Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Atomkraft? No, grazie

Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist überzeugt von der Zukunft der Kernenergie, die Bevölkerung hat Zweifel. Erst vor zwei Jahren hatte ein schweres Erdbeben die Abruzzen erschüttert.

Tim Kleinjung im Gespräch mit Ursula Mense | 10.06.2011
    Ursula Mense: Bei uns ist der Atomausstieg so gut wie beschlossene Sache, während unsere südlichen Lieblingsnachbarn nun per Volksentscheid darüber befinden sollen, ob sie den Wiedereinstieg wollen oder nicht. Dabei war Italien in Sachen Atomausstieg lange Zeit vorbildlich. Nach dem Tschernobyl-Unglück im April 1986 zwangen die Italiener ihre Regierung zum Ausstieg. Inzwischen aber hat sich die Situation geändert. Berlusconi ist überzeugt von der Zukunft der Kernenergie, auch nach der Katastrophe von Fukushima. Wie aber ist die Stimmung in der Bevölkerung? - Die Frage geht an Tilmann Kleinjung, ARD-Korrespondent in Rom.

    Tilmann Kleinjung: Ja, hallo!

    Mense: Hallo! - Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?

    Kleinjung: Also die Stimmung in der Bevölkerung ist eindeutig gegen Atomkraft. Da gab es schon mal eine Volksabstimmung vor mehr als 20 Jahren und 1987 haben die Italiener nach dem Unglück in Tschernobyl mehrheitlich entschieden, wir wollen kein Atomkraftwerk, und so ist es bis heute geblieben. Nun wollte Berlusconi das ändern, weil Italien abhängig war von Gasimporten aus Libyen und von Atomstromimporten aus Frankreich, aber die Bevölkerung ist, glaube ich, nach wie vor gegen diese Pläne.

    Mense: Gibt es da auch Vorbehalte zum Beispiel wegen der relativ hohen Erdbebengefahr?

    Kleinjung: Ja, es gibt solche Vorbehalte. Italien ist ja ein Erdbeben gefährdetes Gebiet, wie man weiß. Wir hatten hier vor zwei Jahren ein sehr, sehr schweres Erdbeben in den Abruzzen mit einer Stärke von 6,3 auf der Richterskala. Nicht auszudenken, was dann mit einem Atomkraftwerk, das in dieser Gegend konstruiert worden wäre, passiert wäre. Aber genau so etwas sehen die Atomkraftpläne Berlusconis vor, dass man auch in solchen Gebieten, eben auf dem Appenin, in der Toskana, in den Abruzzen Atomkraftwerke baut, und das kann man sich gar nicht vorstellen, dass das irgendwie gut gehen kann.

    Mense: Ist denn das Umweltbewusstsein in Italien inzwischen etwas mehr ausgeprägt, sage ich mal? Bisher wurden wir ja immer so ein bisschen dort belächelt.

    Kleinjung: Ja, es hat sich was verändert, würde ich sagen. Allein schon in dem einen Jahr, in dem ich jetzt hier in Rom wohne, ist zum Beispiel in der Stadt Rom die Mülltrennung eingeführt worden in vielen, vielen Stadtteilen. Jetzt wird doch sehr sorgfältig darauf geachtet, in welche Tonne du deinen Müll steckst. Das sind deutsche Verhältnisse. Wir waren das aus Deutschland bestens gewohnt, unsere italienischen Nachbarn haben noch ein paar Probleme damit, dass man eben den Plastik wirklich nur zum Plastik tut und das Papier zum Papier und vor allem den Biomüll in eine eigene Biomülltonne. Die werden täglich geleert, von daher gibt es da keine hygienischen Probleme in einer heißen Stadt wie Rom. Aber da tut sich einiges. Außerdem wurden ja jetzt in den Supermärkten die Plastiktüten verboten, auch das setzt sich so langsam durch.

    Mense: Jetzt könnte man sich ja auch vorstellen, bei ich weiß nicht wie vielen Sonnentagen im Jahr in Italien, da müsste ja eigentlich die Solarenergie im Vormarsch sein. Ist das so? Ist das ein Thema?

    Kleinjung: Das ist so. Ja, das ist auf jeden Fall ein Thema. Es ist auch die Windenergie im Vormarsch, vor allem in den Küstenregionen im Süden entstehen große Windparks. Und Solarenergie, da gibt es beispielsweise einen sehr, sehr großen, bis vor kurzem war das Europas größter Solarenergiepark in Montalto in der Toskana. Da gibt es nur wieder ein, ich sage mal, hausgemachtes Problem der Regierung; die hat die großzügigen Fördermöglichkeiten, die es da bis vor kurzem gab, einfach Anfang des Jahres gestrichen, und seit der Zeit stockt der Ausbau der Solarenergie.

    Mense: Also es gab bisher sogar eine staatliche Förderung für Privathaushalte?

    Kleinjung: Es gab eine staatliche Förderung, genauso wie in Deutschland, ja.

    Mense: Was glauben Sie denn wird herauskommen bei der Volksabstimmung am Montag?

    Kleinjung: Die Volksabstimmung am Montag, glaube ich, wird ein eindeutiges Ergebnis haben. Wir hatten ja schon mal eine Abstimmung in Sardinien vor wenigen Wochen, da wurden auch die Bürger gefragt, was sie von Atomkraftwerken auf ihrer Insel halten, und da haben mehr als 90 Prozent gesagt, wir wollen das nicht hier haben, wir wollen auch keine Endlager haben, wir wollen das alles gar nicht. Und ich denke mal, so wird es in etwa auch in Italien, in ganz Italien ausgehen, diese Abstimmung. Entscheidend ist - und das ist jetzt die ganz wichtige Frage - das Quorum, das erreicht werden muss. Nämlich 50 Prozent der Wahlberechtigten müssen mindestens an diesem Referendum teilnehmen, und das wird sehr, sehr schwer sein, das zu erreichen, vor allem, weil Ministerpräsident Berlusconi, dem dieses Referendum natürlich völlig gegen den Strich geht, genau das wollte er eben verhindern eigentlich, so ein Referendum, der hat gesagt, ich gehe da nicht hin, und das ist natürlich schon wieder eine Stimme weniger, die wichtig wäre, um dieses Referendum gelingen zu lassen.

    Mense: Tilmann Kleinjung über die für kommenden Montag angesetzte Volksabstimmung in Italien über den Wiedereinstieg in die Kernkraft.

    Atomkraft (dradio.de-Sammelportal)