversorger fünf solcher Anlagen. Zwei Reaktorblöcke - Philippsburg zwei und Neckarwestheim zwei - sind noch in Betrieb; die beiden Einser-Blöcke sind abgeschaltet. Die Vorbereitungen für ihren Rückbau sind in vollem Gange. Das AKW Obrigheim, das fünfte der EnBW, liegt malerisch am Fuße des Odenwaldes direkt am Neckar zwischen Heilbronn und Heidelberg. Hier ist man schon weiter, viele Anlagenteile sind bereits ausgebaut. "Rechts sehen Sie dann das Maschinenhaus. In diesem Maschinenhaus waren früher die Turbinen und der Generator. Wir werden gleich sehen, wenn wir in das Maschinenhaus hinein gehen, dass das schon komplett leer geräumt und innen drin zurückgebaut ist."
    Das Ziel ist die grüne Wiese
    Das Kraftwerk Obrigheim wurde im Jahr 2005 gemäß dem Atomkonsens der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2000 stillgelegt. Geht alles glatt, dann soll ab 2020, spätestens 2025 die gesamte Anlage aus dem Atomrecht entlassen werden. Fast 20 Jahre dauert es also, bis alles auf dem Gelände abgebaut, gereinigt und dekontaminiert ist. Etwa eine halbe Milliarde Euro hat die EnBW hierfür eingeplant.
    "Hier waren während der Betriebszeit runde 350 Mitarbeiter, mittlerweile sind es unter 200. Wir haben noch viele Überwachungstätigkeiten und auch die Rückbauaktivitäten müssen von natürlich entsprechend geschultem und verantwortlichem Personal durchgeführt werden. Dieses Kraftwerk kostet nur noch. Geld wird nur verdient, wenn die Anlagen laufen und die Preise an der Börse entsprechend sind."
    110 kerntechnische Anlagen wurden in Deutschland seit den 50er-Jahren errichtet, darunter 37 kommerziell betriebene Reaktorblöcke an 27 Standorten. Der letzte von ihnen, so wurde es nach der nuklearen Katastrophe von Fukushima 2011 gesetzlich festgeschrieben, wird im Jahr 2022 vom Netz gehen. All diese Anlagen müssen die ehemaligen Betreiber stilllegen und abbauen. Das Ziel ist die grüne Wiese.
    Außerdem muss der gesamte radioaktive Müll so sicher wie möglich in Endlagern für tausende von Jahren verwahrt werden. All das müssen laut Gesetz die Verursacher, also die Betreiber der Atomkraftwerke zahlen. Aber haben die Stromkonzerne überhaupt das Geld dafür? Und was passiert, wenn sie es nicht haben? Das Ende der Atomkraft in Deutschland ist nicht erreicht, wenn das letzte AKW abgeschaltet ist - sondern wenn der Atommüll sicher untergebracht ist. Doch noch bevor die Frage nach dem Ort der Endlagerung beantwortet ist, taucht nun eine neue Frage auf: Reichen die Rücklagen der Konzerne für den Atomausstieg? Und wer haftet sonst?
    Ein Mitarbeiter sitzt am 19.03.2014 in Obrigheim (Baden-Württemberg) auf dem Gelände des Atomkraftwerks des Energiekonzerns EnBW im Zentralen Leitstand für den Rückbau des Reaktors.
    Ein Kontrollraum des Atomkraftwerks Obrigheim des Energiekonzerns EnBW. (dpa / Uwe Anspach)
    Milliardenrückstellungen für den Rückbau
    "Und das ist tatsächlich eine Riesenaufgabe, und ich denke, in dem Bereich ist es tatsächlich so, dass die Kritiker der Atomenergie recht behalten haben, dass das unverantwortlich war, mit dieser Technologie anzufangen, allein aus diesem Grund heraus, dass es eigentlich keine wirklich zufriedenstellende Lösung für die Lagerung des Mülls geben wird." So fasst Thorben Becker vom Umweltverband BUND das Dilemma zusammen. Jahrelang hat er gegen die Atomkraft gekämpft, jetzt kämpft er dafür, dass dieses Kapitel der deutschen Geschichte so gut wie möglich geschlossen wird. Denn die Kraftwerke und die Brennstäbe sind da, sie müssen auseinandergenommen werden, und der strahlende Müll muss sicher gelagert werden. Für all das haben die Konzerne - EON, RWE, EnBW und Vattenfall - etwa 38 Milliarden Euro zurückgelegt.
    Ob dieses Geld reichen wird, das weiß aber niemand. Größtes Kostenrisiko ist das Endlager für hochradioaktiven Müll. Weltweit gibt es noch keines und damit auch keine Anhaltspunkte, wie viel so etwas kosten wird. Die Konzerne schätzen daher selbst ab, wie viel sie wohl insgesamt zahlen müssen. Nicht einmal die Regierung weiß, wie diese Zahlen genau zustande kommen. Das zuständige Wirtschaftsministerium von Sigmar Gabriel will dem Deutschlandfunk dazu nur schriftlich antworten. Auf die Frage, wie sich die 38 Milliarden errechnen, schreibt das Ministerium:
    "Die Betreiber der Kernkraftwerke tragen die Kostenverantwortung für Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke und die Entsorgung des radioaktiven Abfalls."
    Grundlagen der Kostenschätzungen unklar
    Mehr kann oder will man nicht sagen. Thorben Becker fordert, diese Zahlen zu kontrollieren, denn die Unternehmen hätten ein Interesse daran, das Geld eher knapp zu bemessen. "Es gibt eben die Kostenschätzung der AKW-Betreiber, die den Rückstellungen zugrunde liegen. Die sicherlich auch auf bestimmten Grundannahmen beruhen, aber da gibt es eben keine Überprüfung. Wenn man das mit Rückstellungen in anderen Ländern vergleicht, dann fallen die Rückstellungen in Deutschland vergleichsweise niedrig aus. Und dafür gibt es aus unserer Sicht überhaupt keinen Grund, dass man das annehmen könnte. Ganz im Gegenteil."
    Auch Professor Erik Gawel vom Helmholtzzentrum für Umweltforschung in Leipzig hat große Zweifel, ob das Geld am Ende wirklich reichen wird. "Aber das ist ja auch nur die eine Frage. Also ob das bilanziell Zurückgestellte betragsmäßig ausreicht. Die andere Frage ist, ob diese Beträge, die bilanziell ausgewiesen sind, tatsächlich fließen können."
    Arbeiter bauen am 14.01.2014 auf dem Gelände des Kernkraftwerks in Mülheim-Kürlich (Rheinland-Pfalz) Wege für den weiteren Rückbau um.
    Rückbau des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich. (picture-alliance/ dpa / Thomas Frey)
    Denn in Deutschland dürfen die Atomkonzerne mit diesen Rücklagen praktisch machen, was sie möchten. Sie müssen sie nur in ihrer Bilanz ausweisen. Eine Praxis, die auch in der EU äußerst kritisch gesehen wird, so Thorben Becker. "Auch die EU-Kommission hat Anfang der Nuller-Jahre eine Initiative gestartet, im Prinzip eine Lösung für die Rückstellungen, wie sie in Deutschland vorgesehen ist, europaweit zu untersagen. Damit konnte sie sich gegen die Nationalstaaten nicht durchsetzen."
    Zweifel, ob das Geld reicht
    Die Unternehmen haben das Geld beispielsweise in Kraftwerke oder Tagebaue gesteckt. Die Gewinne daraus blieben entweder im Unternehmen oder wurden an die Aktionäre ausgeschüttet. Doch in Zeiten der Energiewende funktioniert dieses Geschäftsmodell nicht mehr. Die Erneuerbaren Energien und das Überangebot am Strommarkt haben die Konzerne in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht. Viel zu spät haben sie auf den Wandel reagiert. Deshalb wachsen die Zweifel daran, ob die vier Unternehmen die Milliarden für den Rückbau wirklich noch aufbringen können. Professor Wolfgang Irrek hat den Lehrstuhl für Energiewirtschaft an der Hochschule Ruhr West. Er hat anhand der Bilanzen und weiterer Unternehmensdaten für die grüne Bundestagsfraktion untersucht, wie die Stromkonzerne ihren Verpflichtungen nachkommen können.
    "Und ein Ergebnis unserer Studie ist, dass die Finanzierung aus Krediten Jahr für Jahr schwieriger wird für die Atomkonzerne, weil deren Credit-Rating sich Jahr für Jahr verschlechtert. Ein weiteres Ergebnis unserer Studie ist, dass der Cash-Flow nicht wirklich ausreicht, um die Verpflichtungen zu erfüllen. Um diese heutigen schon feststehenden Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, bräuchte EON beispielsweise 76 Jahre den Cash-Flow, den EON heute hat."
    Außerdem müssen die Konzerne mit dem Cash-Flow, dem flüssigen Geld also, vor allem das tägliche Geschäft am Laufen halten. Und die Finanzierung über Kredite, so Wolfgang Irrek, ist deshalb kaum möglich, weil die Konzerne bereits hoch verschuldet sind. Demgegenüber stehen Unternehmenswerte, die verkauft werden könnten. Wenn "man jetzt bedenkt, dass die Geschäftsentwicklung aber derzeit nicht besonders rosig ist für alle Atomkonzerne, und gerade im Kraftwerksbereich zukünftig mit Verlusten zu rechnen ist, dann heißt das umgekehrt, dass diese Substanz, dieses materielle Vermögen Jahr für Jahr weniger werden wird. Aber die langfristigen Verpflichtungen, die werden nicht weniger, sondern die werden Jahr für Jahr mehr. Und dann haben wir das Problem, dass diese materiellen Vermögenswerte die Verpflichtungen nicht mehr decken können."
    Am Ende müsste der Steuerzahler einspringen
    Und im Falle einer Insolvenz müssten nach derzeitigem Recht diese Schulden auch aus den Rücklagen in den Bilanzen bedient werden. Ein großer Teil wäre dann also weg, und der Staat müsste einspringen. Doch laut Thorben Becker vom BUND ist das noch lange nicht die einzige Gefahr für die Steuerzahler. "In den letzten Jahren erleben wir tatsächlich nicht nur, dass die Konzerne Probleme bekommen, sondern dass sie aktiv versuchen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Bei Vattenfall sieht man das sehr deutlich. Die versuchen eigentlich, die Konzernmutter in Schweden möglichst von jeder Verantwortung und jeder Haftung rechtlich abzuschotten."
    EON hat ebenfalls angekündigt, sich zum ersten Januar 2016 in zwei Konzerne aufzuspalten. In dem einen Teil - er wird UNIPER heißen - soll dann das Geschäft mit der Erzeugung von Strom aus Atom-, Kohle- und Gaskraftwerken versammelt werden, das nach Ansicht praktisch aller Experten kaum eine Zukunft hat. Aus diesem Unternehmensteil sollen auch Rückbau und Endlagerung bezahlt werden. Auch bei RWE werden die Weichen bei der kürzlich angekündigten Konzern-Umbildung genau für solch einen Schritt gestellt, auch wenn der Energiegigant aus Essen ihn noch nicht angekündigt hat.
    Zurück in Obrigheim. Jörg Michels, der Vorstand der EnBW Kernkraft, zeigt die ehemalige Maschinenhalle. Vor der schmalen Balustrade geht es gut 20 Meter nach unten. "Sie sehen auf dem Bild gegenüber, wie es zu Betriebszeiten hier aussah, auf dem sogenannten Turbinenflur, auf dem wir uns hier befinden, war früher der Generator mit den Turbinen, und wie Sie jetzt hier im Gebäude sehen und auch an dem Hall hören können, ist das Gebäude, was die systemtechnischen Einrichtungen angeht, komplett leergeräumt. Das heißt, der Abbau hier im Maschinenhaus hat bereits voll umfänglich stattgefunden."
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) besucht am 26.08.2015 im Rahmen ihrer Sommerreise das bundeseigenen Energiewerke Nord (EWN) in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern).Dort informiert sich die Bundesumweltministerin über den Rückbau des früheren Atomkraftwerkes.
    Bundesumweltministerin Barbara Hendricks informiert sich über den Akw-Rückbau. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    In dem Loch, so groß wie eine Turnhalle, stand einmal der Generator, der den Strom produziert hat. Nun ist hier nichts mehr, die Halle wird als Lager genutzt. "Ja und das ist auch der Weg, den das Reaktorgebäude jetzt geht. Ein Großteil der Komponenten und Systeme aus dem Reaktorgebäude ist bereits ausgebaut, weitere werden noch ausgebaut, und ein wesentlicher Schritt ist jetzt im Moment dann noch die Zerlegung des Reaktordruckbehältergefäßes selbst, dem ehemaligen Herzstück der Anlage."
    Endlager für das radioaktive Material werden noch gesucht
    Im Gegensatz zu allem, was hier in der Maschinenhalle abgebaut wurde, sind die Teile im Reaktorgebäude radioaktiv kontaminiert. Der 135 Tonnen schwere Druckbehälter und der ein Meter dicke Mantel aus Stahlbeton drum herum sind sogar aktiviert. Das bedeutet, dass das Metall durch den jahrelangen Beschuss mit Ionen nun selbst strahlt, es kann nicht gereinigt werden. Diese zig Tonnen Material müssen erst in ein Zwischenlager transportiert und dann irgendwann endgelagert werden.
    "Insgesamt sind die Betreiber aufgrund der gesetzlichen Vorgaben dazu verpflichtet, für alle Aspekte des Betriebs, des Nachbetriebs, der Stilllegung, des Abbaus, der Reststoffbearbeitung, der Zwischen- und Endlagerung zu zahlen, auch wenn sie selbst nur den Bereich des Rückbaus, der Reststoffbearbeitung und der Zwischenlagerung direkt verantworten und steuern können. Bei der Zwischenlagerung können sie natürlich nicht den Zeitraum steuern, denn der ist abhängig davon, wann die Endläger zur Verfügung gestellt werden."
    Diese Endlager zu finden, dafür ist der Staat zuständig. Für schwach- und mittelradioaktive Stoffe wird das irgendwann Schacht Konrad bei Salzgitter sein. Allerdings wird der Platz dort nicht reichen. Ein Standort für ein Endlager für hochradioaktiven Müll ist weiterhin völlig offen, schon das Verfahren der Suche ist seit Jahren umstritten. Nach einer Konzernaufspaltung, wie sie EON oder möglicherweise auch RWE anstreben, müsste nach einer gewissen Übergangsfrist nur noch der eine Konzernteil für Mehrkosten für die Suche und den Betrieb eines Endlagers haften. In diesem aber sind neben Atom noch das Geschäft mit Kohle- und Gaskraftwerken untergebracht. Damit, so der Leipziger Umweltforscher Gawel, lasse sich aber künftig kaum noch etwas verdienen.
    Ein Demonstrant baut im Juli 2001 eine Mauer am Eingang zu dem im lothringischen Bure gelegenen unterirdischen Versuchslabor für die Lagerung von Atommüll.
    Bislang gibt es kein einziges Endlager weltweit. Niemand will es. (picture alliance / dpa / epa / Martin Bureau)
    "Also, das sind sozusagen zwei große Risiken: Also Erträge der Zukunft und die verringerte Vermögensmasse, und das lässt natürlich aufhorchen. Wenn hier auf diese Weise, die zunächst mal natürlich nicht beanstandet werden kann, aber natürlich die Risiken für die öffentliche Hand merklich wachsen."
    Atomkonzerne klagen gegen den Ausstieg
    Zu einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk über diese Vorwürfe hat sich leider keiner der drei Konzerne EON, Vattenfall und RWE bereitgefunden. Auch das Deutsche Atomforum wollte sich nicht äußern. Nur EnBW, das keine Aufspaltung plant, stand für diesen Beitrag Rede und Antwort. RWE und Vattenfall beantworteten einige Fragen schriftlich.
    Mittlerweile haben die Atomkonzerne rund 30 Klagen gegen die Bundesrepublik angestrengt, die meisten richten sich gegen den Atomausstieg nach Fukushima. Vattenfall bestreitet genauso wie RWE, dass der teils schleppende Rückbau damit zu tun hat.
    Bei EON ist genau solch ein Zusammenhang jedoch am offensichtlichsten. Das EON-Kraftwerk Unterweser wurde nach der Katastrophe von Fukushima 2011 abgeschaltet. In dem Antrag auf Rückbau will der Konzern aber die Zusicherung, dass er das Kraftwerk nicht zurückbauen muss, sollte die Klage gegen den Atomausstieg erfolgreich sein. Will EON das Kraftwerk wieder anfahren - oder nur vor Gericht so viel Geld wie möglich herausholen? Der Chef der Kernkraft-Sparte möchte darauf nicht einmal schriftlich Auskunft geben.
    Konzernhaftung soll geändert werden
    Das Geld für den Rückbau der Kernkraftwerke sei zudem ein Faustpfand der Konzerne gegenüber der Regierung, so Thorben Becker vom BUND. "Zumindest besteht die Gefahr, dass die Regierung sich da erpressbar macht, und das hat etwa EON ziemlich offen auch im Zuge der Umstrukturierung so gesagt. Auf die Frage hin, welche Zukunftsperspektive denn der Konzerne UNIPER hat, der sich mit den ganzen alten Kraftwerken beschäftigt, vor allem mit Kohle - da war die klare Antwort, ‚das hängt von politischen Rahmensetzungen ab‘, also auf gut Deutsch: Wenn die Bundesregierung ambitionierten Klimaschutz macht, dann hat diese Gesellschaft keine gute Perspektive, und das heißt auch, dass dann relativ schnell die Rückstellungen an Wert verlieren und die Gefahr besteht, dass hier das Geld perspektivisch nicht mehr da ist."
    Im Bundeswirtschaftsministerium ist man sich dieses Risikos bewusst. Das Haus von Sigmar Gabriel schreibt auf Anfrage:
    "Die Bundesregierung prüft derzeit intensiv die Möglichkeit, die Konzernhaftung für den Bereich der Kernenergie neu zu regeln. Ziel ist es, einerseits die Mutterkonzerne langfristig in Haftung zu nehmen und andererseits die jetzt die Kernkraftwerks-Betreibergesellschaften beherrschenden Konzerne auch künftig für die atomrechtlich bedingten Kosten des Rückbaus und der Entsorgung in der Verantwortung zu halten. Die Bundesregierung arbeitet intensiv an der Erarbeitung eines möglichen Regelungsvorschlages. Ein genauer Zeitplan steht derzeit noch nicht fest."
    Die Zeit drängt allerdings, EON will sich zum Jahreswechsel aufteilen. Das Unternehmen hat bereits eine Klage gegen Gabriels geplantes Gesetz angekündigt. Um das Geld etwa vor Insolvenzen zu schützen, wurde ein öffentlich-rechtlicher Fonds ins Gespräch gebracht, in den die Konzerne einzahlen und aus dem dann der Rückbau und die Endlagerung bezahlt würden. Wie so oft kommt es aber aufs Detail an. Die Konzerne und auch die Union favorisieren eine Form ähnlich der RAG Stiftung, die für die Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet aufkommt. Eric Gawel vom Umweltforschungszentrum: "Der große Nachteil einer solchen Lösung wäre natürlich, dass man damit per Stichtag einen Schnitt macht und die Mittel, die dann in diesem Fonds liegen, die sind es dann. Was immer zusätzlich benötigt wird, muss natürlich von der öffentlichen Hand - also von uns allen - beigesteuert werden, und das atomrechtliche Verursacher-Prinzip bleibt dann auf diese einmal transferierten Mittel begrenzt. Und das ist nicht ganz einfach, weil keiner eben weiß, wie viele Milliarden wir tatsächlich benötigen werden und wann."
    Die Hauptverwaltung der E.ON Ruhrgas in Essen-Rüttenscheid
    Die Hauptverwaltung der E.ON Ruhrgas in Essen-Rüttenscheid (dpa / picture alliance / Horst Ossinger)
    Fondslösung in der Diskussion
    Umweltverbände und auch Energiewirtschaftsexperte Irrek plädieren zwar auch für einen Fonds. Allerdings wollen sie die Konzerne dazu verpflichten, Geld nachzuschießen, sollte das Vermögen nicht ausreichen. Auch die Bundestagsgrünen unterstützen diesen Vorschlag. Grünen-Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl fordert, solch einen Fonds innerhalb von fünf Jahren mit dem entsprechenden Vermögen auszustatten. Sie verlangt, das Verursacher-Prinzip konsequent anzuwenden.
    "Also wenn man nicht akzeptieren möchte, dass ein Teil der finanziellen Verantwortung auf die öffentliche Hand übergeht, dann wird man den Konzernen an dieser Stelle wehtun müssen. Anders geht es nicht. Entweder man kommt ihnen entgegen - oder man sagt: Nein! Ihr seid verantwortlich dafür und wir haben die Verantwortung zu schauen, dass das Geld dann, wenn wir es brauchen, auch vorhanden ist. Und dazwischen gibt es keinen Kompromiss."
    Wieder einmal will die Regierung nun eine Kommission einsetzen, die bis Ende November Lösungsvorschläge erarbeiten soll. Derzeit spricht alles für einen oder mehrere Fonds, die von den Konzernen gefüllt werden. Hauptknackpunkt wird sein, ob die Konzerne unbegrenzt für alle Mehrkosten aufkommen müssen - oder eben nicht. Denn auch eine solche Kommission kann eine zentrale Frage nicht klären: Wie viel die friedliche Nutzung der Atomkraft und vor allem die sichere Beseitigung ihrer Hinterlassenschaften am Ende wirklich kosten wird. Sie kann nur die Weichen stellen, wer am Ende wie viel davon bezahlen muss.