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Atomgespräche mit dem Iran
"Wenn die Gespräche abgebrochen werden, wird es gefährlich"

Sollten die Verhandlungen der UNO-Vetomächte und Deutschlands mit dem Iran scheitern, würde eine militärische Operation gegen den Iran im US-Kongress wieder diskutiert, sagte der Nahost-Experte Michael Lüders im Deutschlandfunk. Dort gebe es Hardliner, die noch immer eine Intervention forderten.

Michael Lüders im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.11.2014
    Michael Lüders , aufgenommen am 14.10.2011 auf der 63. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Der Nahost-Experte Michael Lüders (dpa / Arno Burgi)
    Es gebe keine andere Lösung als einen Kompromiss, sagte Michael Lüders - auch wenn eine fristgemäße Einigung bis Montag um Mitternacht nicht realistisch scheine. Lüders riet zu einer Verlängerung der Gespräche, die drei bis sechs Monate in Anspruch nehmen könnte. Die westlichen Staaten müssten sich damit arrangieren, dass der Iran ein Machtfaktor sei, der bei der Bekämpfung des gemeinsamen Gegners, des "Islamischen Staats", wichtig sei.
    Die entscheidende Frage hinsichtlich einer Einigung sei, ob die USA bereit seien, die scharfen Sanktionen gegen den Iran aufzuheben, sagte Lüders. US-Präsident Obama könne sie per Dekret vorübergehend aussetzen. Die pro-israelische Stimmung im US-Kongress sei allerdings ausgeprägt, weshalb eine Aufhebung der Strafmaßnahmen nicht realistisch scheine. Weniger schwierig sei es, die Sanktionen von EU und UNO aufzuheben.
    Sollten die Sanktionen bestehen bleiben, bestünde die Gefahr, dass sich auch im Iran radikalere Kräfte wieder in den Vordergrund drängten, so Lüders.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Vergangenen Dienstag sind sie in die letzte Runde gegangen, die Verhandlungen der sogenannten Fünf-plus-eins Gruppe mit dem Iran, die das Ziel haben sicherzustellen, dass das Land keine Atombombe baut. Seit elf Jahren bereits geht der Streit hin und her. Bis heute 24 Uhr sollte endlich eine Lösung gefunden sein. Dazu sind die Außenminister der Verhandlungspartner - das sind neben dem Iran die fünf UNO-Vetomächte USA, Großbritannien, Frankreich, China, Russland sowie Deutschland - eigens nach Wien gereist. Aber auch das hat offenbar nicht geholfen. Alles deutet darauf hin, dass es noch einmal zu einer Verlängerung der Frist kommen wird. Am Telefon ist jetzt Michael Lüders, Publizist und Iran-Kenner. Schönen guten Morgen, Herr Lüders.
    Michael Lüders: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Kein Durchbruch in Wien, so wie es aussieht. Muss man also sagen, dass die Verhandlungen gescheitert sind?
    Lüders: Nein, gescheitert sind sie eigentlich nicht. Sie werden nur sehr zäh und sehr langwierig geführt, jetzt schon seit einem Jahr, und sie werden vermutlich noch einmal um bis zu einem Jahr verlängert werden. Vordergründig steht im Mittelpunkt die Frage, reichert denn der Iran auch weiterhin Uran in einem Umfang an, das möglicherweise zum Bau einer Atombombe reichen könnte, oder nicht. Es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass das wirklich geschieht, aber man möchte vorsichtig sein. Vor allem aber sind diese Sanktionen nicht nur dafür gedacht, die gegen den Iran seit Jahren verhängt worden sind und immer schärfer geworden sind, den Iran in die Pflicht zu nehmen, sondern auch zumindest in der Vergangenheit einen Regimewechsel im Iran herbeizuführen. Und letztendlich lautet die Frage: Wenn die Fünf-plus-eins verhandlungsführenden Staaten ein Abkommen mit dem Iran schließen, sind sie dann bereit, sind namentlich die USA und Israel bereit, den Iran als einen Machtfaktor im Nahen und Mittleren Osten zu akzeptieren oder nicht? Und diese Frage ist noch nicht abschließend beantwortet worden.
    "Ein Umdenken in der amerikanischen Administration"
    Heckmann: Die Gespräche sind zäh und langwierig, sagen Sie. Seit elf Jahren in der Tat gibt es diesen Streit. Teheran pocht auf die zivile Nutzung der Atomkraft und auf die Aufhebung der Sanktionen. Der Westen, aber auch China und Russland wollen sicherstellen, dass der Iran keine Bombe baut. Das sind nach wie vor in dieser langen Zeit die gleichen Fragen. Man hat doch das Gefühl, man ist eigentlich keinen Schritt weiter, oder?
    Lüders: Ja, in der Tat. Es ist so, dass seit elf Jahren in der Tat diese Verhandlungen geführt werden. Die jüngste Verhandlungsrunde, die dauert jetzt seit einem Jahr an, und es geht wie gesagt um den Kern der Frage, kann man sich mit einer islamischen Republik Iran arrangieren, die eine Politik betreibt, die nicht im Interesse des Westens liegt, oder möchte man das nicht. In der Vergangenheit war die Überlegung, mithilfe von Sanktionen den Iran in die Knie zu zwingen. Da hat jetzt im Laufe des letzten Jahres insbesondere ein Umdenken stattgefunden innerhalb der amerikanischen Administration. Man ist wahrscheinlich bereit, sich mit dem Iran zu arrangieren. Zumindest die Regierung Obama ist das, nicht zuletzt mit Blick auf die Veränderungen, die es gegeben hat im Nahen und Mittleren Osten, allem voran dem Vormarsch des Islamischen Staates, und Washington und Teheran haben hier einen gemeinsamen Gegner, nämlich diesen islamischen Staat.
    Heckmann: Sie würden also sagen, Herr Lüders, dass die Probleme vor allem im Westen liegen und nicht in Teheran?
    Lüders: Ich glaube, beide Seiten tun sich schwer damit, die Hardliner jeweils, aufeinander zuzugehen. Aber in der Vergangenheit war es in der Tat so, dass die Sanktionen ganz eindeutig auf einen Regimewechsel abzielten. Die Sanktionen, die die USA 2012 verabschiedet haben gegen Teheran, waren die schärfsten, die jemals verhängt worden sind gegen einen Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen. Das betrifft insbesondere den Ausschluss Irans vom SWIFT-Abkommen. Seither können keine Geldüberweisungen mehr in den Iran oder von dem Iran in Richtung Westen oder sonst wohin auf der Welt unternommen werden. Und das ist die große Frage: Gelingt es, diese Krux aufzulösen. Herr Remme hat es in seinem Bericht ja angesprochen. Es gibt im Kongress sehr viel Zurückhaltung gegenüber einer Normalisierung der Beziehungen zum Iran. Aber wenn diese Sanktionen nicht aufgehoben werden können, dann macht auch ein Abkommen keinen Sinn. Der entscheidende Grund dafür, warum es keinen Durchbruch gegeben hat, ist nicht, dass die Verhandlungen nicht längst zum Abschluss hätten geführt werden können, sondern die Frage, ist man in den USA, ist man im Kongress bereit, diese Sanktionen wirklich aufzuheben, und danach sieht es im Augenblick nicht aus.
    Heckmann: Jetzt gehen wir mal davon aus, Herr Lüders, dass es wirklich so kommt, dass die Verhandlungen verlängert werden, ob um ein halbes Jahr oder ein Jahr ist eigentlich im Prinzip jetzt auch sekundär. Die Frage ist dann allerdings: Was soll denn dann anders sein? Was soll dann besser sein? Der Widerstand im Kongress, der wird ja eher stärker.
    Lüders: Das ist genau der entscheidende Punkt und deswegen wird es auch erst einmal keine Einigung geben. Das weiß man auch in Teheran. Obama möchte ganz klar eine Deeskalation des Konfliktes mit dem Iran, aber da ist er in einer Minderheit. Seine unmittelbare politische Umgebung, die Hardliner im Kongress sind eine ernst zu nehmende Herausforderung. Obama kann für einen gewissen Zeitraum die Sanktionen per Dekret teilweise aussetzen, aber eben nur vorübergehend. Kommt ein anderer amerikanischer Präsident an die Macht, dann ist es vorbei mit diesen Dekreten, vor allem, sollte es ein Republikaner werden, und dann geht das Spiel von vorne los. Es ist also eine völlig offene Frage, ob es gelingt, die Sanktionen aufzuheben, und danach sieht es im Augenblick nicht aus.
    Die Sanktionen, die die Europäische Union verhängt haben, und die der Vereinten Nationen, die kann man aufheben. Das ist überhaupt kein Problem. Das lässt sich politisch durchsetzen. Aber eben nicht im Kongress, wo die pro-israelische Stimmung doch sehr ausgeprägt ist. Ich sehe nicht, dass es hier zu einem Durchbruch kommt. Der Konflikt wird uns weiter begleiten. Wenn es aber nicht zu einem Durchbruch kommt im Verlaufe des nächsten Jahres, dann wird es eng werden, denn auch Präsident Rohani im Iran muss natürlich auf die Hardliner Rücksicht nehmen. Wenn es keinen Durchbruch geben sollte, dann wird der Iran die Verhandlungen irgendwann abbrechen, und dann wird es wirklich gefährlich.
    "Den Iran anzugreifen, wäre tollkühn"
    Heckmann: Gefährlich in welcher Hinsicht?
    Lüders: Dann wird es möglicherweise doch wieder auf den Tisch kommen, die militärische Option, die Überlegung, gegen den Iran militärisch vorzugehen, was aber angesichts der Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten eigentlich niemand ernsthaft wollen kann. Wir haben den Konflikt mit dem Islamischen Staat, wir haben einen ungelösten Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, der immer mehr ein religiöser Konflikt wird, und jetzt auch noch den Iran anzugreifen, das wäre tollkühn. Aber es gibt Kreise, insbesondere unter den Republikanern in den USA, die ganz klar diese militärische Option wieder auf dem Tisch sehen wollen.
    Heckmann: Jetzt wollen wir noch einmal gemeinsam Richtung Teheran blicken, Herr Lüders. Der iranische Präsident Rohani, er gilt ja als gemäßigter Reformer. Wie groß ist denn überhaupt sein Spielraum, denn die Hardliner, auch in Teheran, die haben ja weiter großen Einfluss?
    Lüders: Die haben in der Tat nach wie vor großen Einfluss. Aber der Revolutionsführer, die entscheidende Machtinstanz, und auch andere Machtzentren in Teheran haben den Gemäßigten, haben insbesondere Präsident Rohani und seinem Verhandlungsteam grünes Licht gegeben, eine Vereinbarung zu finden mit dem Westen. Diese fünf plus eins Verhandlungen werden ja überwiegend mit den USA und den Europäern geführt. Russland und China sind eher nominell mit von der Partie. Es muss, wenn es hier keine Lösung gibt, natürlich damit gerechnet werden, dass es Rückschläge gibt. Die iranische Führung ist entschlossen, dieses Problem mit der Atomanreicherung zu lösen. Die Frage ist nur, ist das Regime uneingeschränkt glaubwürdig, oder werden hier Spiele gespielt. Umgekehrt muss man diese Frage auch in die Richtung des Westens stellen. Mohammed el-Baradei, der langjährige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien, hat in seinen politischen Memoiren "Wächter der Apokalypse" sehr klar beschrieben, dass es längst ein Abkommen mit Teheran hätte geben können, schon in den 2000er-Jahren, aber im letzten Moment sind sie immer wieder torpediert worden, diese Vereinbarungen, durch Interventionen aus Washington.
    Heckmann: Ganz kurz noch, Herr Lüders, zum Schluss: Wenn Sie jetzt in Wien wären und Ihren Rat geben müssten, was würden Sie beiden Seiten raten?
    Lüders: Weiterverhandeln für die nächsten drei bis sechs Monate und eine Lösung finden, sich damit arrangieren, dass der Iran ein politischer Machtfaktor ist im Nahen und Mittleren Osten, ob man das nun mag oder nicht, und der Iran wird gebraucht in der Bekämpfung des Islamischen Staates. Es gibt also gar keine Alternative, als einen Kompromiss zu finden mit Teheran.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.