Dienstag, 19. März 2024

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Atomverhandlungen
"Für den Iran ist es die letzte Chance"

Es sei jetzt der letzte Zeitpunkt für den Iran, einen Durchbruch in den Atomverhandlungen zu erreichen, sagte Jürgen Chrobog, ehemaliger Staatssekretär im Auswärtigen Amt, im DLF. Das sei in ihrem Interesse, denn sollten die Republikaner in den USA an die Macht kommen, verliere der Iran die Option auf einen friedlichen Ausgang.

Jürgen Chrobog im Gespräch mit Bettina Klein | 30.03.2015
    Jürgen Chrobog, ehemaliger Diplomat, aufgenommen während der ARD-Talksendung "Anne Will" in den Studios Berlin-Adlershof.
    Der ehemalige Diplomat Jürgen Chrobog (dpa picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Chrobog sagte weiter, in den USA sei der innenpolitische Druck wegen der Atomverhandlungen außerordentlich hoch. "Die Amerikaner können es sich nicht leisten, sie zu verlängern."
    Allerdings sei es auch im Interesse des Westens, ein Abkommen zu erreichen. "Der Iran wird gebraucht zur Lösung der Konflikte in der Region." Der Machtkampf zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und schiitischen Iran sei gefährlich, es müsse zu einer Befriedung kommen. Der Ex-Diplomat betonte: "Ein neues Verhältnis zwischen Amerika und dem Iran könnte zu einer Stabilisierung beitragen, dann wäre Amerika nicht mehr das Land, auf das sich der Hass kapriziert vonseiten Irans."

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Die Frist endet morgen, die selbst gesetzte Frist der Außenminister, die gegenwärtig im schweizerischen Lausanne versuchen, ein Atomabkommen mit dem Iran zustande zu bringen. Es sah ja nach einem Durchbruch aus gestern Nachmittag und Abend, es gab Fortschritte, aber im Augenblick gibt es kritische Signale aus Lausanne. Am Telefon begrüße ich den langjährigen Diplomaten Jürgen Chrobog. Er war unter anderem Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Botschafter in Washington. Guten Morgen, Herr Chrobog.
    Jürgen Chrobog: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Die Verhandlungen mit dem Iran ziehen sich schon über so viele Jahre hin, nun über so viele Tage schon in Lausanne. Rechnen Sie mit einem historischen Durchbruch in den nächsten 24 Stunden?
    Chrobog: Man kann ihn wohl nicht ausschließen, und Herr Steinmeier hat das ja gestern auch deutlich gemacht. Auf jeden Fall drängt jetzt die Zeit. Ich glaube, für den Iran ist es die letzte Chance, dass so ein Durchbruch noch erreicht werden kann, auch im eigenen Interesse, denn man muss sich mal die USA ansehen. Die Republikaner könnten theoretisch ja die Macht in zwei Jahren oder anderthalb Jahren übernehmen. Das ist zwar nicht unbedingt wahrscheinlich, aber es kann passieren. Und gerade die Reaktionen aus diesen Kreisen in den USA gehen natürlich in eine ganz andere Richtung und mit einer Aufhebung der Sanktionen, die wirklich notwendig sind im Iran, ist nicht zu rechnen, wenn man jetzt nicht springt. Und jetzt ist der Zeitpunkt, vielleicht der letzte Zeitpunkt, auch der letzte in der Zeit der Präsidentschaft von Obama, hier einen Durchbruch zu erreichen.
    "Israel will nicht mit ins Boot"
    Klein: Da Sie es so dramatisch schildern, lassen Sie mich da direkt einhaken. Was wäre denn, was würde denn passieren, wenn man jetzt nicht bis morgen dieses Abkommen bekäme? Das ist eine selbst gesetzte Frist. Man kann doch auch weiterverhandeln?
    Chrobog: Ja so leicht ist das nicht. Diese Frist hat man gesetzt, weil man den Druck aufbauen wollte. Und ich wiederhole noch einmal, ich komme gerade aus den USA: Der Widerstand dort ist außerordentlich groß. Innenpolitisch wird es für die Amerikaner immer schwerer. Sie setzen sich jetzt mit ihrem gesamten Gewicht und mit ihrem gesamten Prestige ein. Und wenn das jetzt wegbricht dort, dann ist das natürlich ein großer Reputationsverlust für Obama selbst. Ich glaube, die Amerikaner können sich nicht leisten, noch länger zu verlängern. Auch die Iraner können es nicht, denn sie verlieren die Option auf einen friedlichen Ausgang.
    Klein: Gleichzeitig - Sie haben es angedeutet - kam ja nicht nur von den Republikanern in Washington Widerstand, sondern auch von Israel. Benjamin Netanjahu hat vor einigen Wochen dort auch gesprochen, hat noch mal sehr klar seine Bedenken dort deutlich gemacht. Das heißt, Israel muss ja auch mit ins Boot geholt werden, wenn es zu einem solchen Abkommen käme. Wie kann das geschehen?
    Chrobog: Israel will ja nicht ins Boot. Israel hat Angst, dort seinen Lieblingsfeind Iran zu verlieren. Das ist schon sehr schwierig, was Netanjahu dort gemacht hat. Er stößt übrigens auch in jüdischen Kreisen in Amerika nicht mehr auf einhellige Zustimmung. Auch dort verändert sich die Lage ein wenig. Aber die Drohung Israels auch ja immer mit Militärschlägen und die Warnung vor einem derartigen Abkommen sind natürlich im Grunde auch sehr stark von der öffentlichen Meinung dort geprägt. Man braucht dieses Abkommen. Das wissen die Amerikaner, das wissen auch viele Israelis im Übrigen. Dieses Abkommen könnte natürlich eine Stabilisierung insgesamt in der Region erreichen. Man muss sich auch eines klar machen: Auch der Iran wird gebraucht. Im Grunde findet ja überall in der Region ein Stellvertreterkrieg zwischen Sunniten und Schiiten, das heißt ein Machtkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran statt, und Iran wird gebraucht zur Lösung der Konflikte in der Region. Und jetzt Iran auf ein Gleis zu setzen, wo es auch merkt, es gibt Vorteile, wenn man sich hier vernünftig verhält und internationale Verpflichtungen eingeht, könnte natürlich auch für die gesamte Entwicklung wichtig sein.
    "Machtkampf zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran"
    Klein: Zwei Punkte würde ich gerne noch mal herausgreifen. Das würde aber auch bedeuten: Das Szenario wäre ein Abkommen gegen den Willen und gegen den Widerstand Israels, und das sollte man ruhig in Kauf nehmen, meinen Sie?
    Chrobog: Das muss man in Kauf nehmen, und es wird noch schwere Probleme geben in Amerika, gerade was die Aufhebung der Sanktionen angeht, aber die Republikaner drohen ja schon, sie würden alles rückgängig machen, wenn sie wieder an die Macht kämen. Das ist natürlich pure Propaganda, denn Sanktionen, oder wenn es hier einen Vertrag gibt, einen internationalen Vertrag, kann der nicht einseitig aufgehoben werden von einer neuen amerikanischen Regierung. Die Sanktionen sind ja Sanktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, Sanktionen der Amerikaner und europäische Sanktionen. Hier kann natürlich nichts revoziert werden, was jetzt völkerrechtlich verbindlich vereinbart werden könnte und müsste.
    Klein: Sie haben die Rolle angedeutet, die der Iran in der Region spielt. Wir haben jetzt gerade ganz jüngst noch mal gelernt: Der Iran unterstützt zum Beispiel die Huthi-Rebellen, gegen die im Augenblick bombardiert wird von Saudi-Arabien. Welchen Einfluss, welche Veränderung versprechen Sie sich dann, gerade mit Blick auf diese Region, von einem solchen Abkommen?
    Chrobog: Der Iran ist natürlich jetzt der Feind von vielen. Das ist er nicht nur von Israel, sondern die Arabische Liga, wir sehen es ja, die bauen eine Streitmacht auf oder wollen das zumindest, um die Huthi-Rebellen, die ja schiitisch sind und vom Iran auch mit gefördert werden, jetzt zurückzudrängen. Das ist eine ganz schwierige Gemengelage. Es gibt so eine paranoide Angst in der Region, im Raum Iran, aber ich sagte ja: Das ist ein Machtkampf zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran. Der wird ausgetragen hier und das ist hoch gefährlich. Wenn man hier nicht zu einer Befriedung kommt, dann wird man große Probleme haben in der Region. Und selbst wenn die Saudis sich jetzt durchsetzen gegen die Huthis im Jemen, führt das natürlich nicht zu einer Befriedung, sondern eher zu einer Spaltung dieses Landes wieder in Nord und Süd und natürlich auch zu einem Guerilla-Krieg, Bürgerkrieg, der auf Dauer anhalten wird.
    "Amerikaner könnte als ein langfristiger Partner gesehen werden"
    Klein: Sie haben es angedeutet, Herr Chrobog. Es ist im Grunde genommen ein Krieg zwischen Sunniten und Schiiten, und darum herum gruppieren sich die verschiedenen Staaten der Region. Die Frage ist natürlich, inwieweit dort von außen, vom Westen, auch von der Runde, die gerade in Lausanne zusammensitzt, eingewirkt werden kann. Also noch mal die Frage: Welchen Einfluss würde ein solches Abkommen, wenn man den Iran an Bord bekäme, dann ausüben können?
    Chrobog: Auf jeden Fall würde ein neues Verhältnis entstehen auch zwischen den USA und dem Iran. Dann wäre wieder eine Gesprächsbereitschaft möglich und damit vielleicht auch eine Einflussnahme auf das Verhaltens Irans auf lange Frist. Vielleicht ist es eine Vision, vielleicht wird es auch nicht funktionieren. Ich weiß jedenfalls, dass die Saudis und andere gar nicht so glücklich sind über diese Entwicklung dort, denn sie brauchen im Grunde die Konversation des Westens mit dem Iran. Aber wir können nur aus diesem Teufelskreis herauskommen, wenn es hier eine Aufweichung gibt und ein neues Verhältnis gerade zwischen Amerika und dem Iran könnte dann zu einer Stabilisierung beitragen. Dann wäre Amerika nicht mehr das Land, auf dem der Hass sich kapriziert vonseiten Irans, sondern Amerika könnte auch als ein zumindest langfristiger Partner, potenzieller Partner gesehen werden, der auch gewisse regionale Fragen und die Lösung dieser Fragen erleichtern könnte.
    "Deutschland hat eine ganz maßgebliche Rolle gespielt"
    Klein: Vielleicht noch mal zum Abschluss kurz zurück auf die Verhandlungen, die im Augenblick ja noch stattfinden. Wir haben gerade auch von unserem Kollegen Maurus gehört, dass vor allen Dingen dort auch die bilateralen Verhandlungen laufen zwischen den USA und dem Iran. Nun sitzen noch ein paar mehr Außenminister dort an Bord, wollen das befördern. Welche Rolle spielt denn da Deutschland zum Beispiel an der Stelle, oder auch Frankreich, oder auch Russland?
    Chrobog: Ich möchte einmal sagen, dass Deutschland eine ganz maßgebliche Rolle gespielt hat. Wir haben damals in der schwierigen Zeit, als die Amerikaner den Iran ja völlig ablehnten, den sogenannten kritischen Dialog begonnen und haben jahrelang, zwölf Jahre und mehr dieses durchgehalten auch gegen den Widerstand der Amerikaner. Die haben sich immer gewehrt gegen alle Kontakte zu Iran. Damals war ja noch der Präsident Chatami dort, der durchaus gesprächsbereit gewesen wäre. Die Amerikaner haben damals jede Zusammenarbeit verweigert, jeden Gesprächsdialog verweigert. Wir haben über die Jahre hinweg mit den Europäern gemeinsam auch die Amerikaner rübergezogen in diesen Dialog und jetzt haben sie diesen Dialog begonnen, allerdings sehr viel zu spät im Grunde schon, aber sie gehen jetzt voll rein, und die einzige Erfolgsaussicht sehe ich eben auch, dass das Gewicht der Amerikaner hier voll durchgesetzt wird, zum Tragen kommt, und das ist der wesentliche Fortschritt, der gemacht worden ist, und da hat Deutschland sehr viel zu beigetragen.
    Klein: Der langjährige Diplomat Jürgen Chrobog heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk mit seiner Einschätzung zu den laufenden Atomverhandlungen mit dem Iran. Herr Chrobog, haben Sie herzlichen Dank für das Interview.
    Chrobog: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.