Dienstag, 19. März 2024

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Atomtest
"Das atomare Know-How Nordkoreas schreitet voran"

Der Atomtest der vergangenen Nacht verdeutlicht: Nordkorea macht Fortschritte bei der technischen Entwicklung seiner nuklearen Sprengköpfe - so sieht es Patrick Köllner, Direktor des GIGA-Instituts für Asien-Studien. Das zeige auch die Energie, die bei der Explosion freigesetzt worden sei, sagte er im Deutschlandfunk.

Patrick Köllner im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 09.09.2016
    Auf einem großen Bildschirm vor der Pjöngjang Station ist eine Sprecherin des staatlichen Fernsehens zu sehen, die über den fünften Atom-Test Nordkoreas berichtet.
    Nordkorea bestätigt seinen fünften Atomtest (picture alliance / dpa / Kyodo / MAXPPP)
    Köllner erklärte, bei dem jüngsten Atomtest seien etwa zehn Kilotonnen Energie freigesetzt worden. Beim ersten Versuch 1996 seien es noch weniger als eine Kilotonne gewesen. Die Entwicklung berge sehr große Gefahren, auch wenn Nordkorea keine Atomwaffen einsetzen wolle. Denn es bleibe immer die Gefahr menschlichen Versagens.
    Er ergänzte, es sei von außen aber schwer zu beurteilen, ob Nordkorea nun - wie behauptet - in der Lage sei, Raketen mit Atomwaffen zu bestücken. Aber: "Wir müssen davon ausgehen, dass es hier tatsächlich zu substanziellen Fortschritten bei der Miniaturisierung der Sprengköpfe gekommen ist."

    Ann-Kathrin Büüsker: Es ist der fünfte Atomtest in Nordkorea. In der Nacht auf den heutigen Tag hat Pjöngjang einen Sprengkopf gezündet, was zunächst in den umliegenden Ländern als Erdbeben registriert wurde, bevor das nordkoreanische Staatsfernsehen die Zündung dann bestätigt hat.
    Wie ernst zu nehmen sind diese Tests? Darüber möchte ich nun mit Professor Patrick Köllner sprechen. Er ist Direktor des GIGA-Instituts für Asien-Studien. Guten Tag, Herr Köllner.
    Patrick Köllner: Ich grüße Sie.
    Büüsker: Herr Köllner, das ist jetzt der zweite Atomtest in diesem Jahr. Dazu kommen die Tests zahlreicher Raketen in den letzten Monaten. Wie gefährlich ist Nordkorea?
    Köllner: Nun, man kann auf jeden Fall festhalten, dass das Know-How, das Nordkorea erwirbt bei all diesen Tests, sei es im Raketenbereich oder im Nuklearbereich, natürlich voranschreitet. Das sieht man einfach daran, dass die bei der Explosion freiwerdende Energie dieses Mal bei rund zehn Kilotonnen lag. Beim ersten Nukleartest Nordkoreas 1996 waren wir noch bei etwas weniger als einer Kilotonne.
    Büüsker: Das heißt, das Knowhow wird besser. Wie dürfen wir uns denn den derzeitigen Stand der Technik in Nordkorea vorstellen, eher fortschrittlich oder eher noch etwas rückschrittlich?
    Köllner: Nun, es handelt sich natürlich hier um keine State of the Art-Produkte, wie wir sie in den USA oder anderswo kennen. Der Stand der nuklearen Entwicklung Nordkoreas im Atomwaffen-Bereich ist auf einem Niveau, wie wir es andernorts in den 50er-, 60er-Jahren gesehen haben. Insofern halten sich auch die Investitionen, die Nordkorea hier leisten muss, in finanzieller Hinsicht durchaus in Grenzen.
    "Man verspricht sich von Nuklearbewaffnung die ultimative Sicherheit"
    Büüsker: Erklärt das auch, warum das Land trotz nicht allzu guter Wirtschaftslage sich doch Atomtests leisten kann?
    Köllner: Das erklärt es zu einem gewissen Teil. Sicherlich ist Nuklearbewaffnung günstiger als konventionelle militärische Bewaffnung. Von der hat natürlich Nordkorea auch eine Menge. Aber vor allen Dingen verspricht man sich von Nuklearbewaffnung die ultimative Sicherheit, die ultimative Abschreckung gegenüber den USA. Das ist etwas, was konventionelle Waffensysteme nicht leisten können.
    Büüsker: Das heißt, man versucht, sich mit diesen Tests durch Drohgebärden international adäquat zu positionieren, wenn ich Sie richtig verstanden habe?
    Köllner: Es sind mehrere Dinge hier im Spiel. Zum einen geht es vor allen Dingen um die Sicherheit des Landes und damit auch das Überleben des Regimes. Aber natürlich wird das Ganze auch benutzt, quasi im Rahmen der Legitimationsstrategien des dortigen Regimes. Man kann sich hier präsentieren als Weltmacht, zumindest im Nuklearbereich, als stolze Nuklearmacht, die dann mit anderen Mächten auf Augenhöhe ist. Hier hat man etwas, was man präsentieren kann; in vielen anderen Bereichen hat man das nicht.
    "Man fühlt sich vor allen Dingen bedroht durch die Vereinigten Staaten"
    Büüsker: Wenn es darum geht, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten, durch wen fühlt man sich bedroht?
    Köllner: Natürlich fühlt man sich vor allen Dingen bedroht durch die Vereinigten Staaten, in zweiter Linie durch das mit den USA verbündete Südkorea. Technisch gesehen gibt es ja nicht mal einen Friedensvertrag. Nach dem Korea-Krieg 1953 ist es ja nur zu einem Waffenstillstandsabkommen gekommen. Man denkt, dass in den USA ein großes Interesse darin besteht, einen Regimewechsel in Nordkorea herbeizuführen, und da liegt man ja vielleicht auch gar nicht so falsch.
    Büüsker: Müssen sich die umliegenden Staaten jetzt Sorgen machen?
    Köllner: Sorgen muss man sich auf jeden Fall machen, wenn die entsprechenden Fähigkeiten im Raketenbereich, im Nuklearbereich voranschreiten. Selbst wenn keine Absicht besteht, diese bei Angriffen einzusetzen und diese eher der Verteidigung dienen sollen, besteht natürlich immer die Gefahr, dass es zu menschlichem Versagen kommt. Das kennen wir ja alles aus der Geschichte des Kalten Krieges. Insofern birgt das in der Tat große Gefahren.
    Büüsker: Nordkorea behauptet jetzt, man sei bereits in der Lage, Sprengköpfe an Raketen zu montieren. Ist das realistisch?
    Köllner: Wir müssen davon ausgehen, dass es hier tatsächlich zu substanziellen Fortschritten bei der Miniaturisierung der Sprengköpfe gekommen ist. Inwieweit man tatsächlich in der Lage ist, diese auf Kurz-, Mittel- oder gar Langstreckenraketen, die dann die USA erreichen könnten, zu setzen, das lässt sich von außen nur schwer beurteilen.
    Regime lässt sich von Sanktionen nicht beeindrucken
    Büüsker: Wo bekommen die Nordkoreaner überhaupt das Material her? Ich denke hier vor allem an die atomwaffenfähigen Materialien.
    Köllner: Nun, das ist natürlich zu einem Teil hausgemacht. Das Plutonium, das angereicherte Uran ist ursprünglich aus russischer Quelle, aber inzwischen verfügt man über das technologische Knowhow im eigenen Land, um die Dinge voranzubringen.
    Büüsker: Die Vereinten Nationen, die haben diese Tests jetzt wieder verurteilt, ebenso zahlreiche andere Länder über den ganzen Kontinent. Was bringen solche Verurteilungen? Juckt das den Machthaber in Pjöngjang überhaupt?
    Köllner: Nun, der erneute Nukleartest soll ja gerade anzeigen, dass sich das Regime nicht von diesen Sanktionen beeindrucken lässt. Sicherlich ist es aber so, dass wirtschaftlich durchaus die Sanktionen der Entwicklung des Landes sehr abträglich gewesen sind. Auch die erneuten Sanktionen in diesem Jahr haben durchaus Früchte getragen, wenn man so will. Aber die Bedeutung der Nuklearentwicklung ist einfach so hoch einzuschätzen, dass man bereit ist, derartige Einschränkungen dann in Kauf zu nehmen.
    Wenig Möglichkeiten, von außen auf das Land einzuwirken
    Büüsker: Vor diesem Hintergrund, welche Möglichkeiten hat die internationale Gemeinschaft dann überhaupt, auf Nordkorea einzuwirken?
    Köllner: Man muss zugeben, dass die Möglichkeiten beschränkt sind. Natürlich wird man das Ganze wieder verurteilen. Man wird sehen, ob man an der Sanktionsschraube weiter drehen kann. Und sicherlich wird auch wieder die Frage an China gehen, ob es wirklich dann diese Sanktionen auch in Gänze umsetzt. Aber da an militärische Interventionen in Nordkorea nicht wirklich gedacht wird, sind die Möglichkeiten beschränkt, von außen auf das Land einzuwirken.
    Büüsker: … sagt Patrick Köllner, Direktor des GIGA-Instituts für Asien-Studien. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Köllner.
    Köllner: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.