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Atommüll-Endlagersuche in der Schweiz

Die Schweiz untersucht derzeit sechs Standorte für eine mögliche Atommüll-Endlagerung, auch direkt an der Grenze zu Deutschland. Die betroffenen deutschen Gemeinden diskutieren zwar die Folgen, Proteste halten sich bislang aber noch in Grenzen. Damit das so bleibt, setzen die Schweizer Behörden und das Bundesumweltministerium auf Dialog und laden zu Informationsveranstaltungen ein, gestern Abend zum Beispiel im baden-württembergischen Jestetten.

Von Thomas Wagner | 28.11.2008
    " Wir bräuchten hier eigentlich in einem Fall, der einmalig ist, wo wirklich eine Anlage, die eine Million Jahre mögliche Auswirkungen hat direkt an der Grenze, nach meiner Überzeugung eine gleichberechtigte deutsche Beteiligung, Und die müsste man eben in einem Staatsvertrag regeln. Anders kann man dies der deutschen Seite nicht zumuten. Und dies sehe ich überhaupt nicht. "

    Applaus gestern Abend für Bernhard Wütz, Vorsitzender des Regionalverbandes Bodensee-Hochrhein. Der sprach den meisten der vielen hundert Besuchern in der Gemeindehalle Jestetten am Hochrhein aus der Seele: Auf der einen Seite nämlich liegen vier der fünf Standorte, die die Nationale Gesellschaft zur Lagerung von radiaktiven Abfällen in der Schweiz, kurz NAGRA, als mögliche Endlagerstätten radioaktiver Abfälle ausgeguckt hat, in direkter Grenznähe zu Deutschland. Auf der anderen Seite dürften die deutschen Grenzgemeinden, die nur ein paar Kilometer entfernt liegen, bei der Standortsuche nicht mitentscheiden. Michael Aebersold vom schweizerischen Bundesamt für Energie verwies zwar auf zahlreiche Anhörungen, bei denen auch deutsche Stimmen Gehör fänden.

    " Die haben ein großes Gewicht, nicht nur die deutschen Gemeinden, sondern auch die Landkreise, die wir schon lange einbezogen haben, dann aber auch Baden-Württemberg und schlussendlich das zuständige Bundesministerium - die haben Experten, die haben viel Fachwissen - die können in diesem Verfahren immer wieder mehrmals einbringen. "

    Der springende Punkt ist nur: Die Entscheidung über den Standort für das radioaktive Endlager treffen alleine die Schweizer Behörden und Gremien. Ein verbindliches Mitspracherecht für die deutsche Seite gibt es nicht. Und das empfindet Tillmann Bollacher, Landrat des betroffenen baden-württembergischen Landkreises Waldshut, als überaus unbefriedigend:

    " Wenn die Rahmenbewilligung, also die Genehmigung für den konkreten Standort der Anlage erteilt wird, dann wird es für Deutschland nach jetzigem Stand keine Möglichkeit mehr geben, diese Entscheidung, die vom Schweizer Volk getroffen wird, gerichtlich überprüfen zu lassen. Das ist ein Problem, das noch nicht gelöst ist. "

    Beispiel: Die 7500 Einwohner-Gemeinde Klettgau im Landkreis Waldshut. Wilchingen, eine der fünf möglichen Endlager-Stätten, liegt auf Sichtweite jenseits des deutsch-schweizerischen Grenzzauns. Dass zukünftig ausgerechnet dort der Müll der fünf schweizerischen Kernkraftwerke eingelagert werden könnte, erfüllt den Klettgauer Bürgermeister Volker Jungmann mit großer Sorge:

    " Wir haben kein gutes Gefühl. Wir haben die Angst, wenn es um Atom geht, um Atomlager geht, also die Sicherheit - das treibt uns sehr wohl um. Wenn Sie unter ihrem Bett, so in 600 Meter Tiefe, etwas Strahlendes haben, können Sie eigentlich nicht ruhig schlafen. "

    Dem Schweizer Versprechen, in den Entscheidungsprozeß eingebunden zu werden, mag der Klettgauer Bürgermeister dann auch nicht so recht Glauben schenken.

    " Dass wir möglicherweise mitarbeiten können, davon gehe ich aus. Aber Entscheidungen treffen können wir aufgrund der nationalen Regelungen nicht. Das wird über eine Volksabstimmung ganz klar entschieden werden. Und ich bin der Überzeugung, dass wir von deutscher Seite damit keinerlei Einflussmöglichkeiten haben. Und dadurch, dass es auch gerichtlich nicht nachprüfbar sein wird, ist unser Spielraum ganz gering. "

    Deshalb versucht Bürgermeister Volker Jungmann auf indirektem Weg Einfluss zu nehmen - durch informelle Kontakte mit den Schweizer Nachbargemeinden.

    " Wir probieren das auf der schweizerischen Seite. Wir haben uns bereits kurz geschlossen mit den schweizerischen Freunden in den Nachbargemeinden, dass wir dort die Einflussmöglichkeiten nutzen, dass wir schlussendlich das schweizerische Stimmvolk dazu kriegen, das abzulehnen in unserem Interesse. "

    Immer wieder kommt auf deutscher Seite die gleiche Frage auf: Warum liegen vier von fünf potentiellen Standorten für ein radioaktives Endlager in der Schweiz ausgerechnet so dicht in Grenznähe zur deutschen Nachbarschaft? Thomas Ernst, Geschäftsführer der Entsorgungs-Genossenschaft Nagra:

    " Ich muss Ihnen aber versichern, dass diese Standortvorschläge auf rein sicherheitstechnischen Kriterien basieren. Und es liegt an der Geologie, dass diese Standorte so grenznah sind und nicht an politischen oder akzeptanzmäßigen Überlegungen. "

    Gerade nämlich in Grenznähe zu Deutschland fänden sich im Untergrund jene Opaliston-Schichten, die nach Expertenmeinung über Jahrmillionen hinweg eine sichere Umgebung für radioaktive Abfälle böten. Tillmann Bollacher, Landrat in Waldshut:

    " Das ist kein Zufall. Aber die Darlegung der Schweizer Seite ist auf den ersten Blick plausibel. Aber: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Es kommt nun darauf an, ob wir die Dinge, die technisch zugrunde liegen, die wir als Laien gar nicht beurteilen können, dass diese Dinge von unabhängigen Experten auf deutscher Seite überprüft werden. "