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Atomminister Strauß

Im Oktober 1955 wurde Franz-Josef Strauß zum Chef des neuen Ministeriums für Atomfragen ernannt. Wirtschaftsminister Luwig Erhard erschien das Ressort völlig überflüssig, weshalb er anmerkte, es gebe doch auch kein Dampfkesselministerium. Doch Strauß konnte sich schnell als Ressortchef profilieren: Am 25. Juli 1956 präsentierte er die Grundzüge seines ministeriellen Programms, das die Ausarbeitung eines deutschen Atomgesetzes vorsah.

Von Wolfgang Stenke | 25.07.2006
    "Dieses Gesetz hat die Aufgabe, in Deutschland den Weg freizumachen für die wissenschaftliche Erforschung der Spaltung der Kernenergie, und für die wirtschaftliche Erschließung und Nutzung der Spaltung der Atomkerne."

    Franz Josef Strauß, der erste Atomminister der Bundesrepublik: Nachdem die Deutsche Atomkommission unter seinem Vorsitz binnen sechs Monaten bereits zum fünften Male zusammengetreten ist, informiert der Minister am 25. Juli 1956 die Presse: über die Ein- und Ausfuhr von Nuklearbrennstoffen, die beabsichtigte Gründung einer europäischen Atomgemeinschaft, den Strahlenschutz, die internationalen Verpflichtungen des Bundes auf dem Gebiet der Kernenergie. Alles Dinge, die demnächst durch ein deutsches Atomgesetz geregelt werden sollen, damit die erst 1955 souverän gewordene Bundesrepublik ihr "Atomprogramm" verwirklichen kann.

    Im Radio verkündet Strauß:

    "Wir haben in den Pariser Verträgen auf die Produktion von Atomwaffen verzichtet. Wir halten uns an die Grenzen dieses Verzichtes, und haben deshalb unsere ganzen rechtlichen Maßnahmen - und auch technischen und finanziellen Maßnahmen - ausschließlich auf die wissenschaftliche Erforschung und auf die friedliche Nutzung abgestellt."

    Durch Inkrafttreten der Pariser Verträge, im Mai 1955, endete das Regime der westlichen Besatzungsmächte. Damit entfielen auch etliche Restriktionen in Sachen Kernforschung und Kerntechnik, die der alliierte Kontrollrat den Besiegten auferlegt hatte. Wissenschaftler wie Werner Heisenberg und Otto Hahn, versuchten bereits unter den Bedingungen des Besatzungsrechts, wieder an ihre Forschungen vor 1945 anzuknüpfen.

    In der Deutschen Atomkommission, die Anfang 1956 vom neu ernannten Atomminister Strauß einberufen wurde, engagierten sie - und andere Naturwissenschaftler - sich gemeinsam mit Vertretern der Industrie und der Energiewirtschaft für den Ausbau von ziviler Atomforschung und -technik.

    Das passte in die Zeit: Nach dem Schock von Hiroshima und dem Beginn des atomaren Wettrüstens im Kalten Krieg propagierten die USA 1953 vor den Vereinten Nationen: "Atoms for Peace". Der Bielefelder Historiker Joachim Radkau:

    "Also schlagartig ein neues Licht über der Welt, Ende des Kalten Krieges, Schwerter werden zu Pflugscharen verwandelt. Das böse militärische Atom, das die Menschheit mit der Vernichtung bedroht, wird zum Retter der Menschheit. Das war damals die Stimmung."

    Um neue Verbündete zu gewinnen und die Alten fester an sich zu binden, boten die USA die Lieferung kompletter Forschungsreaktoren an - inklusive sechs Kilo "Uran 235" und einer Geldprämie von 350.000 Dollar. Die Möglichkeit, mit der neuen Technik zu experimentieren, beflügelte die kollektive Phantasie. Leo Brandt, Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium, einer der sozialdemokratischen Verfechter des deutschen Atomprogramms, 1956 auf einer Diskussionsveranstaltung in Köln, Motto: "Wir werden durch Atome leben!":

    "In den Urwäldern Südamerikas werden Städte gegründet werden. Man fliegt erst mit einem Hubschrauber auf eine Lichtung in den Wald, macht eine Landebahn, bringt alles, was notwendig ist, um ein Elektrizitätswerk zu bauen, mit Flugzeugen dorthin, setzt zum Schluss 50 oder 100 Kilo Uran 235 ein, und hat dann von Innen heraus alle Möglichkeiten, die Sache zu kultivieren."

    In der Bundesrepublik begann das neue Zeitalter freilich erst einmal mit der Lieferung von Forschungsreaktoren, über deren Kauf Atomminister Strauß im Sommer 1956 in den USA verhandelt hatte.

    "Deutschlands erster Atomreaktor entsteht in der Nähe von München. Der Meiler wird in der zweckmäßigen Eiform gebaut."

    Am 31. Oktober 1957 wurde der Reaktor in Garching bei München erstmals kritisch. Da war Franz-Josef Strauß - der nur ein Jahr im Ministerium für Atomfragen Dienst tat - schon längst ins Verteidigungsressort gewechselt. Dort betrieb er den Aufbau der Bundeswehr, die er später auch mit Nuklearwaffen bestückt wissen wollte.

    In seiner kurzen Zeit als Atomminister agierte Strauß zurückhaltender. Anders als die Deutsche Atomkommission - die frühzeitig für Eigenentwicklungen im Reaktorbau eintrat - setzte Strauß auf die Übernahme amerikanischer Technik. Das Atomgesetz, das unter Ablösung alliierter Rechtsvorbehalte den Rahmen für diese Politik schaffen sollte, trat allerdings erst 1960 unter Strauß’ Nachfolger Siegfried Balke in Kraft.