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Atomkraft im Erdbebengebiet

Während hierzulande Atomkraftwerke nach und nach abgeschaltet werden, setzen andere Länder vor allem im Osten Europas weiter auf Atomstrom. In Bulgarien wurden im vergangenen Jahr zwar zwei Reaktoren abgeschaltet, doch Ersatz ist bereits in Planung. Umweltschützer sind entsetzt: Das neue Atomkraftwerk liegt in einem Gebiet mit hohem Erdbebenrisiko, die Technik kommt aus Russland, und die EU hat grünes Licht gegeben. Dirk Auer berichtet.

13.05.2008
    Belene - die ewige Großbaustelle an der Donau. Gelbe Baukräne ragen in den Himmel, ein paar Verwaltungsgebäude sind schon fertig, ebenso ein knallrotes Besucherzentrum. Hier sollen sie einmal stehen, die beiden Blöcke des neuen bulgarischen Atomkraftwerks. Gegen alle Vernunft, wie Albena Simeonova sagt. Die bulgarische Umweltaktivistin breitet eine seismologische Karte aus, die zeigt: Belene ist ein riskanter Standort:

    "Schon 1984 haben russische Wissenschaftler gesagt, dass das hier eine Erdbebenregion ist und solche Projekte deshalb sehr riskant sind. 1990 hat die bulgarische Akademie der Wissenschaft das bestätigt – in einem Bericht von fast 500 Seiten."

    Anfang der 90er Jahre wurde der Bau gestoppt – auch aus wirtschaftlichen Gründen. Doch vor vier Jahren hat die bulgarische Regierung das Projekt wieder aufgenommen. Ein neues Gutachten wurde in Auftrag gegeben. Und das brachte dann plötzlich ganz andere Ergebnisse.

    ""17 Jahre später wird dann plötzlich behauptet, dass es kein Risiko gebe, wieder mit Verweis auf Experten der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, anderen Experten natürlich. Aber die Wahrheit ist, dass die Regierung dafür bezahlt, dass sie Ergebnisse bekommen, die ihnen passen. Denn wie sagt man in Bulgarien: Wer zahlt, bestimmt die Musik."

    Während in Belene selbst fast alle für das Atomkraftwerk sind, sieht die Situation etwa 20 Kilometer weiter flussabwärts ganz anders aus. In dem kleinen Universitätsstädtchen Swishtov bebte am 4. März 1977 die Erde. Andrei Zachariew, Mitglied des Stadtparlaments, zeigt Fotos, die das Ausmaß der Zerstörung dokumentieren.

    "Jeder in Swischtov kann sich noch an 1977 erinnern. Das Erdbeben hat mehr als zwei Drittel der Gebäude zerstört, egal ob sie aus Ziegeln, Steinen oder Beton gemacht waren. 120 Menschen sind gestorben. Das kann hier niemand vergessen."

    Doch in dem jüngsten Risiko-Gutachten, auf das sich die bulgarische Regierung beruft, wird das Erdbeben überhaupt nicht erwähnt. Von einem absolut sicheren Gebiet ist da die Rede. Kein Wunder, meint Stadtrat Zachariew.

    "Die Regierung hat eine private Firma beauftragt, die gleichzeitig Kunde des staatlichen Energiekonzerns NEK ist. Millionen Dollar wurden bezahlt, für einen Bericht, der in nur drei Monaten fertig gestellt wurde. Umweltexperten haben dann aber über 200 gravierende Fehler in dem Dokument gefunden."

    In Ljubenovo, einem kleinen Dorf etwa 20 Kilometer westlich von Belene, ist Albena Simeonova zu Hause. Die Ökobäuerin ist Umweltaktivistin der ersten Stunde. Sie war Mitglied von Ekoglasnost, eine Umweltbewegung, die entscheidenden Anteil an der politischen Wende von 1989 hatte. Doch auch im Bulgarien der Nachwendezeit kann politisches Engagement gefährlich sein.

    "Es hat immer irgendwelche Drohungen gegeben. Aber vor zwei Jahren, da haben sie eine Grenze überschritten. Es kamen Leute vorbei, die sich vorstellten und sagten: Hör' besser auf, gegen das AKW zu arbeiten, sonst wirst du Probleme bekommen."

    Die Bauarbeiten am Reaktor sollen noch in diesem Jahr beginnen. Die einzige Hoffnung der Umweltaktivisten: Noch immer ist die Finanzierung nicht gesichert. Zahlreiche Banken haben sich schon wieder zurückgezogen - zu riskant war ihnen nach eingehender Prüfung das Engagement. Internationale Umweltorganisationen wie Greenpeace versuchen hier, weiter Aufklärungsarbeit zu betreiben. Denn in der Region selbst, einer der ärmsten in ganz Bulgarien, ist der Widerstand nur sehr schwach. Albena Simeonova:

    "Ich versuche den Leuten immer wieder zu erklären, dass die Regierung lügt, auch was den wirtschaftlichen Aufschwung betrifft, der hier immer versprochen wird. Es werden Fachkräfte von außen kommen. Der Region wird das auf keinen Fall helfen. Im Gegenteil."

    Sie schaut auf ihren Garten, die Blumenbeete - und dann über den Zaun auf die weiten Felder.

    "Der Ort des Tourismus ist hier, und nicht der Ort für Atomreaktoren."